Geschichten:Spenden für die Ostmarken - Geißel
Straße zwischen Markt Hutt und Bertolfshufen, 10. Hesinde 1040 BF
Nach einem Tag der Rast, den Voltan mit der Anfertigung seines Berichtes an die Krone verbracht hatte, waren er und sein Gefolge auf die Empfehlung des jungen Barons Odilbert von Hartsteen hin zum Traviakloster zu Hutt aufgebrochen. Je weiter sich der Weg über die Sohle des Hutter Talkessels erhob, desto mehr frischte der Wind auf und einzelne Schneeflocken wirbelten umher.
Am steilsten Stück des Weges überholten sie die Spielleute mit ihrem Eselskarren, die nach ihrem Auftritt auf der Burg den letzten Tag wohl noch unten im Ort verbracht haben mussten. Schließlich erreichten Voltan und seine Begleiter eine Kuppe, von der aus sie auf ihrer Herreise noch die Türme des Traviaklosters erspäht hatten. Nun jedoch war die Landschaft in dumpfe Nässe und Nebel versunken und die Geräusche der Welt schrumpften zusammen auf das Knarren des Geästes am Wegrand und das Stampfen und Schmatzen der Hufe auf der aufgeweichten Straße vermischt mit dem leiser werdenden Pfeifen und Schimpfen der Fahrenden ein ganzes Stück hinter ihnen, weil das Grauohr vor dem Karren seinen Dienst verweigerte.
Als sie wieder nach vorne blickten, bemerkte Voltan einen Schemen, der sich beim Näherkommen als Reiter auf einer ziemlich abgemagerten Mähre entpuppte, und welcher ihnen, einer leicht gebeugten Statue gleich, ungerührt entgegenblickte. Ein Reitmantel verbarg den Großteil seiner Gestalt, das Gesicht war wettergegerbt und wohl von einem ungepflegten Bart umrahmt, so dass man sein wahres Alter nur schwer bestimmen konnte. Jung war er allerdings ganz sicher nicht mehr. Allein die stechenden Augen und die scharfe Nase, die aus Kragen und Bart hervorlugten, erinnerten Voltan unweigerlich an einen Habicht.
„Zum Gruße. Wohin des Wegs?“, erkundigte sich der Mann, doch irgendwas in seinem Tonfall wirkte beunruhigend.
„Praios zum Gruße. Wer fragt das?“, hakte der neben Voltan reitende Ucurian von Sturmfels-Feuerfang, der ob des miesen Wetters nicht gerade die beste Sicht auf den Fremden hatte, skeptisch nach. Doch der Mann antwortete nicht und tätschelte sein Reittier wie zur Beruhigung am Hals. Dabei zeigte sich, dass er unter dem Mantel ein Panzerhemd trug und dass Streitaxt und Schwert an seinem Sattel hingen.
„Gebt Euch zu erkennen, denn wir sind Reisende auf der Götter Pfaden. Mein Name ist Ucurian von Sturmfels-Feuerfang, Ritter und Junker von Raulsfeld in Ochsenblut und dies ist Voltan von Heiterfeld, Seneschall zu Ochsenblut, Ritter und Junker zu Heiterfeld und garetischer Almosenmeister. Wir alle samt sind getreue Vasallen der Königin und Kaiserin und im Namen der gütigen drei Schwestern unterwegs! “, forderte der junge Ritter, und Voltans übrige Begleiter sahen sich nervös um. Trug der pfeifende Wind nicht noch andere Geräusche heran?
„In diesem Falle habt ihr jetzt die Möglichkeit, von Euren Rössern zu steigen und Eure Waffen und Wertsachen - das schließt Eure Mäntel und Stiefel ein - dort bei dem Felsbrocken abzulegen“, deutete die Habichtnase auf einen etwa mannshohen Stein am Wegrand, „Das ist einem Bettelvogt ohnehin viel angemessener.“
„Wie meinen? Wollt Ihr wirklich einem Mann wie mir in die Taschen greifen?“, gestresst ob dieser ungeheuerlichen Forderung schüttelte Voltan den Kopf und Ucurian keuchte mit der Hand am Schwert: „Was fällt Euch ein?"
„Ihr habt ganz richtig gehört. Und es ist zu eurem eigenen Besten. Ihr müsst wissen, meine Leute sind nicht zimperlich, wenn sie sich die Sachen selber holen müssen“, erklärte der Mann gelassen, während sich rings um die sich zur Verteidigung formierenden Kaisermärker etliche schattenhafte Gestalten aus dem Nebel und vom Boden lösten.
