Geschichten:Tief getroffen nach dem Teckelwitzer Treffen

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Schloss Lythokk, 11. Phex 1043 BF

Mittlerweile hatte sich der Hof des Schlosses mit Reichsforster Reitern mehr als gefüllt. Einzelne Waffenknechte hatten bereits begonnen, aus den Katen und Nebengelassen herauszuholen, was zu gebrauchen war. Das Schloss selbst, gelegen hinter einem Wassergraben und umgürtet von gefälligen Rosenbüschen, war den Offizieren und Reiterführern vorbehalten. Dies war das letzte Kommando der Kommandierenden in der Schlacht gewesen, denn Selinde Lechmin von Cronenfurt war am Ende des Treffens ihren Wunden erlegen. Lythokk sei zu schonen, soweit es gehe, da die Hausherrin Lamea von Teckelwitz ¬ Fehde hin, Fehde her – bei Zwingstein ihre Frau gestanden habe, was man zu ehren habe.

Eben trugen Gerrik von Sandelbruch und Duridanya von Koboldsaue vorsichtig eine Truhe aus einem Seitenflügel des Schlosses, darauf silberne Pokale balancierend, die lustig im Licht der Mittagssonne blinkten, als ein scharfer Befehl die beiden traf: „Stehen lassen, Ritter, und wieder reintragen. Befehl ist Befehl!“ Ritter Gerrik zuckt so heftig, dass die Pokale lärmend auf den Kies schepperten, während Ritterin Duridanya erschrocken den Mund aufsperrte.

Mit wenigen Schritten war Ederlinde von Luring heran und versetzte dem raffgierigen Ritter einen schmerzhaften Knöchelschlag auf den Arm.

„Wo ist mein Bruder?“, fragte sie herrisch, aber die beiden Ritter zuckten die Achseln und sammelten die Pokale wieder ein. Ederlinde stürmte nach drinnen und bahnte sich ihren Weg durch zahlreiche weitere Reichsforster, die allerdings keine langen Finger mehr machten. Es war auch nicht mehr viel zu holen. Durch einen schönen Saal, in dem offensichtlich einmal Spiegel gehangen hatten - zweifellos Luringer Fertigung – gelangte sie auf eine Terrasse, auf der zahlreiche Ritterinnen und Ritter beieinander standen, aus langhalsigen Gläsern Schaumwein oder Branntwein tranken – je nach Bedarf -, ihre Wunden leckten und vor allem ihre Großtaten herausbrüllten. Lautes Gelächter brandete auf, just als Ederlinde aus der Pforte trat. Wider besseres Wissen fühlte sie sich bloßgestellt, obwohl es nicht ihr gegolten haben konnte.

Da stand Drego – umringt von Claqueuren, Scharfmachern und den üblichen Verdächtigen. Unerhört – Irion von Pfortenstein klopfte seinem Grafen gerade kameradschaftlich auf die Schulter, und Drego lachte dazu. Franwin von Luring-Franfeld und Jellina von Folterdingen bogen sich vor Lachen, Phexla von Erlenfall kicherte, Barmbold von Nuzell hielt sich den Bauch, auch wenn er eine blutige Bandage um den Kopf trug.

Drego!“, rief Ederlinde scharf und sah erst jetzt, als ihr Bruder sich fast erschrocken umwandte, dass er einen tiefen Schnitt neben dem klinken Auge abbekommen hatte, um den sich bisher offenbar noch kein Heilmagier gekümmert hatte.

„Drego, komm mit.“ Mit wenigen Schritten hatte sie ihren Bruder beim Arm gepackt und die paar Stufen in den Park gezogen. Drego sah aus, als hätte man ihn mit kaltem Wasser übergossen.

„Was ist, Schwester? Was machst du hie rund nicht in Luring?“

„Das gleiche könnte ich dich fragen. Wir haben schon oft darüber geredet: Du sollst dich zurückhalten, vorsichtiger sein! Du bist der Graf, Menschenskind!“, mahnte Ederlinde.

„Ja, genau. Deshalb werde ich doch mitkämpfen müssen. Wir führen diese Fehde doch für unsere Familie, für Lechmin.“ Ein Schwung Begeisterung kehrte in Drego zurück, um sogleich von Ederlinde erstickt zu werden

„Lechmin? Lechmin wird diesem Gräflein, das ihre Träume von Mutterschaft zerstört hat, ihre eigene Fehde erklären, Drego. Sie wird das Hartsteenchen zum Duell aufs dritte Blut fordern und Kiesel aus ihm machen. Dafür braucht es keine Fehde der Häuser. Außerdem ist sie seit Monden verschwunden, wie du weißt. Und deine Freunde ‚suchen‘ sie, wenn ich richtig informiert bin.“

„Ja, sie suchen sie, sofern sie nicht in der Fehde kämpfen. Wie ich. Vater hätte doch auch mitgekämpft, bei seinen Leuten. Den Leuten sogar voran! Das ist doch viel gefährlicher, als mit dem Reiterbann zu reiten“

„Ja, Drego, wäre es. Wenn nicht Vater Danos der Ritterliche gewesen wäre, von Rondra behütet. Den hätte keiner mit der Armbrust vom Pferd geholt oder hinterrücks im Getümmel erschlagen. Vater hat sein Leben so geführt, dass er in jedem Kampf ritterlich gefordert worden ist.“

„Genau – wie in seinem letzten Kampf“, setzte Drego beleidigt entgegen.

