Geschichten:Familiengeschichten aus Hartsteen - Lorbeeren
Burg Orbetreu, Hesinde 1044 BF
Oderik von Schwingenfels schaute zufrieden. „Bringt die beiden herein!“ befahl er den Burgwachen. Es dauerte nicht lange und die beiden Gefangenen wurden in den Rittersaal der Burg gebracht. Oderik musterte beide genau. Der Zoltheim eher klein und beleibt und mit fliehender Stirn, der Firunshöh ähnlich groß wie Oderik.
Oderiks Miene war hingegen starr und er wartete. Gerade als die Stille im Raum unangenehm zu werden drohte, sprach er ruhig: „Fredegast von Zoltheim! Oberan von Firunshöh! Ich heiße Euch beide hier auf der Orbetreu willkommen!“ Die beiden Gefangenen schauten kurz zueinander, bis der Firunshöh sein Wort an Oderik richtete: „Mit unserer Gefangennahme habt Ihr Eure Vereinbarung mit Bernhelm von Wetterfels gebrochen!“ Anklagend deutet er auf Oderik.
Oderik verzog weiterhin keine Miene und erhob sich von seinem Platz. „Firunshöh! Ihr verkennt Eure Lage!“ antwortete er ruhig. „Meine Vereinbarung mit dem Ogerfresser bezieht sich klar und eindeutig auf die Güter der Familie Schwingenfels im Reichsgau.“ Firunshöh unterbrach ihn barsch: „Wenn Ihr glaubt, dass Ihr mit solchen Haarspaltereien davon kommt, dann habt Ihr Euch getäuscht.“ Oderik lächelte gelassen. „Ihr verkennt außerdem, wessen Gast Ihr hier seid! Ich handele hier und jetzt nicht in meiner Eigenschaft als Junker von Weizengrund, sondern als Vormund meines Neffen! Genau dies habe ich mit Eurem Bruder beredet!“ Oderik hatte entschieden, dass die tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Duridan und ihm hier keine Rolle spielten. „Sollte Euer Neffe dann nicht hier sein?“ fragte der Zoltheim. „Ich bedauere, aber Duridan befindet sich am Hofe seines Schwertvaters, des Baron von Hirschfurten! Ihr werdet also mit mir vorlieb nehmen müssen!“
Oderik setzte sich wieder. „Nun, da Ihr Eure Lage kennt, werde ich Euch gerne Eure Möglichkeiten aufzeigen!“ sprach er gelassen und ruhig weiter. Die beiden Gefangenen schauten sich erneut an. „Was meint Ihr?“ fragte der Zoltheim. Oderik ließ sich in seinen Sitz zurücksinken und schaute kurz zum Burgkommandanten der Orbetreu, welcher neben ihm stand. „Nun, mein Neffe steht in dieser Fehde auf Seiten des Grafen. Ich sehe hier nun zwei Möglichkeiten für Euch: Ich übergebe Euch als Kombattanten der Fehde dem Grafen, auf dass dieser darüber entscheide, was nun mit Euch geschehe!“ Oderik machte nunmehr absichtlich eine längere Pause, bevor er weitersprach. „Als Alternative biete ich jedem von Euch die Möglichkeit, sich zu den üblichen Konditionen gegen Zahlung eines Lösegeldes an meinen Neffen aus Eurer Lage zu befreien!“
Der Firunshöh hatte seinen anklagenden Arm während Oderiks Rede gesenkt und schaute nunmehr unsicher zu Fredegast von Zoltheim. „Und wenn wir uns für Eure Alternative entscheiden?“ fragte der Zoltheim. Oderik ließ einen Diener Pergament und Feder heranbringen. „Nun, jedem von Euch wird die Möglichkeit gegeben, Euren Angehörigen Eure Situation darzulegen, auf dass Euer Aufenthalt hier so kurz wie möglich gehalten werde!“ antwortete Oderik. „Es wird doch gewisslich jemanden geben, welcher das geforderte Lösegeld überbringt! Eure Gemahlinnen zum Beispiel?“ Oberan stieß einen leisen Fluch aus, während der Zoltheim unsicher zu Oderik blickte. „Und bis dahin?“ fragte er kleinlaut. „Wie gesagt, Ihr seid als Gäste hier durchaus willkommen. Ihr versteht jedoch, dass ich darauf bestehe, dass Ihr Eure zugewiesenen Quartiere nicht verlasst!“ Mit diesen Worten bedeutete Oderik den Wachen, die beiden Gefangenen wieder in ihre Quartiere zu geleiten.
Als die beiden den Saal verlassen hatten, wandte sich der Burgkommandant an Oderik: „Haltet Ihr Euren Vorschlag für eine gute Idee?“ Oderik schaute zu ihm auf. „Nun, Reto, was soll ich denn sonst tun?“ Reto deutete mit seinem Arm zum Fenster: „Ist es wirklich ausgeschlossen, dass der Ogerfresser Eure Vereinbarung als nichtig erklärt? Ich meine, wird man Euch abkaufen, dass Ihr für Duridan handelt?“ Oderik stand auf und ging zum großen Tisch in der Mitte des Saales. „Wenn man uns nicht glauben sollte, dann bleiben uns ja noch andere Möglichkeiten!“
Reto wirkte noch immer unzufrieden. „Der Graf wird nicht gerade damit einverstanden sein, wenn Ihr eigene Absprachen trefft!“ Oderik nickte. „Das stimmt! Doch es ist gute Tradition, dass gefangenen Fehdekombattanten die Möglichkeit zum Freikauf geboten wird. Davon werde ich nicht abweichen!“ antwortete er ruhig. „Außerdem beabsichtige ich, den Grafen an den Lösegeldzahlungen zu beteiligen!“
Retos Miene drückte immer noch Unzufriedenheit aus. „Wisst Ihr, wenn die Gerüchte stimmen, dann ist Werdomar nach Hutt aufgebrochen.“ Reto trat an Oderiks Seite und reichte ihm einen Kelch mit Wein. Oderik nahm einen Schluck und sprach dann ruhig: „Wenn ich den Baron richtig einschätze, wird er Eure Erfolge bei der Verteidigung Feidewalds als die seinen ausgeben! Er schmeichelt sich beim Grafen ein!“ Reto nahm ebenfalls einen Schluck. „Hier geht es nicht um mich, sondern um unsere Familie!“ Oderik klopfte dem älteren Burgkommandanten auf die Schulter. „Ich vertraue darauf, dass der Graf erkennt, was wir hier leisten!“ „Euer Wort in der Götter Ohr!“