Geschichten:Fette Schwester
Schwarztannen, Rahja 1043 BF
„Nissa, Nissa“, vollkommen aus dem Häuschen begrüßte Arissa Lenari ihre Gehilfin in ihrer kleinen Schneiderei in Schwarztannen, „Du kannst dir nicht vorstellen, wer... wer gerade ein Brautkleid bei mir... bei uns in Auftrag gegeben hat?“
„Ähm“, machte Nissa da nur und blickte die Schneiderin fragend an, „Wer?“
„Na, jetzt rate schon!“, forderte Arissa sie auf und machte mehrere kleine Luftsprünge.
„Ähm“, die Gehilfin kratzte sich ein wenig ratlos am Kopf, ehe sie in ihrer gewohnt provokanten Art erwiderte: „Die Kaiserin vielleicht?“
„Nein“, erwiderte die Schneiderin mit glitzernden Augen, „Besser. Viel besser!“
„Dann fürchte ich...“, seufzte die Gehilfin schulterzuckend, „... weiß ich es nicht. Magst du mich aufklären?“
„Die Schwester der Baronin!“
„Welche?“, entfuhr es Nissa, „Die mit der losen Zunge oder die Totengräberin?“
„Erstere.“
„Ach, die die den armen Nordinger so rüde zurückgewiesen hat?“, wollte sie wissen und ahmte sogleich die Erwiderung der Rían auf den Antrag nach: „Nicht einmal über meine tote, verrottete Leiche.“ Auch sie war damals auf Burg Scharfenstein gewesen. Solch ein Spektakel hatte sie sich einfach nicht entgehen lassen können. Und ein Spektakel war es geworden, wegen der Zurückweisung durch die Schwester der Baronin. Selbst heute noch zerrissen sich die Bewohner Schwarztannens die Mäuler darüber.
„Genau die“, erwiderte die Schneiderin energisch nickend.
„Dann hat sie...“, die Gehilfin zog ihre Stirn kraus, „... den Antrag des Nordingers doch angenommen?“
Nun lachte Arissa: „Das habe ich sie auch gefragt. Daraufhin hat sie mich auf‘s übelste beschimpft. Was mir denn eigentlich einfiele. Ob mir jemand ins Gehirn geschissen habe. Warum eigentlich hier jeder glaube, sie würde einen dahergelaufenen Aufschneider und Taugenichts heiraten. Und ob ich ihn den heiraten würde.“
„Und?“, hakte Nissa nach, „Würdest du?“
„Klar. Er ist adelig, Nissa. A-De-Lig! Noch dazu Ritter. Und nicht zu vergessen, der beste Freund Baron Dregos - und Baron Drego ist der beste Freund Graf Dregos, wie ein jeder weiß. Alles in allem eine durchaus gute Partie. Warum sich die Rían da so ziert, kann ich beim besten Willen nicht verstehen.“
„Was du der Hohen Dame gewiss nicht so gesagt hast.“
„Natürlich nicht“, bestätigte die Horasierin, „Ich habe sie dann gefragt, ob das Kleid für Baron Dregos zukünftige Gattin sei. Darauf hat sie mich angeschaut, als wäre diese Idee vollkommen undenkbar.“
„Und für wen...“, Nissa zuckte mit den Schultern, „... ist das Kleid denn dann?“
„Für ihre andere Schwester. Für ihre fette Schwester. Ich habe sie zuerst nicht verstanden...“, hilflos blickte Arissa zu ihrer Gegenüber.
