Geschichten:Familiengeschichten aus Hartsteen - Praiofist
Burg Hutt, Peraine 1044 BF
Oderik knallte die Tür zu. Die Pagen schreckten auf und schauten zu ihm. „Alle raus hier!“ bellte Oderik seinen Befehl heraus. Alle kamen der Aufforderung nach. Oderik schaute zu Praiofist von Natzungen: „Du nicht!“
Oderik wartete ab, bis der letzte aus dem Schlafsaal verschwunden war. Er wusste Arion von Wulfensteyr vor der Tür, welcher hoffentlich dafür Sorge tragen würde, dass keiner das Gespräch belauschen würde.
„Bist Du eigentlich von allen guten Geistern verlassen worden?“ fragte Oderik schneidend. „Wie kommst Du dazu, Arion einen solchen Brief zu schreiben?“ Er schmiss dem Pagen das Pergament vor die Füße.
Der so Gescholtene schob trotzig das Kinn vor. „Ich will kein Knappe eines solchen Grafen sein!“ antwortete Praiofist.
Oderik trat näher heran. „Nun, Dein Wille ist hierbei nicht von Belang!“
Der junge Natzungen schrie nun mit rotem Gesicht: „Er hat mir alles weggenommen!“
Oderik verpasste dem Jungen eine Ohrfeige. „Ja, Du magst so denken! Er hat Dich aber auch zu Deinem Mündel ernannt! Glaubst Du, er würde akzeptieren, wenn Du hier einfach verschwindest, wie Du es Arion geschrieben hast?“
Praiofist hielt sich die Wange. „Dieser Wetterfelser ist sogar noch jünger als ich! Und ich bin nicht alt genug, um die Baronswürde zu empfangen?“ fragte er trotzig.
„Glaub mir! Die Tatsache, dass ich hier bin, ist die beste Unterstützung, welche Du bekommen kannst!“
„Schöne Unterstützung! Wenn mein Vater hier wäre, würde er dem Grafen schon zeigen, was die Stunde geschlagen hat!“
Oderik holte erneut zu einer Ohrfeige aus. „Du undankbarer Knilch! Du hast es immer noch nicht verstanden.“
Praiofist hielt sich jetzt die andere Wange. „Was soll ich denn verstehen?“ fragte er herausfordernd.
„Wir mögen der Entscheidung des Grafen nicht zustimmen, doch für den Moment werden wir ihn kaum umstimmen können.“ Oderik packte den Jungen nun. „Wir machen uns alle Gedanken um Dich! Und wie dankst Du es uns? Du schreibst Arion, dass Du Dich hier aus dem Staub machen willst!“
Der Junge wirkte nicht überzeugt. „Warum nicht? Wir müssen dem Grafen klar machen, dass wir seine Entscheidung nicht akzeptieren!“
Oderiks Augen drückten Unglauben aus. „Wir? Was glaubst Du Bengel eigentlich, wie viel Unterstützung Du hast? Die Natzunger Familien kümmern sich lieber um ihren eigenen Mist! Sei froh, dass es noch Leute wie Arion und Thallian gibt!“
„Bei Arion würde ich doch unterkommen können!“
Oderik holte erneut aus, doch diesmal beließ er es bei der Androhung einer weiteren Ohrfeige. „Bist Du wahnsinnig? Der Graf hat Dich zu seinem Mündel ernannt. Er wird niemals akzeptieren, wenn Du hier von der Fahne gehst!“
„Und was soll ich dann nach Eurer hohen Meinung tun?“ fragte Praiofist schnippisch.
„Werde jetzt nicht frech, Bursche!“ antwortete Oderik. „Damit eines klar ist. Die beste Möglichkeit, Dein Erbe zu retten, ist nicht gegen den Grafen, sondern nur mit dem Grafen!“
„Ihr verlangt also von mir, dass ich Knappe desjenigen werden soll, welcher mir mein Erbe vorenthalten hat?“
Oderik nickte. „Genau das verlange ich! Für den Moment sollte Deine größere Sorge sein, dass Du den Ritterschlag erhalten wirst. Denk nach!“
„Eine lange Zeit!“ antwortete Praiofist.
„Mag sein! Aber solange Du noch kein Ritter bist, wird man Deine Ansprüche stets anzweifeln können. Wer weiß, was die Zukunft bringt?“ Oderik schaute sich um. „Glaub mir, Du kannst froh sein, dass offenbar keiner Deinen Brief gelesen hat!“
Praiofist wirkte immer noch unzufrieden. Oderik setzte sich nun auf eines der Betten. „Glaub mir, es gefällt mir ebenfalls nicht! Aber für den Moment ist dies der Weg, welchen Du gehen solltest.“
„Und was wird dann zukünftig werden?“, fragte Praiofist neugierig.
Oderik schaute sich erneut um. „Bis dahin wird viel Wasser die Natter heruntergeflossen sein! Wir werden den Grafen beizeiten daran erinnern, dass er auf dem Hoftag sein Wort gegeben hat, Dich angemessen zu entschädigen!“
Praiofist schien tatsächlich langsam zu begreifen. Oderik konnte sehen, wie es in dem Jungen arbeitete.
„Aber dafür muss ich sichergehen, dass Du keine Dummheiten anstellst!“ Oderik schaute sein Gegenüber nun eindringlich an. „Du solltest Deinen Stolz runterschlucken! Lerne und sei dem Grafen ein gelehrsamer Knappe! Nur so werden wir etwas zu Deinen Gunsten ändern können! Verstehen wir uns jetzt?“
Praiofist nickte. „Ich denke schon!“
„Ein Wort als Ritter hat eine gewichtige Bedeutung!“ ermahnte Oderik sein Gegenüber ein letztes Mal und streckte Praiofist seine Hand entgegen. Dieser schlug ein.
