Geschichten:Grauen am Darpat - Diplomatische Beziehungen

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Dramatis Personae


Wache?

Noch während der ersten Wache setze ein leichter Nieselregen ein, so dass sich die Drei etwas unter die Überdachung des Stalles zurückzogen und das Feuer langsam aus ging. Besorgt schaute Kain nach Kor’win. Doch als er feststellte, dass sein Mentor ebenfalls geschützt lag, ließ er ihn dort liegen, da er dessen Vorliebe für das Nächtigen im Freien kannte. Immer wieder erhob sich einer von ihnen und schritt, mit eng übergezogenem Umhang eine Runde um den Turm und den Stall. Alles blieb ruhig….

Leise unterhielten sie sich dabei. Einmal um die Langeweile zu bekämpfen und ein andermal um nicht selbst einzuschlafen. Auffällig hierbei war, dass Kain, der ansonsten kein Kind von Traurigkeit war, keine anzüglichen oder eindeutigen Bemerkungen der Vellbergerin gegenüber machte. Stattdessen schien er eher nachdenklich zu sein, als er sie auf ihre Ansichten hin ansprach.

„Hm? Ich waiß nicht, ob ich mit meiner Frage unheflich bin, doch wirdä ich wohl nicht gut schlafen kennen, so ich keine Antwort dafir habä.“ Kurz schien sich der junge Jäger zu sammeln und sich seine Worte im Geiste zurechtzulegen.

„Auch wenn ich noch nicht viel an Sommär erlebt haben mag, verglichän mit Kor’win oder gar der Marbena von Bergthann, so bin ich duoch viel herum gekommän. Iberall begegnet man Fremden oftmals mit Argwohn odär Ablehnung. Doch wieso in diesär Runde? Wieso habä ich das gefiel, dass ihr Garäthy uns Nebachosia nur duldät wenn iberhaupt?“

Selinde war für einen kurzen Moment sprachlos, diese Art von Gespräch hatte sie nun wirklich nicht erwartet. Kain konnte im Licht des Feuers beobachten, wie die Baronesse auf seine Worte hin mit grüblerischer Miene ins Feuer starrte. Nach einer kleinen Ewigkeit schaute sie dem Nebachoten direkt in die Augen und entgegnete ihm nachdenklich:

„Nein, Eure Fragen sind überhaupt nicht unhöflich und vielleicht ist dies, trotz der widrigen Umstände, sogar ein guter Zeitpunkt und Ort, sich einmal näher kennenzulernen und zumindest zu versuchen, einander besser zu verstehen. Dass Ihr noch recht jung an Jahren seid, ist mir einerlei, ich selbst zähle auch noch keine dreißig Sommer und weiß aus eigener Erfahrung, dass man jemanden nicht nur nach seinem Alter beurteilen darf. Ich denke, der Kern unserer Differenzen – die ich übrigens ausdrücklich nicht als Feindseligkeiten bezeichnen möchte – liegt in unseren unterschiedlichen Kulturen, Lebensweisen und Glaubensvorstellungen begründet. Man muss sich ja nur diese neue Markgrafschaft anschauen: Mit einem Federstrich wurden teils jahrhundertealte Bindungen zerschnitten und zwei Landstriche – das südliche Darpatien und die alte Grafschaft Perricum – zu einem neuen Ganzen vereint, ohne dass man Adel und Volk der Region zuvor gefragt hätte. Bisher lebten wir alle unsere eigenen Leben beiderseits des Darpats; nun aber ist der Fluss keine Grenze mehr sondern fast schon das Herz dieser Provinz.“

Die Baroness starrte wieder ins Feuer: "Auf dem Papier kann man Grenzen mit einem Federstrich ändern, aber solche Änderungen auch in den Köpfen und Herzen der Menschen zu bewirken ist weitaus schwerer und langwieriger. Der Mensch bleibt halt gerne unter seinesgleichen und braucht offenbar eine gewisse Zeit, bis er sich an Neuerungen gewöhnt oder diese gar akzeptiert. Aber ich beginne abzuschweifen: Für mich sind viele Riten, Gebräuche und Glaubensvorstellungen der Nebachoten einfach noch zu fremdartig zu – wie soll ich es sagen – merkwürdig. Dies soll keine Beleidigung sein, aber ich bin in derlei Dingen leider auch nicht sonderlich wortgewandt.“

