Geschichten:Familiengeschichten aus Hartsteen - Das Haus Quintian-Quandt

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Festung Feidewald, Praios 1047 BF

Werdomar hatte Duridanya und die Kinder endlich wegscheuchen können, ohne dass dies gegenüber seinem Bruder oder Lechdan wie ein Affront wirken mochte. Auch Angrodora hatte sich zurückgezogen und den drei Männern das Feld überlassen. Werdomar bedeutete dem jungen Dienstmädchen, dass sie Wein in die Kelche nachfüllen solle. Jetzt ging sein Blick zu Anselm, welcher es sich in Werdomars Lieblingssessel bequem gemacht hatte. Verärgert nahm Werdomar im Sessel gegenüber Platz.

Anselm wartete geduldig, bis sein Kelch gefüllt war. Lechdan stand am Fenster und beobachtete die untergehende Sonne. Seine Hände hatte er hinter dem Rücken verschränkt. Anselm fragte: „Garetien hat also einen Großfürsten. Wie lebt es sich denn unter Alderan von Gareth?“ Die Frage war an keinen der beiden anderen Anwesenden speziell gerichtet, trotzdem drehte Lechdan den Kopf zur Seite und sprach über die Schulter: „Tatsächlich hat sich nicht so viel geändert!“ Werdomar schnaubte verächtlich. Anselm schaute neugierig zu seinem Bruder und auch Lechdan drehte sich fragend um. Werdomar zuckte mit den Achseln. „Kommt schon, habt ihr beiden euch nie gefragt, wie das alles zu bezahlen ist?“

Er stand nun auf und ging dozierend durch das Zimmer. „Für den Moment sind alle zufrieden und glücklich! Schließlich hat der Adel den Großfürsten gefordert – zumindest in vielen Teilen. Aber sehen wir doch der Realität ins Gesicht!“ Lechdan bedeutete ihm fortzufahren. „Neben wir gerade diesen selbstverliebten Landadel, welcher uns hier in Hartsteen schon genug Sorgen bereitet hat. Jetzt jubeln sie alle über den Großfürsten, doch frage ich, was passiert, wenn der Großfürst mit seiner Entourage anreist und sie dafür aufkommen müssen?“ Anselm putzte sich hektisch seine Brille. „Das sind gefährliche Reden, Bruder?“ Werdomar trat an seinen Sessel heran und beugte sich zu ihm herunter. „Was ist daran gefährlich? Schau sie dir doch an! Hirschenrode! Schallenberg! Allingen! Bärenau! Steinfelde! Wulfensteyr! Schwingenfels! Die sind alle gleich! Sitzen auf ihren Gütern und gebären sich als die Herren des Landes.“ Anselm wirkte verwirrt. „Aber sie sind die Herren dieser Ländereien?“ entgegnete er. Werdomar lächelte und nahm einen Schluck vom Wein. „Das sagen sie sich wahrscheinlich auch jedes Mal, bevor sie sich des Abends zu Bett begeben. Doch, ich verrate dir etwas, Bruder!“

Er ging an seinen Schreibtisch und holte einige Dokumente hervor. „Diese Familien sonnen sich gerne in ihrem Glanz!“ Er schmiss die Dokumente auf den Tisch vor sich. „Doch in Wahrheit stehen sie tief in der Kreide. Und wenn dann der Großfürst sie an ihre Pflichten als Vasallen erinnern wird, dann kommen sie aus ihren Löchern gekrochen!“ Anselm und Lechdan schauten erstaunt auf die Schuldscheine, welche sich auf dem Tisch vor ihnen ausbreiteten. Werdomar setzte sich zurück auf seinen Platz und leerte seinen Kelch. Düster sprach er weiter: „Dann werden sie weinen und wimmern, dass sie das alles nicht bezahlen können. Mal sehen, ob sie dann immer noch über den Großfürsten jubeln!“ Lechdan schaute vorsichtig von Anselm zu Werdomar. „Du meinst, dass dann die Fragen kommen werden, ob man einen Großfürsten braucht?“ Werdomar nickte immer noch düster. Anselm räusperte sich merklich. „Eigentlich bin ich nicht hierhergekommen, um die garetische Politik mit euch beiden zu bereden.“ sprach er ruhig. Werdomar nickte. „Du hast recht, Bruder! Ich habe mich hinreißen lassen!“ Lechdan verschränkte seine Arme. „Und trotzdem hast du einen interessanten Punkt angesprochen, über welchen ich tatsächlich noch nicht nachgedacht habe.“ Er wirkte nachdenklich und schien zu überlegen. „Trotzdem sollten wir uns nicht zu viele Gedanken über ungelegte Eier machen. Anselm, Du sprachst davon, dass Du familiäre Dinge klären möchtest?“ Anscheinend hatte Anselm nicht damit gerechnet, dass Lechdan das Thema so schnell wechseln würde. Er putzte aufgeregt seine Brille und schob diese nun wieder auf seine Nase.

