Geschichten:Familiengeschichten aus Hartsteen - Ludegar

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Burg Orbetreu, 12. Ingerimm 1037 BF

Eigentlich hätte Ludegar neidisch sein müssen. Sein Bruder war Junker zu Weizengrund. Das war er von Geburtsrecht und durfte zu Neid keinen Anlass geben. Denn schließlich war Ludegar der jüngere der zwei Brüder.

Sein Bruder war darüber hinaus mit einer liebenswerten Frau verheiratet. Auch das war eigentlich kein Anlass für Neid. Denn schließlich lag es an Ludegar selbst, sich eine Frau zu suchen. Er blickte kurz auf seine Beine und merkte, dass es nicht nur an ihm lag.

Seit zwei Monden war die Familie darüber hinaus um ein Mitglied größer geworden. Ein mildes Lächeln überkam Ludegar. Nein, sein Neffe Bodebert Giseldan – benannt nach seinen Großvätern – war nun wahrlich kein Grund für Neid. Und doch blickte Ludegar erneut auf seine Beine.

Sein Bruder hatte darüber hinaus als Ritter ein Duell gefochten – und verloren. Ludegars Blick war auf seinen Beinen verblieben und da war er wieder. Dieser eine Augenblick, wo er seinem Bruder sein Glück neidete. Anders als er selbst, hatte sich Oderik von seinem Kampf erholen können – auch dank der Hilfe eines herbei geeilten Magiers. Dieser Edorian Feuerschlag war auf Einladung Oderiks nach Weizengrund gekommen. Nach dem Duell hatte er sich mit Hilfe seiner magischen Kräfte um Oderiks Genesung gekümmert und dann etwas davon geredet, dass seine Schuld abgegolten sei. Ludegar mochte den Magier und doch schaute er etwas wehmütig erneut auf seine Beine. Ihm hatte kein Magier helfen können und so war er stets auf die Hilfe von Orlan und Yasmina angewiesen, welche sich beide um ihn und seine verkrüppelten Beine kümmern mussten.

Das führte ihn wieder in das Hier und Jetzt des Palas von Orbetreu. Hadrumir hatte sich in den letzten Jahren zusehends auf seine Aufgabe als Landrichter Hartsteens konzentriert. Oder er war als Kronvogt auf Puleth gefordert. Oder im Königreich unterwegs. Es oblag ihm, einen Blick über die Güter der Familie zu halten. Wenige sahen, wie gut er als Verwalter geworden war. Und viele unterschätzten ihn.

Jetzt sah er sich die Unterlagen der Orbetreuer Schwingen an. Hauptmann Karstrand hatte sich daran gemacht, weitere Schützenreihen aufzustellen, was jedoch vor allem Zeit erfordern würde. Müde über das Zahlenwerk schnappte er sich die Wochenberichte der letzten Woche. Wie er sich denken konnte, war dort ebenso wenig Aufregendes. Doch plötzlich blieb sein Blick an einem Eintrag hängen.

„Du hast aktuell einen Gast auf der Burg?“ wandte er sich fragend an Voltan. Ihm oblag die Verwaltung der Schwingen. „Was meinst Du?“ kam es missmutig von ihm zurück.

„Was hat das hier zu bedeuten?“ frage Ludegar und wies auf einen Eintrag vom Anfang des Monats hin. Voltan beugte sich vor, um zu sehen, was Ludegar meinte, auch wenn er schon eine Ahnung hatte.

„Ach, das!“ gab er gelangweilt zurück. „Wir hatten einen Verrückten hier. Er fragte nach Arbeit.“ „Und?“

„Na, nichts und! Ich habe ihm gesagt, dass ich gerade Schützen suche. Er wirkte nicht, wie ein solcher! Also habe ich ihn abgewiesen. Daraufhin meinte er, dass er Wulf von Orbetreu hieße und Seginhardt sein Vater sei!“

Ludegars Augen weiteten sich. „Wie bitte?“

„Deshalb habe ich diesen Hochstapler ja auch weggesperrt!“ Voltan nahm ungerührt einen Schluck Wein zu sich. „Ist Dir vielleicht mal in den Sinn gekommen, seine Aussage zu überprüfen?“ fragte Ludegar sichtlich irritiert. Voltan zuckte mit den Schultern. „Der Bursche wollte sich nur wichtig machen. Er hatte im Übrigen das hier dabei. Ist wahrscheinlich eine Fälschung.“

Ludegar gefiel das gar nicht. Er schaute auf den Kriegerbrief, welchen er vor sich hatte. „Ich will mit dem Kerl sprechen!“ forderte Ludegar bestimmt. „Ist Zeitverschwendung!“ grummelte Voltan.

Ludegar winkte Orlan heran. „Wenn, dann ist es meine Zeitverschwendung!“