Die Vellbergerin hielt einen Moment inne, schaute dann Kain wieder an und lächelte. „So gesehen ist diese Jagd, an der Angehörige aller drei Regionen der Provinz – Nebachoten, Garetier und einstige Darpaten – teilnehmen eine sehr gute Gelegenheit, einander näher kennenzulernen, noch dazu völlig frei von irgendwelchen Konventionen oder Zwängen. Ich will nun zumindest versuchen, den Lebensweisen der Nebachoten zukünftig aufgeschlossener begegnen. Das mag zwar eine Weile dauern, aber ich halte mich durchaus für lernfähig.“ Beim letzten Satz war ihr Lächeln einem breiten Grinsen gewichen. „Ich habe übrigens noch ein kleines Krüglein mit einem leckeren Obstbrand. Was haltet ihr davon, wenn wir uns nach unserer Ablösung einen kleinen Schluck zum Einschlafen genehmigen?“

Zunächst dachte der junge Nebachote über die Worte der Baroness nach. Zu fremdartig? Merkwürdig? Wieso konnten dann sie – die Nebachoten – die Verhaltensweisen der Raulschen so einfach akzeptieren? Wieso ging es nicht umgekehrt? Als die Vellbergerin jedoch auf den Obstbrand zu sprechen kam, mußte auch Kain lächeln. Also hatte er doch Eindruck bei ihr gemacht. „Gärne, ich bin auch gärne bereit, bei Fragen, die unsär Verhalten betreffen Auskunft zu gäben.“ Kain rutschte etwas näher zu Selinde heran. „Sagt, gibt äs eigentlich schon einen, där Eurä Kämmenate bewacht?“

Fast hätte die Baronesse sich an dem Obstbrand verschluckt, als Kain ihr seine letzte Frage stellte. 'Dieser Schlingel!' schoß es ihr durch den Kopf. Irgendwie war diese Dreistigkeit bewundernswert! Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen antworte sie dem Nebachoten: „Danke der Nachfrage, aber bisher war eine Bewachung noch nicht notwendig. Sollte dem aber irgendwann so sein – ihr Grinsen wurde noch eine Spur breiter – so komme ich gerne darauf zurück, ebenso wie auf Euer Angebot mir bei Bedarf mehr über euer Volk zu erzählen. So, aber nun wird es wohl allmählich an der Zeit, daß wir zumindest versuchen, eine Mütze voll Schlaf zu bekommen.“

Etwas enttäuscht verzog Kain das Gesicht, bevor er eine etwas herausfordernde Miene auflegte, denn so leicht wollte er sich nicht abspeisen lassen „Habt Ihr Mut fir ein Abenteuär?“

Selinde mußte sich mit ganzer Kraft zusammennehmen um nicht loszulachen, denn sie konnte sich die Art dieses ‚Abenteuers‘ ziemlich genau vorstellen. Stattdessen setzte sie eine Unschuldsmiene auf und fragte mit mehr oder weniger überzeugenden unschuldigen Tonfall: „Das kommt darauf an. Woran dachtet Ihr denn?“

„Najaaa...“ Kain zog die wenigen Buchstaben übertrieben in die Länge und beugte sich langsam immer näher zu Selinde, während er mit den Augen versuchte ihren Blick einzufangen. Dabei legte auch er einen – recht übertriebenen – unschuldigen Blick auf. „Wir kennten direkt an där Verständigung und dem Verhaltänsaustausch unsärer beiden Velker arbeiten.“

Die Vellbergerin war durchaus versucht, dieses ‚Verständigungsangebot“ anzunehmen, denn Kain faszinierte sie auf eine gewisse Art und Weise durchaus. Allerdings war sie Offizierin genug, um trotz aller Gefühle zu realisieren, daß dies weder der rechte Ort noch die passende Zeit für ein Stelldichein waren. Aber vielleicht ja später …