„Das war ein anderer Feind. Du bist nicht Drego der Ritterliche, Drego.“

„Nein, man nennt mich ‚den flinken Drego‘!“, erwiderte Drego stolz.

„Ich habe auch schon etwas vom windigen Drego gehört. Das passt auch besser, du verpasst nämlich ein paar wichtige Dinge, während dir der Wind der Attacke um die dumme Nase weht.“

„Dumm? Ihr nennt den Grafen dumm?“, schaltete sich eine tiefe Stimme ein. Rudon von Zwillingstein hatte sich zu ihnen gestellt, ohne dass die Geschwister es gemerkt hätten.

„Haltet Euch da heraus, Rudon, Eure gespaltene Zunge ist hier nicht erwünscht“, zischte Ederlinde ihn an.

„Nana, Hochgeboren. Ihr teilt heute ganz schön aus. Dabei haben wir heute einen schönen Kampf gehabt und das Feld siegreich verlassen.“ Rudon ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Ihr teilt nie aus, Rudon, Ihr sackt nur ein, was Ihr kriegen könnt“, entgegnete Ederlinde, die nun ebenfalls zu gefährlicher Ruhe kam, einer Ruhe, auf der der Raureif glitzert.

„Jetzt bitte nicht streiten“, ging Drego dazwischen, „wir feiern hier immerhin einen großen Sieg in dieser Fehde. Lythokk hat alles zu bieten, was man dazu benötigt.“

„Ein Sieg, Drego? Die Cronenfurt ist gefallen, Marisa von Trullen ist tot, Vaters Knappin. Und wo sind Vaters treueste Vasallen?“

„Na hier“, meinte Drego.

„Das sind deine Kumpels, Drego, die die auf die Schulter klopfen, als wärest du eine von ihnen.“

„Ich bin einer von ihnen“, sagte Drego gekränkt.

„Nein, bist du nicht. Du bist der Graf vom Reichsforst. Ein Luring. Und das hier ist kein Spiel, sondern blutiger Ernst.“ Ederlinde beschwor ihren Bruder.

„Was habt Ihr denn, Hochgeboren. Wäre es Euch nicht ganz recht, wenn Drego fiele. Immerhin erbte dann Euer Töchterchen ...“, Rudons Stimme troff vor Hohn.

„Wagt es nicht, Spinne“, grollte Ederlinde kalt.

„… eine halbe Hirschfurten, wie ihr.“

„Ja, eine halbe Hirschfurten. Die Hirschfurten sind die treuesten Vasallen der Grafenkrone seit Generationen. Ihr seid ein Emporkömmling, ein Nichts.“

„Wo ist denn Euer Gemahl? Nimmgalf der Große?“, fragte Zwillingsstein scheinheilig.

„Drego, erlaub ihm nicht, so mit mir und von Nimmgalf zu sprechen“, wandte sich Ederlinde an Drego.

„Na ja“, Drego runzelte die Stirn. „Wo ist Nimmgalf denn?“

„Er steht ebenfalls im Feld, in dieser unseligen Fehde, in der du Freund und Feind nicht mehr auseinander hakten kannst.“

„Ja, aber wo?“

„Ich weiß es nicht. Aber wo er auch steht, er steht hinter dir, das weißt du doch. Das hat er immer getan – in allen Kämpfen und Schlachten, seit Nimmgalf ein Schwert führen kann, tut er es unter unserem Banner.“

„Du hast recht, Schwester. Rudon, red nicht schlecht von Nimmgalf. Er ist einer der Treuesten. Und eine Stütze der Grafschaft.“

Rudon nickte, hob an, schwieg, hob erneut an. Schwieg erneut.

„Guck, was das Haus Hirschfurten in dieser Fehde schon alles investiert hat – nachdem es schon die Randersburg verloren hat. Statt dankbar zu sein, lässt du dir von dieser Spinne hier so leicht Zweifel einflüstern.“

„Ich bin dankbar, Schwester.“

„Hochgeboren, erst vor kurzem hat er einen seiner treuen Weggefährten zum Baron von Schwarztannen ernannt, aus Dankbarkeit“, warf Rudon ein.

„Wen? Fredalf? Er hätte es verdient“, sagte Ederlinde.

„Fredalf ist tot, Hochgeboren, wusstet Ihr das noch nicht“, klärte Rudon sie mokant auf.

Sie schwieg betroffen. „Fredalf … tot? Wann?“

„Schon im Boron. In Hirschfurten übrigens.“ Rudon blickte sie ernst an. „Es wundert mich, dass Ihr noch nichts darüber wusstet.“

„Es tut mir so leid, Schwester. Fredalf war ein guter Kerl. Ich dachte, du wüsstest es schon.“

Ederlinde schüttelte traurig den Kopf. Sie schwiegen, von der Terrasse dröhnte weiter das Gelächter der vermeintlichen Sieger, von denen dennoch alle wussten, dass das Teckelwitzer Treffen eher unentschieden ausgegangen war, obschon Reichsforst eine riesige Streitmacht zusammengezogen hatte.

