Geschichten:Wochen der Entscheidung - Ein Fall für die Noioniten

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Burg Sturmwacht, Nadriansfurt, 28. Travia 1032 BF


Geschäftiges Treiben herrschte allenthalben unterhalb der Burg auf den Wiesen rund um den Markt Nadriansfurt, derer die Büttel schon lange nicht mehr Herr werden konnten und deshalb unterstützt wurden durch die Wachen des Burgherren. Felan Rondrik von Schallenberg-Streitzig warf einen zufriedenen Blick runter auf die Menschenmenge, die mit Sack und Pack dort gelagert hatten und es sich nun auf Karren bequem zu machen suchten. Es waren deutlich mehr, als er erwartet hatte, die seinem Aufruf zur Neubesiedlung verödeten Landes in seiner neuen Baronie Puleth gefolgt waren: Flüchtlinge aus Tobrien, mit der Hoffnung auf einen Neuanfang, junge Handwerker, die zu Hause niemals einen freien Platz als Meister finden würden, zweite und dritte Söhne ansässiger Bauern, die eine Möglichkeit sahen, nicht mehr nur Knecht auf ihres Bruders Hof zu bleiben. Der Ritter und Baron trat vom Fenster zurück und wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu. Er seufzte innerlich. Wie hatte sein Vater nur diesen elenden Papierkram ertragen? Das Leben eines Ritters und Edlen war doch nicht nur Turnier und Heldentaten, wie man es sich als Knabe vorzustellen gedachte, sondern mehr eine Aneinanderreihung von langweiligen Gesprächen mit allerlei Verwaltern, Geschäftsleuten und Vertretern sonstiger Interessengruppen. Er stöhnte innerlich auf, als er einen Bericht seines Burghauptmannes über irgendwelche Streitereien zwischen tobrischen Siedlern und einem Nadriansfurter Großbauern las, die ihm erst sein Feld zertrampelt haben sollten, woraufhin seine Knechte einen von ihnen beinahe totgeprügelt haben sollten. Nichtigkeiten, mit denen er sich zu beschäftigen hatte.

Die Tür sprang auf und sein Vetter Leuward von Schallenberg stolperte mehr als dass er eintrat, die Türschwelle verfluchend. Felan lächelte. „Langsam solltest du wissen, dass dort ein Absatz ist.“
„Dieses Mistding hat doch irgendein Erzdämon selbst dort hin gezimmert!"
„Wenn es nicht dort wäre, würde vermutlich der Wohnturm einstürzen...aber was gibt es denn so wichtiges, dass du mich ohne anzuklopfen überfällst?"
Leuward errötete leicht, wobei er vorgab, erst Luft holen zu müssen. Dabei winkte er mit einem Stück Papier. „Ein Bote hat das hier gebracht. Deiner Weisung als dein getreuer Sekretär", spottete Leuward sich selber, „habe ich es gelesen, bevor ich es dir vorlege. Es wird dir nicht gefallen. Lies am besten selbst."

Felan runzelte die Stirne und nahm das ihm gereichte Papier entgegen. Er betrachtete das Siegel, das Leuward erbrochen hatte und seine Furchen vertieften sich. Windischgrütz. Felan mochte den dicken Kronvogt von Puleth weder besonders, noch hatte er ein starkes Missbehagen, gegen das Hartsteener Urgestein. Doch er war ein Konkurrent auch wenn er ebenfalls ein Parteigänger Graf Luidors war. Und er hatte Felan gelehrt, dass es niemals von Vorteil war jähzornig zu handeln und von sich selbst und den zur Verfügung stehenden Kräften zu sehr überzeugt zu sein. Die blutige Nase Bodeberts, die sich dieser in Natzungen geholt hatte, war ihm auf jeden Fall eine Lehre. Der Schallenberger vertiefte sich in den Inhalt des Briefes.

“WAS? Bodebert ist tot?!", entfuhr es ihm augenblicklich und er sah zu Leuward auf.
„Lies nur weiter", entgegnete ihm dieser mit gepeinigter Miene.
Erneut senkte der Baron den Blick und las die Zeilen weiter. „... und bitte euch eingedenk der Waffenbrüderschaft mit unserem Herrn Vater, Boron sei seiner Seele gnädig, um Beistand in unserer Fehde wider den Schwingenfelser Mörder. Leuward, ist der vollkommen irre, dieser … dieser ..."
Frostelin."
„Frostelin, genau. Hat seines Vaters Tod ihm den Verstand geraubt? Ist ihm seines Vaters Abenteuer in Natzungen nicht warnendes Beispiel für verlustreiches Blutvergießen genug gewesen? Glaubt er ernsthaft wir würden ihm dazu im Waffenstillstand zwischen Hartsteen und Quintian-Quandt, möge diese Familie die blaue Keuche treffen, den Dolch zu seinem Selbstmord reichen, auf das er uns mitreißen kann? Ein Fall für die Noioniten."

Felan echauffierte sich weniger über das Vorhaben des jungen Erben von Windischgrütz, als über die Vorstellung für dumm genug gehalten zu werden, einen Teil an diesem Beispiel von erklärter Blindheit der Realität und fehlenden Gespürs für Politik mitzutragen. „Hadrumir mag außerdem arrogant und hochtrabend sein, aber ich halte ihn keinesfalls für einen kaltblütigen Mörder. Nicht er, der seine Rittertugenden vor sich trägt wie ein Turnierbanner. Leuward lass ein Schreiben aufsetzen. Drück mein Mitgefühl aus bei der Familie und meine tiefempfundene Verachtung für den feigen Mord. Und dass ich leider derzeit alle Hände voll zu tun habe, Puleth von Räubern zu befreien und die Siedler sicher zu überführen. Außerdem rate ihm dringend ab von seinem Vorhaben. Hören wird er wohl nicht auf mich, aber wenigstens kann ich mir dann nicht vorwerfen lassen, den guten Rat nicht erteilt zu haben. Vielleicht gerät uns das sogar zum Vorteil. Na du weißt schon, wie du es dem Schreiber diktieren musst. Armer Bodebert. Ein wackerer Hartsteener und so einen dummen Jungen als Erben."

Leuward merkte nur in Gedanken an, dass Felan nur kaum ein Jahr älter war als dieser "Junge". Und in seinen ersten Taten als Erbe des Hauses Schallenberg nicht weniger impulsiv. Wie hätte Felan wohl gehandelt, wäre sein Vater nicht im Bett verstorben, sondern gemeuchelt worden – wie Leuwards Vater. Leuward jedenfalls hatte Verständnis für Frostelin von Windischgrütz, doch war er gleichzeitig froh, dass sein Vetter sich nicht mit hineinziehen ließ. Zuviel war unsicher.
Er nickte Felan zu und verließ das Zimmer, während Felan dies kaum bemerkte, sondern stattdessen vor sich auf den Tisch ins Leere starrte und mit einem Bedauern über den Tod seines Gefährten von Appelhof sprach er leise: „Höret Ihr Zwölfe in Alveran! Ein Ritter Hartsteens empfiehlt Euch die Seele eines der unseren an: Bodebert von Windischgrütz. Sein Leben hat er Euren Traditionen verschrieben. Und so wie Ich sein Andenken hochhalten werde, hoffe ich, dass er sich in Euren Augen als würdig erwiesen hat.“
Danach richtete er sich auf, wandte sich ans Fenster und ließ den Blick in die Ferne der hartsteenischen Felder schweifen.