„Gerne würde ich die Kontakte unser beider Landsmannschaften intensivieren“, antwortete sie lächelnd, „allein, wir haben hier leider noch genug zu tun und das Monstrum schleicht vermutlich auch noch irgendwo herum. Ich bin aber des öfteren in Perricum; vielleicht können wir uns dort einmal zum näheren Austausch treffen.“

„Zum vertiefen mag dies gut sain.“ Flüsterte Kain. „Duoch kennen wir jetzt schon etwas lernen.“ Seine Lippen waren jetzt ganz nahe an den ihren. „Während Ihr Raluschen bedänkt wuas morgän eventuell sain kann, läben wir Nebachoten im Jetzt und im Hier. Wär weiß schon ob wir morgän noch beide leben? Vielleicht erwischt mich das Untier und dann wirdä ich stärben, ohne Euch behilflich gewäsen zu sain.“

Der junge Nebachote fixierte Selinde förmlich mit seinem Blick und fragte jetzt ehrlich interessiert. „Habt Ihr eigentlich einä Tätowierung?“

Die Vellbergerin mußte bei der letzten Frage Kains leise kichern und legte ihm den Finger auf die Lippen. Wieso eigentlich nicht, dachte sie sich, der junge Nebachote schien interessant zu sein und für Kurzweil zu sorgen. Leise flüsterte sie ihm ins Ohr:

„Findet es doch heraus!“ Kain ließ sich das nicht zweimal sagen und warf sich fast vor Leidenschaft auf Selinde. Die Barnoess erwiderte den Kuss des Jägers, und drückte ihn dann aber wieder von sich weg.

„Nicht hier!“ Flüsterte sie, stand auf und führte Kain hinter das Haus, wo die Holzvorräte unter einem kleinen Vordach gelagert wurden und sie Kain bestimmend gegen die Holzscheite drückte.

„Habt Ihr denn eine?“ Fragte sie leise und übertrieben unschuldig bevor sie sich den leidenschaftlichen und fordernden Küssen und Liebkosungen Kains hingab. Geschickt fanden Kains Hände ihren Weg unter Selindes Lederkleidung, während sie selbst dafür sorgte, dass Kain nicht zuviel Stoff am Körper behielt. Dann hielt Kain kurz inne. Sein Atem ging stoßweise und auch Selindes Brust hob und senkte sich im gleichen Rhythmus, als sie eng an ihm gedrückt da stand. Als sie ihn fragend anblickte, lächelte er und fing jetzt an ihren Köper langsamer und zärtlicher zu erkunden. Erst mit den Augen, dann mit den Fingern und schließlich mit den Lippen. Selinde stöhne vor Verzückung auf, bevor Kain wieder leidenschaftlicher und erneut fordernder wurde und sich über sie aufrichtete.

„Ihr Raulsche schmeckt sähr gut und fielt euch sähr gut an.“ Meinte er bewundernd. „Wir solltän das aingehendär vertiefen.“

Mit einem gespielt übertrieben wohlwollenden Blick, gab sie ihm ihre Zustimmung und schloß die Augen, bevor sie ihm gewährte, dass sie in diesem Augenblick gemeinsam Rahja opferten….
Als sie später beide erschöpft und schweißüberzogen auf den ausgebreiteten Mantel Kains zum liegen kamen, schwiegen sie eine Zeitlang eng aneinandergeschmiegt. Am Stand der Sterne konnten sie erkennen, dass einige Zeit vergangen sein mußte.

Selinde mußte dann jedoch ein Kichern unterdrücken, als sie sah, dass Kain wirklich tätowiert war. Jeweils eine Rose verlief seitlich an seinem Oberkörper und ‚blühte‘ auf Höhe seines Brustkorbs, während die dornigen Enden an seinem besten Stück zusammenliefen und dieses förmlich umschlangen.


