Geschichten:Hardenstätter Familienangelegenheiten - Eine unvergessliche Nacht

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Stadtviertel Mondwacht, Reichsstadt Perricum, Ende Phex 1044 BF

Der blonde Adlige aus den Zacken blickte aus den bodentiefen Fenstern des Gasthauses. Draußen pulsierte das Leben, Händler boten ihre Waren feil und Passanten unterhielten sich angeregt über die neusten Gerüchte. Salix hatte diesen Stadtteil lieben und schätzen gelernt. Die Ruhe der Zacken war sicherlich angenehm und ausgesprochen förderlich für die eigene Kreativität, doch die pulsierende Reichsstadt war eine willkommene Abwechslung.

Eine Bewegung im Augenwinkel ließ seine Aufmerksamkeit wieder in den Gastraum zurückkehren. Vor ihm stand eine strohblonde Frau, ihre Uniform saß perfekt und das Haar war mit einem strengen Zopf gebändigt worden. Die schwarzen, glänzenden Stiefel boten einen ansprechenden Kontrast zur hellweißen Hose. Die dunkelbraunen Augen schienen ihn mit ihren Blicken durchbohren zu wollen.

„Ah, es freut mich, dass du es einrichten konntest, liebste Schwester!“, rief er mit einem milden Lächeln aus und erhob sich. Dara nickte nur knapp und musterte ihren jüngeren Bruder einen weiteren Moment, bevor sie seinen Gruß erwiderte. „Salix, es ist auch schön dich zu sehen. Ich gebe zu, die Einladung kam überraschend“, stellte die stellvertretende Kommandantin der Sonderflottille knapp fest und setzte sich.

Der Jüngere lächelte verlegen und setzte sich ebenfalls, „umso erfreulicher, dass du es dennoch einrichten konntest! Als stellvertretende Kommandantin wirst du sicherlich nicht zu wenig zu tun haben“. Dara nickte abermals knapp und bevor Salix weitersprechen konnte, stand eine Schankmaid an dem Tisch und nahm die Bestellung auf. Während des Essens sprachen die beiden Geschwister über belanglose Themen, Salix erzählte Neuigkeiten aus der heimatlichen Baronie und Dara Klatsch aus der Reichsstadt. Während sie Belanglosigkeiten austauschten, taute die zuvor so distanziert wirkende Frau langsam auf und ein kurzes Lächeln huschte ihr hin und wieder über das Gesicht.

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Nachdem dann auch die Nachspeise gegessen war, setzte Salix ein ernsteres Gesicht auf, Dara blickte ihn indes verwundert entgegen, wartete jedoch geduldig, was ihr jüngerer Bruder zu sagen hatte.
„Dara, ich weiß, dass wir in der Vergangenheit nicht die beste Beziehung hatten“, er hob beschwichtigend die Hände, als sie etwas erwidern wollte. „Ich nehme dafür die ganze Verantwortung auf mich. Ich habe Fehler gemacht und ihr hattet es nicht immer leicht. Ich denke, ich war von falschen Motiven, falsch verstandenen Stolz geleitet. Das habe ich erkannt und es tut mir aufrichtig leid. Ich möchte das hinter mir – hinter uns – lassen und meiner Familie, meinen Geschwistern helfen“.

Dara hatte sich während des Monologs in ihren Stuhl zurückgelehnt und ihren Bruder aufmerksam gemustert. Es schien ihm ein aufrichtiges Anliegen zu sein, die Bande zu kitten. Ein flüchtiges Schmunzeln huschte ihr über das Gesicht, das hätte sie ihm nicht zugetraut. Die Ehe mit der Baronstochter hatte ihn wohl nachhaltig verändert.
„Es freut mich, dass du das erkannt hast, Salix. Ich hoffe allerdings, dass dir bewusst ist, dass ich nie einen Groll gegen dich gehegt habe? Nicht umsonst bin ich in die Flotte eingetreten, ich wollte möglichst weit weg von all den Familienproblemen sein“. Sie lächelte ihm aufmunternd entgegen.

