Geschichten:Nimmgalfs 50. Tsatag - Von Schwager zu Schwager

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Von Schwager zu Schwager

Festhalle, ca 22:10h

Nimmgalfs Tanz mit Selinde von Kravetz war gerade beendet, die Gäste wandten sich anderen Attraktionen zu – etwa dem Tanz von Alwene von Schneitzig mit Ritter Darian von Roßsprunk, der eher einem Kampf glich, bei dem Darian den Tanzbewegungen Alwenes auszuweichen versuchte, die wiederum eher Ohrfeigen glichen. Darian war der Sohn ihres Schwertvaters – und das Verhältnis soll nicht ungetrübt gewesen sein, wie die Reichsforster Spatzen immer schon gezwitschert haben.

Selinde kam errötet bei ihrem Ballherrn, dem Grafen an, der ihr neckisch die Hand unter das Kinn legte und schelmisch fragte: „Na, Nimmgalf gefällt dir, was? Rangmäßig ist er nach mir der Zweite – also nur zu. Das heißt – Moment.“ Er nahm seine Hand runter und strich Selinde nicht vorhandenen Staub von der Schulter. „Lieber nicht. Immerhin ist er mit meiner Schwester verheiratet, der Ärmste.“

Selinde schnaubte kurz, doch noch ehe sie eine ihrer schnippischen Antworten geben konnte, hatte Drego sich umgewandt und strebte dem Gastgeber zu.

Einer der Vorteile, Graf zu sein, war der, dass man in seiner eigenen Grafschaft niemals warten musste. Zwar hatte sich Nimmgalf gerade mit Vogtin Kalmira von Plöch unterhalten, der Lehnsherrin des tanzenden Darian, die überdies mit der alten Freundin Melina von Ehrenstein angereist war, doch als Drego kam, wandten sich beide sogleich ihm zu und beendeten ihr Gespräch.

Zu Dregos Vorzügen gehörte, dass er davon nichts mitbekam und selbstverständlich gewartet hätte, bis die beiden sich ausgetauscht hätten, nun aber annahm, dass die Plöch sowieso hatte gehen wollen, als Drego kam, denn die Rubrether Vögtin zog sich zurück. Das Verhältnis zum Grafen nach Rubreth war auch eher komplex: Zwar hatte Graf Drego den Pfortensteiner zum jetzigen Landvogten gemacht (der allerdings gerade in der Fehde mit den Erlenfalls gebunden war). Aber kurz vorher dessen Gattin Melina während der Großen garetischen Fehde entlassen. Egal, Nimmgalf wartete auf den Grafen.

„Na, Nimmgalf, Interesse an der kleinen Kravtz?“, witzelte Drego anzüglich.

„Nicht im Geringsten, Drego. Ich wollte nur der Höflichkeit halber mit ihr tanzen, immerhin ist sie von Hadrumir gerittert worden, wenn ich mich recht erinnere.“ Nimmgalf wirkte keineswegs so lustig wie sein Graf.

„Ach ja, der Heilige Hadrumir, der ist ja auch verschwunden.“

„Auch? Wer denn noch?“, fragte Nimmgalf nach, hatte aber durchaus ein paar Namen im Kopf.

„Wer? Ach so – na ja, wenn ich an Hadrumir und Korgond denke, dann denke ich auch immer an diesen ganzen alten Geschichten, den Mythenkram und die alten Kamellen. Luringan, der Reichsforst, das Gnadenthal und Odo.“ Drego war jetzt auch nicht mehr ganz so lustig, eigentlich hatte er nur ein paar Witze auf Kosten seiner großen Schwester machen wollen, aber jetzt … Odo hatte immer schon die Eigenschaft besessen, das Lachen in seiner Umgebung zu ersticken.

„Der lange Odo?“

„Genau der. Verschwunden.“

„Wohin? Seit wann?“ Nimmgalf war sehr froh, dass Drego ihm das Thema unverhofft servierte – zu fragen hätte womöglich schlafende Hunde geweckt.

„Wohin? Gute Frage. Da müsste man vielleicht Lechmin fragen.“ Drego schnappte sich einen Kelch vom Tablett eines in der Nähe vorbekommenden Dieners.