„Ich bin mir nicht sichär, ob ich alles verstandän habe.“ Flüsterte der Nebachote. „Wir sollten dies – nur zur Sicherheit – nochmal wiedärholen. Heutä, morgen und eventuell auch dann noch ainmal. Ich habä gehert, dass diplomatischä Beziehungen langwierig sain sollen.“

Selinde hatte dieses Stelldichein zwar ebensosehr genossen wie Kain, doch war sie – derzeit jedenfalls – nicht gewillt, sich in irgendeiner Form zu binden, auch wenn sie den jungen Nebachoten sehr mochte.

„Kain“, antwortete sie lächelnd, „zwar bin auch ich immer für diplomatische Lösungen zu haben, allein: Alles zu seiner Zeit! So angenehm diese ‚Verhandlungen‘ auch waren, ich denke, wir sollten sie nun zumindest fürs erste als abgeschlossen betrachten, zumal deren Ziel ja erreicht wurde. Vielleicht können wir ja in einigen Monden bei passender Gelegenheit ‚nachverhandeln‘.“ Der Baronesse war natürlich klar, daß Kain dies sehr wahrscheinlich nicht so ohne weiteres akzeptieren würde, weshalb sie ihm erst keine Gelegenheit zu einer Erwiderung gab, sondern sich direkt zum Schlafen hinlegte.


Hündische Ergebenheit

Marnion machte seine letzte Runde. Er hatte Kor`win und Alexis schon zu deren Wache geweckt. Als er durch den Stall schritt konnte er nicht umhin Leomara zu betrachten. Sie hatte eine Decke über sich gebreitet, so das er mehr erahnen konnte, das sie alle viere von sich gestreckt, ganz entspannt schlief. In der Pferdebox neben ihr hatte es sich der Knappe Unswin bequem gemacht.

Im Schlaf lag er so weit wie nur irgend möglich an der Bretterwand die ihn von Leomara trennte, eine Hand hielt das Brett zärtlich umfasst hinter dem Leomaras Kopf ruhte. Dieser Junge verhielt sich wie ein Hund. Marnion rieb sich die Stirn. Seltsamerweise verhielt sich Leomara Unswin gegenüber geradezu auffallend neutral. Er war wohl am ersten Abend doch nicht so falsch gelegen. Verstehen könnte er das nicht. Der Knappe war ja noch nicht einmal ein richtiger Mann und nun wahrlich keine Schönheit. Der Junker ließ von diesen sinnlosen Gedanken ab, als er Leomara abermals betrachte. So friedlich lag sie da. Immerhin konnte der Knappe ihr von Nutzen sein, wenn es darauf ankam würde er sie wohl mit seinem Leben beschützen, während sie Marnion kaum längere Zeit in ihrer Nähe wissen wollte. Just in diesem Moment hörte der Junker leises Wispern. Das konnte nur von Leomara kommen, sie sprach im Schlaf. Marnion konnte nicht anders, er trat einen Schritt näher um zu verstehen was sie da sagte.

Die leise gemurmelten Worte waren bis auf „Nein“ und „Qanion er...“ für ihn völlig unverständlich gewesen. Sie war unruhig geworden, und wälzte sich im Stroh herum.

Dann verlies er den Stall und bereitete sich neben Kor’wins Schlafplatz ein trockenes Plätzchen im Freien.

Er zumindest suchte nicht wie ein Hund zu Leomaras Füßen zu liegen. Sie würden aus freien Stücken beieinander liegen oder gar nicht. Schnell schlief Marnion ein, mit dem Schwert in der Hand wie er es gewohnt war.

Die restliche Nacht verlief weitestgehend ereignislos. Irgendwann hörte der leichte Regen auch wieder auf und die Schlafenden wurden pünktlich zu ihren Wachen geweckt.



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Texte der Hauptreihe:
1. Rah 1032 BF
Diplomatische Beziehungen
Taktische Überlegungen


Kapitel 33

Ablösung naht
Autor: Eslam, Hermann K.,Marcus F.,