Salix erwiderte das Lächeln, „das bedeutet mir viel. Wir sollten auf unseren gemeinsamen Neuanfang anstoßen, was hältst du davon?“. Die Frau schien kurz zu überlegen, um schließlich zu nicken, „ja, das sollten wir. Wie lange bist du denn noch in der Stadt?“. „Ach noch ein bisschen, ein Freund hat mich kommenden Wassertag auf ein kleines Fest eingeladen. Wie wäre es, wenn wir dort gemeinsam hingehen?“. Dara nickte erneut und bemerkte, wie sich Vorfreude in ihr ausbreitete. Zwar war sie nun schon fast einen ganzen Götterlauf zurück in der Reichsstadt, doch außer ein paar militärische Empfänge hatte sie noch nicht viel von dem Glanz der gehobenen Gesellschaft mitbekommen.

Nachdem sie die Einzelheiten geklärt hatten – und Salix darauf bestand die Rechnung zu übernehmen – verabschiedeten sich die Geschwister mit einer Umarmung.

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Der Abend verlief ausgesprochen gut. Die kleine Feier wurde in einem Privathaus im Stadtteil Leuingen veranstaltet. Dank den überaus milden Temperaturen hatte sich der Schwerpunkt der Feierlichkeiten in den Garten verlegt, wo ein Streichquartett für die angemessene musikalische Untermalung sorgten. Die Gastgeberin war eine Freundin von Salix und freute sich ungemein, Daras Bekanntschaft zu machen.

Während des Abends wurde viel getanzt, gelacht aber auch getrunken. Als das Fest langsam seinem Ende entgegenstrebte entschloss sich eine kleine Gruppe, bestehend aus Dara, Salix und einigen weiteren Gästen, die Nacht zu nutzen und die Feier in den hiesigen Lokalitäten fortzuführen.

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Dara öffnete langsam ihre Augen und wurde von hellem Licht geblendet. Durch die Fenster drang bereits der Lärm der Stadt, am liebsten wäre sie liegen geblieben, doch ihr Kopf schmerzte schrecklich und ihre Kehle war so trocken wie die Khômwüste. Langsam drehte sie sich auf die Seite und erschrak als sie bemerkte, dass sie nicht allein in dem Bett lag.

Die Person neben ihr war ein Mann und schien noch zu schlafen. Seine kurzen schwarzen Haare waren zerzaust und wie Dara hatte er nichts an. Er sah gepflegt aus, zumindest dachte sie das. Langsam rollte sich Dara zur anderen Bettseite und stand vorsichtig auf. Im Raum vor ihr stand ein Tisch, sowie zwei Stühle, auf denen sie ihre Klamotten ausgemacht hatte. Leise schlich sie zum Tisch, um den Mann nicht zu wecken, doch kurz vor dem ersten Stuhl erschreckte sie ein Laut von der Straße, wodurch sie stolperte und sich das Schienbein an dem Stuhl anschlug.

Ein kurzer Schmerzschrei entrann ihrer trockenen Kehle, ehe sie die Hände vor dem Mund zusammenschlug und entsetzt zum Bett herüberblickte. Doch zu ihrer Beruhigung bewegte sich der Mann nicht. Was sie allerdings nur kurz beruhigte und im nächsten Moment nachdenklich werden ließ. Der Mann bewegte sich nämlich genauer gesagt überhaupt nicht. Dara ging mit einem mulmigen Gefühl herüber und erkannte nun die Schlinge um seinen Hals.

Ihr war es, als würde sich ebenfalls eine solche um ihren Hals legen und sich zu ziehen. Dara blieb kurz der Atem stocken und nur mit Mühe konnte sie die in ihr aufsteigende Panik unterdrücken. Mit zitternden Händen befreite sie seinen Hals aus der Schlinge und versuchte sodann einen Puls zu erspüren, um schließlich ihren Kopf auf die Brust des namentlich unbekannten Mannes zulegen, in der Hoffnung sein Herzen zuhören. Doch weder konnte sie den Puls spüren noch seinen Herzschlag hören.