Die Gehilfin lachte und formte auf Höhe ihres Bauches eine Halbkugel: „Nun, fett würde ich Ihro Gnaden in ihrem Zustand nicht gerade nennen, aber nun ja. Wenn ich es recht überlege, dann ist das albernische Plappermaul ganz nach meinem Geschmack. Spricht immer aus was sie denkt.“
„Ja“, nun verdrehte die Schneiderin die Augen, „Das kann man wohl sagen. Dass ihre Schwester den Antrag Baron Dregos angenommen hat, bezeichnete sie als vollkommen unnötig und absolut übertrieben. Vom Heiraten scheint sie nicht viel zu halten. Männer schätzt sie zwar, aber nur für rahjanische Dinge und sie hat durchblicken lassen, dass der Nordinger in solchen Dingen gut und mehrfach hintereinander zu... hm... gebrauchen sei.“
Nissa schmunzelte: „Diese Frau wird mir immer sympathischer.“
„Nun, auf jeden Fall ist das Kleid für Ihro Gnaden. Sie schließt nämlich in kürze den Traviabund mit dem Vater ihres Kindes.“
„Und da soll bereits im Vorfeld eine erhebliche Menge Dukaten von den Ríans an die Travia-Kirche gegangen sein“, wusste die Gehilfin zu erzählen, „Es soll dabei wohl um gewisse Formulierungen beim Schluss des Traviabundes gehen. Gewisse Formulierungen, die man nicht haben wollte. Genaueres weiß ich aber auch nicht. Die Travia-Geweihte war da sehr... hm... schweigsam. Wollte auch nichts über den genauen Zeitpunkt des Traviabundes sagen, als wären weitere Zuschauer und Zeugen unerwünscht...“
Fragend schaute Arissa sie an.
„Du solltest halt mal öfter aus deinem stickigen Laden gehen und dich unter Leute mischen, dann würdest du da draußen auch mal etwas in Erfahrung bringen. Weißt du, die Leute reden da draußen. Man muss nur aufmerksam zuhören, dann bekommt man so einiges mit.“
„Dafür habe ich doch dich“, erwiderte die Schneiderin grinsend.
„Nun, auf jeden Fall spekuliert ganz Schwarztannen fleißig über etwas anderes: Die Vaterschaft. Und wie die Totengräberin denn eigentlich zu einem Kind kommt.“
Arissa seufzte und erklärte mit Untermalung ziemlich eindeutiger Gesten: „Rein, raus, fertig, schwanger, Kind da. Das ist bei den Hohen Damen und Herren da oben auch nicht anders als bei unsereins.“
„Ja, schon, aber...“, Nissa zuckte mit den Schultern, „Sie und die Vögtin sind doch ein Paar! Und die Raukenfels wird ihr ja kaum das Kind gemacht haben.“
„Es soll wohl ein Albernier gewesen sein“, wusste Arissa, „Zumindest hat die Hohe Dame mir das so erzählt.“
„Und der hat ihr von Albernia aus – durch einen Beilunker Reiter – ein Kind gemacht?“, fragend schaute sie ihre Gegenüber an, „Wohl kaum.“
„Nun ja, der Albernier ist wohl genauso albernisch wie die Krähen eben auch. Soll wohl aus dem Rittergut der zukünftigen Baronsgattin kommen.“
„Der Vater ist einer der Bediensteten ihrer Schwester?“, platzte es aus Nissa heraus, „Was für ein Skandal! Ist er denn überhaupt adelig?“
„Nun, nach dem Traviabund ist er es“, Arissa zuckte mit den Achseln, „Und wer weiß, vielleicht gehört er ja zu jenen Männern, die gerne ihr Bett mit zwei Frauen teilen. Solcherlei Arrangements soll es ja geben...“
„Ach, Arissa!“, wiegelte ihre Gehilfin ab, „Das stinkt doch von hier bis Gareth! Da stimmt doch was nicht. Da stimmt was ganz und gar nicht!“ Vielsagend blickte sie ihre Gegenüber an. „Jetzt überleg doch mal! Auf der einen Seite macht sie mit der Vögtin rum und zwar ganz offen und sehr innig, sie teilen sich nicht nur ein Zimmer und schlafen in einem Bett, sondern sie treiben auch eindeutig rahjanische Dinge miteinander...“
„Und das weißt du woher?“, hakte die Schneiderin nach.
Nissa verdrehte die Augen: „Auch wenn die Hohen Herrschaften da oben immer glauben, ihre Bediensteten seien zu doof, um auch nur irgendetwas mitzubekommen, wissen die weit mehr als den Hohen Herrschaften lieb ist. Glaub mir, ich weiß das ein oder andere pikante Detail. Zum Beispiel das es das albernische Plappermaul noch immer gern mit dem Nordinger treibt...“
„Aber warum hat sie ihn denn nicht geheiratet?“
„Na ja, weil man ihr nachsagt, dass er nicht ihr einziger Liebhaber sei...“
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