„Wer?“, nahm Ederlinde das Gespräch wieder auf.

„Wer was?“, fragte Drego arglos.

„Wer Schwarztannen bekommen hat, Drego“, präzisierte Zwillingstein.

Drego von Altjachtern“, sagte Drego von Luring.

„Drego wer?“

„Drego von Altj….“

„Ich habe den Namen verstanden, Bruder. Ich hoffe, du bist dir im Klaren darüber, dass Deine Dankbarkeit wohl dosiert sein sollte. Eine Baronie für einen Niemand könnte ein bisschen … übertreiben wirken.“ Ederlinde war zu ihrer überlegenen Kälte zurückgekehrt. In diesem Ton erteilte sie gerne politische Nachhilfe. Und zwar die ungebetene Nachhilfe.

„Das ist des Grafen Angelegenheit, wen er belehnt. Gerade in Zeiten der Fehde“, sekundierte Zwillingstein. „Er kann belohnen, wen er will.“

„Dass er das kann, weiß ich, Ihr seid ein lebendiges Beispiel dafür, dass er das kann. Und dafür, dass er das nicht sollte.“

„Moment, Schwester, das sind Freunde der Familie. Treue Vasallen.“

„Drego, siehst du nicht, dass Belohnungen so wichtig sind wie Bestrafungen? Vielleicht wichtiger? Bedenke, wer jetzt alles leer ausgegangen ist für einen Altjachtern. Zum Beispiel die ganze Familie Schwarztannen, die Einfluss hat und viele Schwertarme.“

„Oder das Haus Hirschfurten …“, ließ Zwillingstein fallen.

„Oder das“, bestätigte Ederlinde.

„Wem gibst du Rubreth?“

„Das habe ich noch nicht entschieden, Schwester“, antwortete Drego, doch wandte sich sein Blick zur Terrasse, wo offenbar der oder die bereits Auserwählte stand.

„Drego!“, ermahnte Ederlinde. „Schau dir genau an, wer bisher in der Fehde bezahlt hat, wer wie viel noch bezahlen kann – und wer es dir heimzahlen kann.“

„Zum Beispiel das Haus Hirschfurten …“, ließ Zwillingstein abermals fallen.

„Zum Beispiel dieses“, bestätigte Ederlinde.

„Wollt Ihr dem Grafen etwa drohen, Hochgeboren?“ Zwillingstein erhob die Stimme.

„Was geht es Euch an, Spinne. Packt Euch und kriecht zurück unter den Stein, von wo Ihr herkommt.“

„Ich fand auch, dass das irgendwie bedrohlich klang, Schwester.“

„Weil es bedrohlich ist, Drego. Was glaubst du denn? Dass die alten Vasallen dir in jede noch so trübe Schlacht folgen, wenn du ihnen nicht erklärst warum? Drego, du bist nicht unser Vater!“

„Das habe ich heute oft genug von dir gehört, Schwester. Du bist auch nicht unser Vater. Und nicht meine Mutter.“

„Drego, hör doch zu …“

„Nein, ich habe jetzt keine Lust mehr, dir zuzuhören. Rubreth geht an Phexla von Erlenfall. Und diese Wahl wird dir ja wohl gefallen, denn die Familie ist groß, einflussreich und hat Schwarztannen eben nicht bekommen. Und basta.“

„Drego …“

„Basta!“

Ederlinde verstummte und zwang sich, ruhig zu bleiben. Dann drehte sie auf dem Hacken und ging. Kurz vor der Treppn zur Terrasse, auf der mittlerweile so mancher Gast zum Zuschauer des Geschwisterstreites geworden ist, drehte sie sich noch einmal, am: „Du, Rudon, sollst mir nicht mehr unter die Augen treten, Wurm.“

„Danke für noch einen Tiernamen, Hochgeboren!“, spottete Zwillingstein mit größter Selbstbeherrschung. „Wie nennt Ihr Euren Gatten so?“

Gelächter erscholl, und Ederlinde begriff, dass es jetzt durchaus ihr galt. Wie weit war es gekommen, dass des Grafen Schwester derartig gedemütigt werden konnte, während der Bruder zusah?

Drego aber sah nicht mehr zu, er war tiefer in den Park gegangen - offenbar plagte ihn schon jetzt wieder sein schlechtes Gewissen, denn Streitereien ertrug er nicht gut.

„Ihr wollt bezahlt werden, Hochgeboren? Rotkrähenborn ist noch frei. Vielleicht könnt Ihr dort Herzogin werden?“, spottete Zwillingstein erneut.

„Vielleicht kann ich das“, entgegnete Ederlinde ruhig. „Aber hier bin ich fertig.“

„Dann Herzogin Ederlinde von Luring zu Rotkrähenborn?“

„Ederlinde von Hirschfurten. Gehab dich wohl, Bruder.“