Ihre Gedanken begannen zu raßen, sie versuchte sich daran zu erinnern, was gestern Nacht geschehen war. Sie wusste nur noch, dass sie nach den Feierlichkeiten in Leuingen einige Gasthäuser aufgesucht hatten und dort weitergefeiert hatten. Doch irgendwann begannen ihre Erinnerungen zu verschwimmen und schließlich ganz weg zu sein. Ein lautes Klopfen riss sie aus dem Gedankenstrom, der ihr durch den Kopf schoss.

„Dara? Bist du wach? Der Tag hat längst begonnen und ich glaube, im Kriegshafen wartet deine Arbeit auf dich!“. Salix Stimme drang gedämpft durch die Tür und den pochenden Schmerz in Daras Kopf. Wie benommen rief sie nur, „ja alles gut! Ich bin gerade dabei mich fertig zu machen! Wir sollten uns zum Abendessen treffen, ja?“, Dara taumelte in Richtung ihrer Klamotten und begann sich anzuziehen, während sie ihrem Bruder antwortete. „Vielleicht das Gasthaus, wo wir uns vor drei Tagen getroffen haben?“, hektisch stopfte sich die Offizierin das Hemd in die Hose.

„Alles gut bei dir? Dara du klingt gestresst und… Alles gut bei dir?“, bohrte die gedämpfte Stimme Salix weiter und löste in Dara noch mehr Stress aus. Ein unbekannter Toter im Bett, an den sie sich nicht mehr erinnern konnte, war schon Stress genug. Dass ihr Bruder vor dem Zimmer ihr Fragen stellte, machte die ganze Situation nicht unbedingt einfacher. Da kam ihr ein Gedankenblitz, wie frischer Wind durchbrach er den Strom der rasenden Gedanken und pochenden Kopfschmerzen.

Langsam öffnete sich die Tür einen Spalt weit und die junge Frau blickte verschwörerisch hindurch. Vor der Tür stand nur Salix, tiefe Augenringe zeichneten sich in dem nun verwunderten Gesicht. „Ich habe ein Problem…“, flüsterte die Frau und zog ihren kleinen Bruder zügig durch die Tür, welche sie hinter ihm schloss.

Salix blickte sich verdutzt um und erkannte schließlich den Mann im Bett. Verlegen schmunzelte er und wollte schon etwas sagen, da unterbrach ihn seine Schwester unwirsch. „Spar dir deine Kommentare! Ich habe ein weit größeres Problem! Ich glaube, der Mann ist tot, ich kann keinen Herzschlag hören und als ich aufwachte, hatte er eine Schlinge um den Hals!“. Das Schmunzeln erstarb in Salix Gesicht, der jetzt ungläubig zwischen Dara und dem Mann hin und her blickte. Langsam näherte er sich dem Körper und versuchte ebenfalls einen Puls zu ertasten oder den Herzschlag zu hören. Doch wie schon seine Schwester konnte Salix nichts dergleichen feststellen.

Dara hatte sich unterdessen auf einen der Stühle gesetzt und blickte aufgelöst zu ihrem Bruder. Der wiederum beäugte den leblosen Körper im Bett nachdenklich. „Wie soll ich der Wache das erklären? Ich weiß nicht mal wer der Mann ist oder wo er herkommt!“, entfuhr es der sichtlich aufgelösten Frau.

Salix ging zu einem Kleiderhaufen, den weder er noch Dara zuvor bemerkt hatten und begutachtete die Kleidung. Nach einer gefühlten Ewigkeit schüttelte er nachdenklich den Kopf, „wer auch immer er gewesen ist, ein unbedeutender Bettler aus der Gasse wird er jedenfalls nicht gewesen sein. Eher ein gutbetuchter Bürger aus Mondwacht oder sogar Leuingen…“. Der Edle zu Zackenberg erhob sich und blickte zu Dara, „ich habe dir versprochen, dass ich dir helfend zur Seite stehen werde. Ich kümmere mich um diese Angelegenheit, wenn du mich lässt“. Langsam wanderte Daras Blick zu ihrem Bruder und wandelte sich von Unglauben in Hoffnung.