„Deine Schwester?“

„Ja, die ist ja so dicke mit ihm gewesen. Zum Schluss, ehe er verschwand und dann beim Blutigen Buhurt wieder auftauchte. Und wieder verschwand.“ Drego leerte den Kelch in einem Zug und verzog dann angewidert das Gesicht. „Wasser?“

„Odo ist zweimal verschwunden?“, hakte Nimmgalf nach. „Und da weißt nicht, wohin und warum?“

„Na, das Warum ist nicht so schwer: Er hat doch eine persönliche Fehde mit Rudon, meinem Luringer Landvogt. Und weil Rudon der bessere Fechter ist, musste Odo kneifen. Und das wiederum hat ihn so bei der Ehre gepackt, dass er sich verkrümelt hat. Aber weil die Rechnung eben noch offen ist, zwischen den beiden, sucht Rudon nach Odo.“ Dregos Augen suchten nach einem Tablett mit Weinkelchen, fanden aber offensichtlich keines.

„Das soll der Grund sein, warum der lange Odo so lange verschwunden ist?“, fragte Nimmgalf ungläubig nach.

„Na ja, meine Mutter hingegen, die ja, wie du weißt, leider nicht mehr alle Eisen an den Hufen hat, behauptet, Odo sei gestorben und bei den Ahnen im Reichsforst. Alt genug war er ja, und – weiß Boron – nicht mehr ganz beieinander. Aber so wie Mutter von ihm spricht, scheint er tot und lebendig gleichzeitig zu sein. Eben so wie Hadrumir. Allewetter, nur Wasser?“ Drego stellte den Kelch zurück.

„Aber warum dann Lechmin?“, wollte Nimmgalf wissen.

„Weiß nicht. Odo ist irgendwie bei den Geistern des Waldes und Lechmin auf irgendeiner Queste oder so. Ich sehe sie nicht, höre nur selten etwas von ihr. Soll sich mit Hardane von Doriant duelliert haben, irgendwo im Rallerspfortischen. Eine meiner Ritterinnen. Warum weiß keiner, aber bei Lechmin weiß man sowieso nie. Mensch, stell dir vor, sie hätte ihr Kind bekommen! Das wäre doch trotz seiner unehelichen Herkunft auf der Liste für die Erbfolge der Grafschaft gewesen.“

„Und das hätte dich beunruhigt?“

„Ach was, nach mir der Bergrutsch. Äh … ich meine: Das ist ja nicht mehr so ganz mein Turnier dann. Aber Doktor Baldus sagt … “

„Wer?“, unterbrach Nimmgalf.

Arth Baldus, mein Secretarius. Gelehrter Mann, Doktor beider Rechte. War vorher in Erlenstamm, wo du dich ja jetzt ausbreitest. Der meint, dass Lechmin da so eine Situation … ach, egal. Dafür haben nun so viele Menschen gelitten, da fallen meine Gedanken nicht ins Gewicht,“ Drego fasste nun einen Diener am Arm und befahl ihm, Wein zu holen.

„Doch, doch, Drego. Du bist ja immerhin der Graf, da fallen deine Gedanken schon ins Gewicht. Und wenn diese Gedanken sehr schwer werden, dann frag dich Ederlinde. Der ist kein Gedanke zu schwer. Mache ich auch immer so.“ Nimmgalf lächelte jovial.

Drego lächelte zurück: „Tja, die Schwestern ... weißt du - von Schwager zu Schwager: Wenn Lechmin das nächste Mal auf Luringen sein wird, dann werde ich sie an die Familienehre erinnern und an ihre Aufgaben. Und dann soll sie Rudon heiraten. Der ist ein feiner Kerl. Nein, widersprich nicht, ich weiß, du magst ihn nicht, aber ... Ach weißt du, genug schwere Gedanken heute, Du hast Geburtstag, und den wollen wir feiern. Reden wir einfach nicht mehr über wahnsinnige Mütter, verschollene Schwertmeister, private Fehden und das Unglück der kleinen Schwestern. Ah – hier kommt endlich mein Wein. Prosit, Nimmgalf, alles Gute. Und wenn du die Kravetz … nicht? Na dann: zum Wohl!“