„Soso, und dürften wir wenigstens erfahren wer sich hier so unverfroren erdreistet, Vasallen der Krone, die viele Freunde in Hartsteen haben, auf einer göttergefälligen Mission zu überfallen?“
„Es gibt verschiedene Meinungen darüber, was der zutreffendste Name für mich ist: Schuft, Landplage und Geißel Hartsteens kommen im Volksmund und in den Amtsstuben am häufigsten vor. Aber ich gebe mich auch mit Geron von Eichenblatt zufrieden.“
Voltan kannte den Namen: ein Verbrecher und Verräter der schlimmsten Sorte, der weder vor einfachem Volk noch vor der Ritterschaft Halt machte und den man in langen Jahren seines Räuberdaseins nie habhaften werden konnte – oder vielleicht wollte? Zwar hatte er mit Gesindel gerechnet, aber doch gehofft, dieses würde sich nicht um sie scheren, wenn die Ergebnisse der wenigen Erfolge immer sogleich per Bote zurück in die Mark geschickt würden, und es beunruhigte ihn, dass die Nennung seines Namens diese Verbrecher nicht abzuschrecken schien.
Einige der sich nähernden Gestalten machten zwar einen geradezu jämmerlichen Eindruck, doch andere unter ihnen gaben ein so grausiges Bild ab, dass Voltan unweigerlich der Gedanke durch den Kopf schoss, dass diese Schurken versprengte Haffaxianer sein mussten, die nun mit dem Eichenblatt gemeinsame Sache machten.
Seine Gefährten scharten sich enger um den Almosenmeister, als dieser wieder das Wort ergriff: „So, Eichenblatt und sein…Haufen. Schon gehört, nichts Gutes. Doch da Ihr einmal von Stande gewesen seid, will ich Euch nochmals fragen, ob Ihr wirklich eine Kaisermärker Gesandtschaft aus dem mächtigen Ochsenblut, die im Namen der Schwestern unterwegs ist, angreifen wollt. Das ist vielleicht nicht Eure Kragenweite, Lumpen“ritter“. So könnt ihr uns vielleicht nun unserer Habe berauben, aber seid Euch Eurer nicht zu sicher. Ich habe mächtige Freunde und Verbündete. Ganz Garetien wird auf Hartsteen schauen und euren Kopf fordern. Bisher konntet Ihr diesen ja stets aus der Schlinge ziehen, aber diesmal geht Ihr zu weit, Eichenblatt. Lasst uns mit Hab und Gut ziehen und Ihr könnt der Gerechtigkeit vielleicht noch ein weiteres Mal entkommen. Andernfalls wird die Luft dünn für Euch werden, schätze ich."
„Was glaubt ihr eigentlich wer ihr seid, mit Euren feinen Kleidern und wohlfeilen Reden? Hier in Hartsteen kehrt sich keiner um Eure leeren Drohungen. Ihr nennt mich Lumpenritter? Das sind große Töne für jemanden, der gleich baren Fußes und ohne Mantel durch den Schnee waten wird“, der grimmige Mann stieß ein finsteres Lachen aus, in das seine abgehalfterte Gefolgschaft mit einfiel.
„Ihr scheint Euch Eurer Sache sicher zu sein, Dreckskerl. Im Moment seid Ihr zwar in der Übermacht, doch denkt an meine Worte. Sie sollen Euch im Schlaf verfolgen, bis die Gerechtigkeit Euch ereilt. Und muss ich Euch enttäuschen: Nur das, was wir am Leibe tragen, ist Eure Beute. Unsere Errungenschaften aus diesen Landen weilen schon längst in der Mark. Also, nehmt diese einfachen Sachen und trollt Euch, am besten weit hinein in Euer Versteck, in das finstre Loch aus dem Ihr kommt, denn Ihr werdet dort bald lange ausharren müssen“, gab Voltan gespielt selbstsicher von sich, bewusst sich auf schwierigem Terrain zu bewegen. Vielleicht zeigten seine selbstbewussten Worte ja Wirkung und man ließ sie gleich in Ruhe.
