Geschichten:Das Leben geht weiter - Weitreichende Bitte

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Auf der Kressenburg, Ende Rahja 1043 BF

Herrin Meara?” Vorsichtig betrat Unswin die Kammer, die der Rian bei ihrer Ankunft auf der Kressenburg zugewiesen worden war. Ein Diener hatte ihm ihren Wunsch mitgeteilt ihn sprechen zu wollen. “Ihr seht mich überrascht. Hätte ich gewusst, dass Ihr kommt, hätte ich meinen Vetter gebeten Euch ein besseres Zimmer herrichten zu lassen.” Die Edeldame deutete nur stumm auf den Schemel an dem kleinen Tisch vor dem sie stand. Der Ritter setzte sich und schaute sie fragend an.

„Herr von Keilholtz, ich…“, Meara blieben für einen Moment die Worte im Halse stecken. Sie hatte sich bei der Begrüßung schon fast übergeben müssen. Jetzt wirkte sie noch blasser als zuvor. Unruhig ging sie hin und her und konnte dem Ritter gar nicht recht in die Augen sehen. Was sollte sie ihm denn sagen? Und wie? Und wie konnte sie verantworten, um was sie bitten wollte? Und wie konnte sie erwarten, dass er dem zustimmte?

„Hört mich“, hob sie an, „Hört mich bitte zuerst an, bevor… Ihr etwas sagt. Ich…“ Sie hielt einen Moment inne. „Ich brauche Eure Hilfe. Ich stecke in Schwierigkeiten. Große Schwierigkeiten. Und ich… ich weiß einfach nicht, wie ich damit allein zurechtkommen soll. Ich…“ Wieder einen Moment Schweigen. „Die Nadoreter werden in Kürze hinter mir her sein. Sie… sie werden nicht ruhen. Sie werden alles daran setzen mich… mich in ihre Finger zu bekommen und dann… Wer weiß schon, was sie dieses Mal mit mir tun?“

Meara schüttelte sich um die düsteren Gedanken zu vertreiben, leider vergebens.

„Ich weiß, ich weiß, das ich viel von Euch verlange. Vielleicht sogar zu viel. Was weiß ich denn darüber, wie viel Verantwortung man für seine Kampfgefährten trägt? Wie sehr man sich mit jenen verbunden fühlt, mit denen man Seite an Seite kämpft? Ich versuche es mir vorzustellen, aber… aber… es gelingt mir nicht so recht. Ich… ich verstehe davon nichts, aber… aber ich fürchte mich.“

Nun weinte sie. Sie schluchzte nicht. Die Tränen liefen einfach über ihre Wangen.

„Ich muss um mein Leben fürchten, weil… weil…“, sie schluckte, „In Schwarztannen bin ich nicht mehr sicher. Baron Drego wird mich nicht schützen können. Meine Familie wird mich nicht schützen können. Die Nadoreter, sie… sie sind einfach zu nahe. Und sie werden mich immer aus dem Augenwinkel beobachten und wenn sie dann auch noch…“ Erneut verstummte sie. „Ich habe doch schon Emer und Reto verloren! Ich habe meinen Gatten verloren! Mein Vater ist zu Boron gegangen! Ich… ich ertrage nicht noch mehr Verluste. Das… das halte ich einfach nicht aus!“

Sie schüttelte ihren Kopf.

„Ich weiß nicht, wie ich sagen soll, was ich sagen muss und doch irgendwie nicht kann. Wie ich erwarten kann, was ich erwarte, obwohl ich es nicht erwarten kann, aber… aber ich weiß, dass ich nicht in Garetien bleiben kann. Es geht nicht. Und ich weiß… oder hoffe, dass ich einen Platz bei Euch finde.“

