Geschichten:Der uralte Bund - Unerwartete Entwicklungen

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Pfalz Randersburg, Ende Hesinde 1043 BF

Entgegen ihrer sonstigen Art hatte die ehemalige Baronin deutlich länger geschlafen als üblich; die Aktivitäten am vergangenen Abend forderten ihren Tribut. Nachdem sie sich frischgemacht und ein kurzes Gebet zum Güldenen gesprochen hatte, begab sich Fredegard in den Speisesaal der Pfalz, um dort ihr Frühstück, das von der Uhrzeit her eigentlich ein Mittagessen war, einzunehmen. In der Halle erblickte sie ihre Ziehtochter, die offenbar schon länger auf den Beinen war und, entgegen ihrer sonstigen Art, ziemlich nervös wirkte. Nachdem die Adlige neben Janne Platz genommen hatte, ergriff Letztere mit gedämpfter Stimme das Wort.

„Wir könnten Probleme bekommen, Herrin.“
„Dir auch einen guten Morgen, mein Kind.“
„Verzeiht, ich wollte nicht unhöflich sein. Aber in der letzten Stunde haben sich neue Entwicklungen ergeben. Die Schlangendienerin Loderia wurde tot in ihrem Zimmer aufgefunden. Angeblich wurde sie auf ziemlich grausame Art umgebracht; Genaueres konnte ich in der Kürze der Zeit noch nicht in Erfahrung bringen.“
Die Alt-Baronin zog als Reaktion darauf lediglich ihre rechte Augenbraue hoch. „Na, das ist ja interessant! Anscheinend gibt es da jemanden, der sie noch weniger mochte als wir. Da sollten Du und ich unbedingt dranbleiben, denn es steht, nach allem, was wir von dieser Frau erfahren haben, zu vermuten, dass es – nicht allzu helle – Glaubensgeschwister von uns waren, welche die Götzenpriesterin von ihrer Existenz erlösten. Einen Vorteil hat ihr Ableben aber: Nun gibt es keine Verbindung mehr zwischen ihr und uns. Sonst noch etwas?“
„Ja, Herrin. Ich konnte auch schon herausfinden, wer die Leiche gefunden hat. Es handelt sich dabei um eine Geweihte des Boron, Nurinai ni Rian–“
„Sagt mir nichts.“
„Sowie um Salix von Hardenstatt–“
„Sagt mir einiges. Mit diesem Salix werde ich mich nachher, wenn sich allgemein herumgesprochen hat, dass er bei der Auffindung der toten Schlange dabei gewesen war, selbst befassen. Sein Bruder ist schließlich mit meiner Bastardstieftochter“ – die Adlige weigerte sich, deren Namen auszusprechen – verbunden und er selbst dient am Hof der Barone von Zackenberg, an dem auch meine Enkeltöchter leben. Da sollten sich genügend Anknüpfungspunkte für ein Gespräch finden lassen. Ausgezeichnete Arbeit, Janne; gut mitgedacht! Das verspricht ein recht interessanter Tag zu werden, Liebes.
Janne nickte bestätigend und berichte dann noch in aller Kürze über ihre nächtlichen Beobachtungen, welche die Adlige zunächst schweigend zur Kenntnis nahm.
„Schade, dass nicht zu erkennen war, um was es sich bei diesem merkwürdigen Ding handelte“, entgegnete sie schließlich mit einem Anflug des Bedauerns. „Eigentlich sollten wir uns diese Greifenfurterin mal näher betrachten, um mehr über ihr nächtliches Treiben herauszufinden, doch fürchte ich, dass es uns dafür an der nötigen Zeit gebricht, zumal wir uns nicht verzetteln sollten. Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben, Janne. Aber jetzt werde ich erst mal etwas essen; mit leerem Magen denkt es sich schlecht. Wenn der Kadaver der Priesterin in die Burg gebracht werden sollte, wovon ich ausgehe, dann habe bitte ein Auge darauf und informiere mich umgehend.“

