Geschichten:Steinfelder Zahlen

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Wirtshaus Schwarzer Steiger, Markt Hutt; 04. Travia 1044 BF

„Und, Bruderherz? Wie ist es dir in Perricum ergangen?“, erkundigte sich Praioswald von Steinfelde neugierig bei seinem Zwillingsbruder, der bereitwillig, wenn auch in der ihm eigenen Kürze, Auskunft gab: „Drei interessante Bekanntschaften habe ich gemacht: die Hochgeborenen Reichsvögte Leobrecht von Ochs und Fridega von Isppernberg, nicht zu vergessen den Herrn Roban von Weyringhaus ...und auf dem Schwertfest habe ich den Nimmgalf gegeben.“

„Du bist Zweiter geworden? Auf dem Perricumer Schwertfest? Alle Achtung!“

„Im letzten Kampf hatte leider diese Brendiltal-Amazone, die Gemahlin des Zauberochsen, das bessere Ende für sich – sehr zur Freude der versammelten Nebachoten. Aber vorher hat immerhin der Hinn am eigenen Leibe erfahren, was Hartsteener Kampfkunst ist.“

„Wenn Onkelchen Praiodan dabei gewesen wäre, hätte ihm das sicher gefallen. Bei der Rechnung, die er mit dem Hinn noch offen hatte“, sinnierte Praioswald, um dann das Thema zu wechseln: „Und der Auftrag des Grafen...?“

„...Ist erledigt. Der Nachschub an Kriegsmaterial ist vorerst gesichert“, berichtete Praioswin, „Die Borstenfelds waren sehr offen und interessiert daran, Hartsteen weiter zu beliefern.“

„Na wunderbar! Dann steht dem blutigen Fortgang der Fehden ja nichts mehr im Wege“, ätze daraufhin der Einbeinige ironisch.

„Und es könnte bald noch blutiger werden. Während wir hier sitzen und quatschen, marschieren die kaiserlichen und markgräflich Perricumer Truppen den Darpat herauf. Die Gerüchteküche brodelt, ohne dass etwas Konkretes herauszufinden wäre.“

„Du meinst, die Krone ist endlich aufgewacht?“

„Vielleicht. Vielleicht hat sie aber auch bisher nur auf eine günstige Gelegenheit zum Losschlagen gewartet. Aber wer weiß das schon so genau. Es dürfte besser sein, erst einmal die Füße stillzuhalten und zu schauen, wie sich das alles entwickelt.“

„Übrigens habe auch ich eine Neuigkeit für dich“, verkündete Praioswald, „Graf Odilbert ist gewillt, einen von uns beiden zum Vogt von Steinfelde zu machen, bis unsere kleine Base Raulgard alt genug ist, um die Zügel selbst in die Hand zu nehmen.“

„Als Vogt, ja?“, Missmut schlich sich auf die Miene des bärtigen Ritters.

„Immer noch besser als Natzungen, das du im Frühjahr eben nicht bekommen hast...“

„Ach, hör auf damit!“, bildete sich eine tiefe Furche auf Praioswins Stirn während er in einem Anflug von Ärger abwinkte, „Wenn ich gewusst hätte, dass mich meine neugefundene traviagefällige Treue diesen Titel kostet, ich wäre nicht nach Eisingen geritten, als die Nachricht von Alysseas bevorstehender Niederkunft eintraf.“

„Ganz göttergefällig biste aber – und der Stolzenfurt hatte freie Bahn beim Grafen. Aber der verpassten Gelegenheit nachzutrauern führt zu nichts und außerdem hast du jetzt zwei prächtige kleine Burschen, die dich sicher dereinst dafür entschädigen werden. Nichtsdestotrotz müssen wir klären, wer von uns die Vogtei über Steinfelde übernimmt.“

„Das dürfte doch klar sein: Wie du sagst, habe ich ein paar Mäuler mehr zu stopfen und Eisingen reicht eigentlich nicht mal für den standesgemäßen Unterhalt eines Ritters aus, trotz allem Geschick, das Alyssea da an den Tag gelegt.“

„Ach, aber mir fehlt ein Bein, und wo soll ich bitte schön unterkommen? Meine Tage am Grafenhof sind gezählt. Ich fürchte, meine Wahrheiten sind dem ein oder anderen übel aufgestoßen...“

„Deine Wahrheiten? Dein loses Mundwerk meinst du wohl“, kommentierte sein Bruder trocken.

„Das liegt ganz im Auge des Betrachters. Was hältst du von einem Wettkampf zwischen uns? Und der Sieger bekommt das Amt?“

„Und was hast du dabei im Sinn? Soll ich mit dir vielleicht auf einem Bein um die Wette hüpfen?“, stichelte Praioswin grinsend, doch der andere konterte feixend: „Das wäre nicht gerecht, Bruderherz: Du hättest keine Chance gegen meine Erfahrung und Ausdauer. Darum schlage ich vor, wir lassen Phex und die Würfel entscheiden.“

„Solange wir dieselben benutzen, meinethalben“, nickte der Ritter schließlich zustimmend. „Jetzt gleich?“

„Von mir aus gerne. Dreizehn ist raus und Pasch schlägt Zahl.“ Praioswald kramte die drei Würfel hervor, die er immer bei sich trug und warf sie mit Schwung auf den Tisch, wo sie schließlich zur Ruhe kamen. „Ha...Zwölf! Wenn das kein gutes Omen ist!“, gab sich der Einbeinige siegesgewiss, während Praioswin die Würfel aufhob, in der hohlen Hand schüttelte und schließlich fallen ließ: „Noch ist nichts entschieden.“

Gebannt verfolgten zwei Augenpaare die kullernden Würfel: „Acht“, kommentierte Praioswin das für ihn ungünstigere Ergebnis. „Na dann: herzlichen Glückwunsch Brüderchen. Vergiss aber nicht, dass die Angaben in den Rechnungsbüchern nicht zu sehr von der Wirklichkeit abweichen sollten.“

„Pfff. Meine Zahlen sind über alle Zweifel erhaben – bei all den Fässern mit Pfeilspitzen, Bolzen und Wein, die ich im letzten Jahr so gezählt habe.“ Praioswin horchte auf: „Es gab im letzten Jahr noch Weinfässer auf Burg Hutt?“

„Genau genommen war es nur eines ganz hinten im Keller, von dem niemand sonst etwas wusste“, gab der andere spitzbübisch lächelnd zu. „Aber das habe ich dafür immer wieder gezählt. Und zwar jedes Mal, wenn ich mir in aller Stille einen Schluck gegönnt habe.“