Abrupt blieb sie stehen. Strich sich die Tränen vom Gesicht. Nun weinte sie nicht mehr, obgleich ihre Augen noch immer glitzerten. „Die Götter haben mir in dieser Stunde voller Kummer und Schmerz, voller Verlust und Tod eine besondere Gnade zukommen lassen: Ich erwarte ein weiteres Kind.“ Sie blickte den Ritter an. Es war ein scheuer Blick, der an ein verhuschtes Reh erinnerte. „Aber die Nadoreter, sie werden mich nicht in Ruhe lassen, bevor sie auch dieses Kind in ihren Händen haben. Bestenfalls reißen sie mir es nach der Geburt aus den Hände und schlimmstenfalls…“ Meara schluckte schwer. „Wer kann das schon sagen?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Bolzer hat zwar nie dafür sorgen können, dass mich seine Familie akzeptiert, aber er hat mich immer geschützt. Nun ist er nicht mehr und ich… ich hoffe dass Ihr mich schützt. Greifenfurt erscheint mir erst einmal weit genug fort. Und abgesehen davon seid Ihr ein absolut ehrbarer Mann. Ihr habt mich aus Hildanas Händen befreit. Das hätte nicht jeder getan! Und ich möchte Euch darum bitten – obgleich ich weiß, dass es viel verlangt ist und ich es auch nicht erwarten kann – mich bei Euch aufzunehmen. Ich werde Euch nicht unnötig zur Last fallen, dass versichere ich Euch, ich werde Euch unterstützen und für Euch tun, was auch immer ich kann. Alles was ich von Euch brauche ist… ein sicheres Zuhause. Für mich und… und mein Kind.“

Mit klopfendem Herzen schaute sie ihren Gegenüber an.

Unswin hatte der verzweifelten Meara geduldig zugehört. Ein paar Mal war er kurz davor gewesen sie zu unterbrechen, doch hatte er sie sprechen lassen. Er hatte das Gefühl, dass auch wenn ihr ihre Worte schwer fielen, es doch besser war, wenn sie sie einmal aussprach. Gleichsam einer Last, die loszuwerden man erst dann richtig zu schätzen wusste, wenn man sie selber getragen hatte.

“Bitte Meara, sorgt Euch nicht länger. Auch ohne dass ich Bolzer gekannt hätte, auch ohne dass er mein Waffenbruder gewesen war, würde mich euer Schicksal dauern. Als ich Euch auf Scharfenstein zurückließ, hoffte ich für Eure Sicherheit ausreichend Sorge getragen zu haben, wie ich es mir vor den Zwölfen während meiner Totenwache für Bolzer schwor. Doch wie Ihr sagt, ist dem nicht so.” Nachdenklich wanderte sein Blick zu Mearas Bauch. Die Wölbung ihrer Schwangerschaft blieb durch die weiten Reisekleider weitestgehend verborgen. “Dass niemand außer mir und den Göttern dieses Versprechen hörte, entbindet mich nicht davon es zu erfüllen. Ihr und Euer Kind sollt unter meinem Schutz stehen. Mit all meiner Kraft und all meinem Geschick will ich für Eure Sicherheit sorgen.”

Nach kurzem Überlegen fuhr der Ritter fort.

“Das Wichtigste wird sein, die Nadoreter im Unwissen darüber zu lassen, dass Ihr und Bolzer ein weiteres Kind erwartet. Wenn es Euch also nicht zu viel ausmacht, halte ich es für das Klügste, wenn wir das Kind als meinen Bastard ausgeben.” Unswin hoffte, dass er die Edeldame mit seiner Direktheit nicht verschreckte, aber er war es gewohnt die Dinge klar auszusprechen. “Dies wird ein Geheimnis zwischen Euch und mir, selbst meinem Vetter dem Baron und seinem Vater, unserem Familienoberhaupt, werde ich diese Geschichte so erklären, sollten sie danach fragen. Indes bin ich ein freier Mann und war der Herrin Rahja immer mehr zugetan als der traviafromme Rest meiner Verwandtschaft. Es wird sich also niemand ernsthaft wundern. Sie werden es sogar eher noch gut heißen, dass ich die Verantwortung für meinen Bastard übernehme. Zudem macht es wohl Sinn, wenn ich Euch auf meinem Gut in Friedheim unterbringe. Kressenburg mag für garetische Verhältnisse ein kleines Provinznest sein. Aber es ist eine Stadt die vom Handel lebt und wo gehandelt wird verbreiten sich Gerüchte und Geschichten. In Friedheim wird Euch dagegen niemand finden, der nicht gezielt nach Euch sucht. Aus den Augen aus dem Sinn.”

Mit diesen Worten stand er auf und wandte sich zum Gehen.

“Für die Dauer des Turniers seid ihr mein Gast auf der Kressenburg und als solcher in Travias Namen ein Gast der Familie Keilholtz. Ich werde Baron Ardo um eine Kutsche für Euch bitten, wenn wir nach dem Turnier nach Friedheim zurückkehren. Nun ruht Euch aus und seid getröstet. Hier wird Euch kein Leid geschehen.”