Janne schlenderte zunächst scheinbar ziellos durch die frei zugänglichen Teile der Wehranlage. Zum einen, um sich besser mit ihrem Aufbau vertraut zu machen, zum anderen aus schlichter Neugier, hatte das Mädchen doch bisher noch keine solch‘ große Burg von innen betrachten können. Fasziniert bewunderte sie die Architektur und Ausstattung der Pfalz, bevor sie von einem oberhalb der Zugbrücke gelegenen Gang durch eine Schießscharte die herrliche Aussicht auf das Umland genoss. Dabei stach ihr eine Gruppe von Reisenden ins Auge, welche sich der Burg näherten. Neugierig geworden, eilte Janne in den Burghof hinunter, um von einer geschützten Position aus die Neuankömmlinge genauer zu beobachten. Bei ihnen handelte es sich um zwei Frauen, eine davon in den Gewändern einer Borongeweihten gekleidet, in Begleitung einer Handvoll Hausritter und augenscheinlich einer Novizin der Hesinde. Die Gruppe führte einen Karren mit sich, dessen in Leinentücher eingewickelte Fracht wenig später in den Bergfried getragen wurde. Form und Größe der Last erinnerten die junge „Zofe“ an einen menschlichen Körper. Bezog man die ungewöhnliche Eskorte in die Überlegungen mit ein, so bestand für das Mädchen kein Zweifel daran, wessen Überreste hier gerade in den Turm getragen wurden.
Ein junger Mann mit schwarzen Haaren und entfernt maraskanisch anmutenden Gesichtszügen schien sich wenig später sehr für den nun verwaisten Karren zu interessieren und siehe da, offenbar wurde er fündig und steckte sein kleines Fundstück in eine kaum größere Dose. Anschließend entfernte er sich in Richtung des Küchengebäudes, was der heimlichen Beobachterin, nun ja, maraskanisch vorkam. Wer war der Kerl? Warum steckte er heimlich etwas ein? Und warum strebte er da-nach ausgerechnet zur Burgküche? Für einen kurzen Augenblick war die Halbwüchsige versucht, dem Manne zu folgen, besann sich dann jedoch eines Besseren Wer mochte schon wissen, was die Beobachtung der übrigen Neuankömmlinge stattdessen noch ergeben mochte?
Es dauerte nicht lange, da entließ der Bergfried die weibliche Begleitung der Boroni wieder aus seinen mächtigen Mauern. Die Frau trug den Wappenrock des Reichsforster Grafenbannes, dazu einen farblich passenden Mantel. Ihr blondes Haar war lang und fiel über ihre Schultern. Unweit des Einganges, in Reichweite des Karrens, schien sie auf jemanden zu warten. Und tatsächlich, ein junger Mann ging zielstrebig auf sie zu. Es war der von Jannes Herrin gesuchte Perricumer Adlige Salix von Hardenstatt mit einem etwa 14-jährigen Jungen im Schlepptau, der vor dem Bergfried zu der dort wartenden Frau mittleren Alters schritt. Beide begrüßten sich und tauschten ein paar Worte aus, die Janne jedoch nicht hören konnte.
Auf die drei bewegten sich schnellen Schrittes ein Ritter in den Farben von Kaiserlich Randersburg sowie ein fast zwei Schritt großer Mann mit kahlgeschorenen Schädel, der die klassische Geweihtentracht eines Praioten trug, zu.
Unauffällig entfernte sich die heimliche Beobachterin im Trubel des ständigen Kommens und Gehens vom Burghof – mehr war hier, ohne aufzufallen, nicht in Erfahrung zu bringen – und suchte direkt ihre Ziehmutter auf, um diese über die jüngsten Geschehnisse in Kenntnis zu setzen.