Doch Geron lachte hämisch auf: „Gut, wie Ihr wollt, kleine Planänderung! Euch nehmen wir auch mit. Ihr seid mehr wert als ein paar Stiefel und lumpige Taler.“
„Tatsächlich? Ich denke, das werdet ihr nicht! Ihr seid ein langsamer alter Mann, der nicht weiß, wann er den Bogen überspannt hat!“, zischte Ucurian, „Wenn noch ein letzter Funken Ehre in Euch steckt, kämpft Ihr mit mir, auf dass Euer Blut diese Sache besiegelt!“ Das Schwert ziehen und dem Pferd die Sporen geben, waren eins. Behutsam ritt er heran, dabei die Bewegungen seines Gegenübers und seiner Schergen abschätzend, während die anderen die Lücke zu Voltan schlossen. Doch der alte Raubritter dachte nicht daran dem Jungspund den Gefallen zu tun.
Ein kurzer Wink und ein Pfeil traf den sich nähernden jungen Ritter unvermittelt und hart in den Rücken. Er kippte stöhnend nach vorne über den Hals des Rosses. Seine Waffe landete, von plötzlich kraftlosen Fingern nicht länger gehalten, im Straßenschlamm.
„Mag sein, dass ich ein langsamer alter Mann bin, und dass eines Tages ein schneller junger Ritter mich besiegt. Aber dieser Tag - ist nicht heute.“, knurrte Geron von Eichenblatt, der den Mantel zurück geschlagen hatte und nun seinerseits an Ucurian heranritt und eine Klinge auf ihn richtete, bevor dieser sich wieder gänzlich aufrappeln konnte. Immer näher kamen auch die mehr als ein Dutzend abgerissenen und bewaffneten Gestalten und schnitten den Kaisermärkern alle Fluchtmöglichkeiten ab. Sie waren umzingelt. Währenddessen deutete der Eichenblatt mit seiner Klingenspitze direkt auf Ucurians Hals. Voltan von Heiterfeld machte nun seinem Namen alles andere als Ehre. Grimm saß er auf seinem Pferd und blickte dem Lumpenritter zornig ist Gesicht: „Also wollt ihr nun nicht nur feiger Räuber sein, sondern auch Entführer und sogar Mörder, wenn ich Euch nicht Folge leiste? Ihr seid weit tiefer gefallen als man sich erzählt. Wenn ich eben noch sagte, dass Euch bei einem Raub das wachsame Auge gewiss sein wird, dann wird Euch so schon bald Euer modriges Versteck nicht mehr Genüge sein. Einen Vasall der Krone und bekannten Kaisermärker Seneschall zu entführen, seinen Vertreter beim Leben zu bedrohen, das wird Euch endgültig den Kopf kosten, Eichenblatt, Euch und Eurer Bande von Verbrechern und frevlerischen Verrätern. Der Zorn Ochsenbluts und seiner Verbündeten wird Euch kommen und danach der der Götter. Aber wollt Ihr es in Eurer scheinbaren Sicherheit nicht anders. Ich ergebe mich Euch und werde, wie ein echter Edel- und Ehrenmann, den Schutz der meinigen vorziehen und mich in Eure Fänge begeben. Doch lasst die Meinen ziehen und lasst ihnen Mäntel und Stiefel, wie Ihr sagtet ich bin ohnehin mehr wert, wahrscheinlich sogar Euer Leben.“
Voltan gab den Wachen einen Wink ihm Platz zu machen und ritt auf den Hartsteener zu, gab sich preis. Seine größte Sorge galt im Moment seinem verletzten Schwiegersohn. Der Pfeil musste gut platziert gewesen sein, da Ucurian schwer atmete.
Die Banditen fackelten nicht lange. Voltans Taschen wurden ausgeleert, seine Hände gebunden und er selbst anschließend wieder auf sein Pferd gesetzt. Dabei musste er mit ansehen, wie die Räuber ihre Ankündigung wahr machten und die anderen im immer dichter fallenden Schnee buchstäblich bis aufs Hemd ausplünderten, entgegen Voltans Bitte, auf die der Eichenblatt nicht mal mehr geantwortet hatte. Doch schien sein Interesse vom Raulsfelder und den anderen Begleitern abzufallen, so dass Voltan immerhin hoffte, dass er sie ziehen lassen würde, auch wenn sie bei dieser Kälte ein schweres Los haben würden. Und so geschah es auch, sichergehend, dass seine Gefährten ihnen nicht folgten, entfernten sie sich vom Ort des Überfalls.
„Kümmert Euch um Ucurian!“, rief Voltan den bibbernden Zurückbleibenden noch zu, als er im Schlepptau des Eichenblatt und seinen mit Beute beladenen Mannen von der Straße fort und in die Tiefen des Feidewaldes hinein geführt wurde.