„Nun, wie ihr beiden ja wisst, hat mich Markgraf Sumudan seinerzeit als Baron bestätigt. Seitdem ist einige Zeit vergangen und ich sollte mir ernste Gedanken darüber machen, wie es zukünftig mit der Baronie weitergehen soll!“ Lechdan drehte sich nun den beiden Brüdern zu, während Anselm weiter ausführte. „Ich meine damit auch die Frage nach meinem Erben!“ Lechdan blickte vorsichtig zu Werdomar und versuchte dessen Reaktion zu lesen, doch schien dieser nicht wirklich zu merken, worauf Anselm hinauswollte, denn er fragte nur: „Ist Deine Gemahlin denn schwanger?“ Lechdan überlegte, ob Werdomar hier bewusst den unwissenden vorgab oder er sich tatsächlich mit der Frage noch nie beschäftigt hatte, was geschehen würde, wenn Anselm etwas zu stoßen würde. Lechdan selbst stand vor ganz ähnlichen Problemen, da zu erwarten war, dass seine Gemahlin nicht mehr schwanger werden würde. Ganz zu schweigen davon, dass man sich für eine Schwangerschaft auch öfters im Jahr sehen müsste. Anselm winkte nun ab: „Nein, ich fürchte, selbst wenn ich einen Drachenhort an die Herrin Tsa spenden würde, wird Angrodora nicht mehr Tsas Segen erfahren.“

Lechdan schnaubte. „Tja, ich fürchte unsere Familie ist nicht gerade dafür berühmt, ihre Angelegenheiten geordnet zu regeln.“ Werdomar verdrehte leicht genervt die Augen. „Wollen wir jetzt schon wieder in der Geschichte der Grafen aus unserem Haus wühlen?“ fragte er sichtlich genervt. Lechdan schüttelte leicht den Kopf: „Eigentlich wollte ich damit nur sagen, dass sowohl Anselm als auch ich nicht unbedingt die beste Wahl getroffen haben, wenn es darum geht, dass unsere Gemahlinnen noch Kinder in die Welt setzen sollen.“ Werdomar machte eine wegwerfende Geste mit seiner Hand und meinte leise: „Dies wird bei keiner von beiden geschehen!“ Lechdan nickte bestätigend. „Eben! Deshalb macht es durchaus Sinn, dass Anselm mit Dir reden will!“

Werdomar, welchem natürlich durchaus bewusst war, dass er der nächste lebende Verwandte seines Bruders war, tat nun überrascht. Weder Lechdan noch sein Bruder hatten seine Scharade durchschaut. Mit überraschtem Gesichtsausdruck fuhr er fort: „Oh, jetzt verstehe ich! Aber das bedeutet ja…“ Er ließ den Satz bewusst unvollendet. Lechdan sprang ihm bei: „Es bedeutet, dass Radromsbusch an dich gehen würde oder an deine Kinder!“ Er schaute zu Anselm. „Oder übersehe ich irgendwen in der Erbfolge.“ Anselm räusperte sich. „Nun, es gäbe da noch unsere Kusine Luitperga und deren Kinder.“ Werdomar musste sich innerlich zügeln, bevor er schnell, aber bewusst beiläufig einschob: „Nach dem Recht wären ich und die Kinder aber die näheren Verwandten!“ Anselm nickte.

„Aber dein Ältester ist bereits dein Erbe!“ warf Lechdan nun ein. Werdomar lächelte still in sich hinein, denn seitdem sein Bruder davon gesprochen hatte, dass er einen Erben suche, wusste er, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde, weshalb er jetzt ruhig sprach: „Aber die kleine Thalmare ist dies nicht!“ Wieder nickte Anselm. „Und deshalb würde ich sie gerne per Testament als meine Erbin einsetzen!“ Werdomar blieb ruhig und sprach gelassen: „Nun, wenn das so ist, bin ich gerne einverstanden!“

Lechdan klatschte in die Hände. „Sehr gut! Ich wusste, dass ihr zwei euch in diesem Punkt schnell einig werdet!“ Er nahm jetzt einen Schluck vom Wein. „Wie schaut es denn eigentlich mit der Ausbildung der Kinder aus?“ wandte er sich an Werdomar. „Nun, Parinor ist als Page bei Elvena von Hartsteen beschäftigt.“ Ein positiver Effekt dieser Vereinbarung war für Werdomar, dass er meist genau über die Vorgänge in der Unterburg Bescheid wusste. Schließlich war ihm diese Elvena auch als Aufpasserin vor die Nase gesetzt worden. Beiläufig fragte Lechdan nun weiter: „Nun, das ist doch perfekt! Dann könnte doch Thalmare als Pagin mit Anselm reisen!“

Werdomars Herz krampfte sich zusammen. Sein kleiner Goldengel sollte mit seinem Bruder in die Warunkei reisen. Das ging doch nicht! Er versuchte seine Gedanken zu sammeln, als Lechdan schon weitersprach: „Ich denke, so lernt sie schon einmal das Land und die Leute kennen, wenn Anselm sie wirklich als Erbin einsetzt!“ Ein Ausweg! Werdomar brauchte einen Ausweg! „Aber Anselm ist doch noch nicht einmal ein Ritter!“ erwiderte er endlich und freute sich innerlich über diesen Einfall. Lechdan verzog leicht die Miene, doch ehe er etwas erwidern konnte, meinte Anselm: „Nun, was eine ritterliche Ausbildung angeht, so ist mein Vogt ein Hartsteener Ritter.“ Werdomar schaute entgeistert von Anselm zu Lechdan. „Doch nicht etwa dieser Schwingenfelser, welcher dich seinerzeit nach Warunk begleitet hat?“ entfuhr es ihm. Anselm nickte. „Genau der! Ich habe ihn für seine Verdienste bei der Rückeroberung zum Junker ernannt!“ Werdomar sank in sich zusammen. Wie hatte man ihn so ausmanövrieren können?

Lechdan schaute triumphierend zu Anselm. „Das ist doch perfekt! Ich trinke auf die heute getroffene Absprache!“ Damit erhob er seinen Kelch und prostete sowohl Anselm wie auch Werdomar zu. Werdomar erhob ermattet seinen Kelch und schaute ausdruckslos in den Raum. Lechdan ignorierte ihn und leerte seinen Kelch in einem Zug. Dann wandte er sich zum Gehen.



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15. Pra 1047 BF
Das Haus Quintian-Quandt
Anselm von Wetterwend


Kapitel 60

Nacht über Feidewald