Fredegard hatte dem Bericht ihrer Ziehtochter aufmerksam gelauscht und dann für einen Moment die Augen geschlossen, um besser nachdenken sowie das weitere Vorgehen planen zu können.
„Gut gemacht, mein Kind! Die nächsten Schritte dürften klar sein: Ich werde beim heutigen Abendessen – dann sollte der gewaltsame Tod der Götzendienerin bereits die Runde gemacht haben – das Gespräch mit diesem Hardenstatt suchen. Mal sehen, welche interessanten Informationen ich ihm zu entlocken vermag. Du hingegen wirst Ausschau nach diesem tatsächlichen oder vermeintlichen Maraskaner halten und herausfinden, mit wem er sich so alles trifft respektive sich herumtreibt. Und ansonsten habe ich für den Augenblick nur einen weiteren Auftrag für Dich – amüsiere Dich, mein Kind und genieße ein wenig die Feierlichkeiten.“
„Das werde ich, Herrin, doch erst, wenn meine eigentliche Arbeit getan ist. Dann aber mit großem Vergnügen.“ Ein leichtes Lächeln stahl sich beim letzten Satz in Jannes Antlitz.

Die Adlige hatte sich für einen Moment der Ruhe und des Gebets in ihr Quartier zurückgezogen, als es unerwartet an der Türe klopfte.
„Herein!“, rief Fredegard etwas unwirsch, verärgert über die ebenso unerwartete wie unwillkommene Störung. Eine livrierte Pagin, ein braunhaariges Mädchen von vielleicht zehn Jahren, öffnete die Tür und trat leicht verschüchtert näher. „Frau von Hauberach?“, fragte das Kind und verbeugte sich ein wenig unsicher.
Die Gesichtszüge der Adligen entspannten sich beim Anblick des Mädchens. „Die bin ich, mein Kind. Was führt Dich zu mir?“
„Ihre Hochgeboren Josline von Eslamsgrund, Seneschallin der kaiserlichen Pfalz Randersburg, wäre höchst erfreut, Euch in einem halben Wassermaß zu einem zwanglosen Gespräch in ihren Privatgemächern empfangen zu dürfen.“ Das Kind atmete sichtbar durch, froh, den offenbar zuvor auswendig gelernten Text fehlerfrei vorgetragen zu haben.
Die Perricumerin hatte zwar keine Ahnung, wie sie zu dieser unerwarteten Ehre kam, erkannte jedoch sofort die sich ihr dadurch bietende günstige Gelegenheit. Von wem ließen sich, wenn sie es richtig anstellte, mehr Informationen über die jüngsten Vorgänge in Erfahrung bringen als von dieser alten Vettel, die Vielen als die eigentliche Herrin der Pfalz galt? „Vielen Dank. Teile Deiner Herrin mit, dass ich ihre Einladung gerne annehme und mich auf das Wiedersehen mit ihr freue.“
„Ich werde es ihrer Hochgeboren ausrichten und Euch dann nachher zu ihr geleiten.“ Mit einer erneuten Verbeugung verließ die Pagin den Raum, hinter sich die Tür schließend.

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Mit einem aufgesetzten freundlichen Lächeln und ihrer Gesprächspartnerin scheinbar verständnisvoll zugewandt, saß Fredegard in Joslines Privatgemächern. Die beiden Frauen kannten sich schon viele Götterläufe durch ihre nunmehr verstorbenen Gatten. Fredegard hatte dieser Verbindung nie wirklich viel Beachtung geschenkt, doch mit dem überraschenden Aufstieg von Joslines Sohn Udilbert zum Pfalzgrafen von Randersburg vor wenigen Götterläufen, geriet diese wieder in den güldenen Fokus der Perricumer Adligen. Was konnte es schaden, gute Verbindungen zum Herrn des reichsten kaiserlichen Lehens Garetiens zu haben? So verdankte es Fredegard der Eslamsgrunderin auch, direkt auf der Pfalz untergebracht worden zu sein und nicht, wie viele andere Adlige, im Ort unterhalb der Burg. So saßen Fredegard und Josline gemeinsam am prasselnden Feuer, tranken Gewürzwein und aßen feines Puniner Gebäck.

