Geschichten:Das Leben geht weiter - Mehr als nur ein Gast

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Friedheim, Ende Tsa 1044

„Ich habe nachgedacht“, eröffnete Meara einige Tage später. Wieder standen sie unter der alten Eiche. Wieder hielt er ihre Hand. Wieder schauten sie sich in die Augen. „Viel nachgedacht. Und ich denke... Ja, ich denke, dass...“ Sie verstummte einen Augenblick. „Ich denke, es ist Zeit den nächsten Schritt zu tun. Ich denke...“

Unswin blickte sie unverändert an.

„Schon allein darüber nachzudenken, fühlt sich an wie Verrat. Verrat an jenen, die wir aus tiefem Herzen geliebt haben, bevor wir einander zu lieben begonnen haben. Und auch wenn ich Leomara nicht kannte, so kann es genauso wenig in ihrem Interesse gewesen sein, wie in jenem von Bolzer, dass wir uns ins Unglück stürzen, weil wir glauben, dass wir nicht mehr lieben dürfen...“

Meara hielt einen Moment inne.

„Denn das will ich: lieben. Früher... früher da liebten wir andere. Alles hätten wir für sie getan, aber sie vor dem Tod zu bewahren, das haben wir nicht vermocht. Nicht weil wir gescheitert sind, sondern weil es nicht in unserer Macht stand und auch nie stehen wird, denn hätten wir es gekonnt, hätten wir es auch getan. Doch der Tod ist der schnellste Reiter.“ Der letzte Satz ging ihr unfassbar leicht über die Lippen, er war der Leitspruch ihrer Familie. „Und war es etwa Zufall, dass du an seiner Seite warst als er starb? War es Zufall, dass du ihn nach Hause brachtest? War es Zufall, dass du mich aus ihrem eisernen Griff befreit hast? Und ist es Zufall, das Tsa uns ein Kind schenkt? Eines, dass die Herrin Rahja mitzuverantworten hat? Wohl kaum. Unswin, wohl kaum. Das hier, all das ist Schicksal. Unsere Liebe ist Schicksal.“

Wieder huschte da dieses wissende Lächeln über sein Gesicht.

„Und ich will nicht mehr nur länger Gast hier sein. Gast auf deinem Gut. Gast in deinem Haus.“ Sie war mit ihrem Sohn vor kurzem vom Gästehaus in das Gutshaus gezogen. „Gast an deinem Tisch. Gast in deinem Bett.“ Und sie schlief nun auch in seinem Bett. „Gast in deinem Leben. Ich will Teil deines Lebens sein. Ein bedeutender Teil. Ein unersetzlicher Teil. Ich will nicht mehr nur Meara sein. Ich will deine Frau sein. Ich will Meara von Keilholtz sein. Ich will... will jeden Abend mit dir einschlafen und am nächsten Morgen mit dir aufwachen und ich will dass mir das keine ehrbare Stimme verwehren kann. Ich will deiner Familie in die Augen sehen können. Und ich will, das jeder weiß, was ich für dich empfinde. Alle sollen es wissen. Ich will kein Geheimnis mehr daraus machen. Ich will mich nicht mehr verstecken und unsere Liebe erst recht nicht. Ich will aufrecht durchs Leben gehen. Mit dir an meiner Seite. Und ich will, dass sie wissen, dass uns mehr verbindet als eine verhängnisvolle Nacht. Alle sollen es wissen. Ach Unswin, ich habe mein Herz an dich verloren. Was soll ich denn tun?“

Sie zuckte sichtlich hilflos mit den Schultern.

„Mein Herz, es gehört dir. Schon seit längerem. Zu Beginn wollte ich es nicht glauben, wollte nicht wahrhaben, dass es nicht beim Hauen auf Doriant geblieben ist...“ Sie schluckte. „Lass uns den nächsten Schritt tun, Unswin. Lass uns den Bund schließen. Nein, nicht etwa der Vernunft wegen, nicht des Kindes wegen, sondern der Liebe wegen. Unserer Liebe wegen.“

Der Ritter brauchte einen Moment um, seine Gedanken zu sortieren. Am liebsten hätte er Meara schon nach ihren ersten Worten einfach nur geküsst und festgehalten um sie nie wieder loszulassen. So hatte er aber einfach nur ihre Hand gehalten und zugehört. Wenn sie gewusst hätte wie sehr sie ihm aus dem Herzen sprach, wäre es ihr sicherlich nicht so schwer gefallen. Denn ganz leicht fiel es ihr nicht, das merkte er an diesem Hauch von Unsicherheit in ihrer Stimme und dem leichten Stocken dann und wann. Sanft zog er sie jetzt ganz an sich, dass ihre Köpfe an der Stirn aneinander lagen und ihre Nasenspitzen sich berührten.

“Liebste Meara, wenn es mir nur um mein Herz gegangen wäre, das hast du schon vor Monden für dich gewonnen. Allein ich wollte dich nicht drängen, denn dein Verlust ist frischer und schmerzlicher als der meine. Ich habe sehr gehofft, dass dein Herz eines Tages wieder lieben kann und seit ich mein Herz an dich verloren habe, habe ich gehofft, dass ich es sein würde, der deines Herzen Liebe würdig ist.”

Unswin schloss kurz die Augen und sah Meara dann wieder sehnsüchtig an, so als wollte er sichergehen, dass er nicht träumte.

“Noch im Herbst nach Oisín Geburt habe ich meiner Familie sehr deutlich gesagt, dass ich dich nicht heiraten würde. Nicht der Etikette oder der Vernunft wegen, nicht weil sie es von mir erwarten. Ich wusste um deinen Verlust und deinen Schmerz, mehr als sie es wissen konnten und hätte dir das niemals aufgebürdet. Aber ich liebe dich. Und nun, da ich weiß, dass du mich ebenso liebst wie ich dich, da will ich nicht länger zögern. Die Herrin Rahja hat uns beschenkt und die Herrin Tsa hat uns gesegnet. Was wären wir für Frevler, würden wir diese göttlichen Geschenke zurückweisen? Also ja, ich will den Bund mit dir schließen.”

Mit diesen Worten überbrückte er den letzten Raum zwischen ihnen und ihren Lippen berührten sich. Sie küssten sich lang und zärtlich und es war ihnen beiden vollkommen egal, wer sie dort oben auf dem Hügel unter der alten Eiche dabei sehen konnte.