„Ach Fredegard“, seufzte die über 70 Sommer zählende Adlige, die sich für ihr Alter ein erstaunlich frisches Äußeres erhalten hatte. „Diese Pfalz am Laufen zu halten ist zu normalen Zeiten schon keine Caldaische Polka, aber in diese Zeiten? Und dann noch die Hochzeit des Gareth … also ich sage Dir, ich bin froh, wenn der ganze Zirkus vorbei ist.“
Bedächtig und betont interessiert hatte Fredegard während des Gejammers der Seneschallin am Gewürzwein genippt und an einer der delikaten Leckereien geknabbert. Ein gespielt verständnisvolles Nicken von Seiten Fredegards, ließ den Redeschwall der Eslamsgrunderin wieder entfesseln, wobei die Perricumerin erstaunt war, wie wenig es bedurfte, um ihr Gegenüber geradezu wie einen Wasserfall reden zu lassen. Offensichtlich hatte sie sonst niemanden dafür, was ihrem Gast hier und heute aber sehr zupass kam.
„Aber meine Gute, ich bin ja so froh, dass ich Bruder Silvano habe. Ein viel angenehmerer Geselle als dieser verstockte und mürrische Hofkaplan. Silvano ist eine große Stütze für mich und gibt mir so viel Kraft. Ich weiß Du verstehst mich, bist Du doch auch von tiefgläubiger Natur. Jeden Abend führt mich der Götterfürst in seine heilige Stätte und der gute Silvano erleichtert meine Seele und steht mir mit Rat und Tat zur Seite. Er ist ein sehr eloquenter Gesprächspartner mit einer sehr erfrischenden Sichtweise auf unseren Herrn Praios. Aber, worauf ich hinauswill, vor wenigen Tagen sah ich vor dem Eingang zum Praiostempel eine kleine steinerne Fuchsstatue stehen. Ja glaubst du das, eine Fuchsstatue? Und dann war sie auch noch kaputt, ein Öhrchen war abgebrochen. Jaja, diese kecken Füchschen … ich habe meinen Pagen befohlen, die Statue zum Phextempel zu bringen. Keine Ahnung, was die wieder für Spielereien treiben.“
Fredegard nickte interessiert und dieses Mal war diese Interessenbekundung nicht mal gespielt. Es gab also mehrere dieser Fuchsstatuen? Das war ein wichtiger Hinweis. Auch war ihre Neugier diesen Silvano betreffend nun geweckt. Diesen Mann würde sie bei nächster Gelegenheit einmal näher in Augenschein nehmen müssen. Irgendwie konnte sich die Perricumerin des Gedankens nicht erwehren, dass dieser Kerl einer ganz anderen Gottheit diente. Der erneut einsetzende Redefluss ihrer Gastgeberin riß Fredegard jedoch jäh aus ihren Gedanken.
„Und dann noch diese Sache mit der Geweihten“, begann Josline aufs Neue, „eine Katastrophe … sicher hast du davon gehört, die Hesindianerin die von ihrer Herrin abberufen wurde … nun ja, es war ein frevelhafter Mord!“ Die letzten Worte hatte die Eslamsgrunderin geflüstert. „Und das jetzt … während der Hochzeitsfeierlichkeiten. Wenn das allgemein bekannt werden würde … .“

Ein Klopfen an der Tür ließ den Monolog Joslines abrupt enden. Nach einem etwas barschen „Herein!“ trat ein Mann mittleren Alters in den Farben Randersburgs ein.
„Seneschallin, verzeiht die Störung, aber Ihr wolltet informiert werden, sobald die Geweihte auf der Pfalz eintrifft.“
„Ah, wunderbar, Plitzenberg, ich komme!“ Die Stimme der Seneschallin war wieder so fest und durchdringend wie eh und je.
Sofort erkannte Fredegard die nächste günstige Gelegenheit. Der Herr war wirklich mit ihr! „Wenn es Dir helfen würde, liebste Josline, begleite ich Dich gerne“, säuselte Fredegard.
„Das würdest Du für mich tun? Hab´ Dank, meine Gute! Dann auf, auf in die Totenkammer!“