Geschichten:Das Leben geht weiter - Ein einfaches Leben
Friedheim, Ende Rondra 1044 BF
Die alte Eiche stand nur wenige Schritte vom Tor des Gutshofes entfernt, wohl schon seit der Zeit der Priesterkaiser. Ihr Stamm war innen schon ganz hohl und Rondrasil hatte sich vom ersten Tag an gerne darin versteckt. Einige der dicken knorrigen Äste hingen zudem so tief, dass sie den Jungen förmlich dazu einluden auf ihnen herumzuklettern.
Für Meara indes war das dichte Laubdach ein willkommener Schatten, von dem aus sie in den schwülen Tagen Sommertagen den Hügel hinab in das Dorf blicken konnte. Sie liebte es den alltäglichen Gang der Dinge zu beobachten und lernte so auch nach und nach die Abläufe und Wege der Dorfgemeinschaft kennen. Zu Anfang hatte sie sich mit einer Stickerei einfach auf eine der dicken Wurzeln gesetzt und sich an die raue rissige Borke gelehnt. Doch als ihr dies mit fortschreitender Schwangerschaft immer schwerer fiel, hatte Unswin für sie eine Bank anfertigen lassen.
Der Ritter gesellte sich immer öfter in den frühen Abendstunden zu Meara und seinem Sohn. Der Weiler war klein und warf kaum genug Erträge ab, dass er Schwert und Rüstung in gutem Zustand halten konnte. An Rücklagen für ein frisches Streitross, welches er spätestens in ein paar Götterläufen brauchen würde, gar nicht zu denken. Da würde ihm irgendwann sein Vetter, der Baron, aushelfen müssen. Also packte er selbst mit an wo es ging und wo es notwendig war. Aber er beklagte sich nicht, denn dies war das natürliche Los eines einfachen Greifenfurter Ritters. War das Tagwerk indes vollbracht, genoss Unswin die Momente der Ruhe unter der alten Eiche. Wenn Meara still neben ihm saß und stickte und sein Sohn über ihm durch die Äste kletterte, dann fand er einen inneren Frieden den er in den Jahren nach Leomaras Tod verloren hatte.
Meist saß die Rían schweigend da. Die frühen Stunden am Morgen und am Abend waren ihr die liebsten. Dann war es nicht nur kühl, die Hitze des Tages ertrug sie zunehmend schwerer, sondern es sangen auch Vögel im Geäst der alten Eiche. Manchmal konnte sie sogar den jungen Rondrasil davon überzeugen, dass sie gemeinsam lauschten. Lange konnte sie ihn jedoch nie davon abhalten, die Gipfel zu erklimmen um einen Blick in weit entfernte Länder zu werfen oder auf den Teller der Kaiserin. Und es war Meara, die immer raten musste, was die Kaiserin denn von ihrem goldenen Teller gegessen hatte. Und wenn sich Unswin zu ihnen gesellte, dann legte sich immer ein Lächeln über Mearas Lippen und auch Rondrasil freute sich und berichtete seinem Vater eifrig, was er bisher so erlebt hatte.
Am Abend, wenn Rondrasil bereits zu Bett gegangen war, saßen Meara und Unswin oft allein unter der alten Eiche. Es war noch lange hell und so konnte man noch lange hier sitzen und den lauen Sommerabend genießen. Meist saßen sie schweigend da und genossen die Stille des ausklingenden Tages, die lediglich vom leisen Gezwitscher der Vögel begleitet wurde oder genossen sie die Nähe des anderen? Garetien war weit fort und alles was dort geschehen war auch. Gleichzeitig waren sie sich auf eine seltsame Art und Weise nahe, so nahe wie zwei Fremde es eben sein konnten. Manchmal, ja manchmal da redeten sie auch. Meara betonte dann stets, wie schön es hier sei und wie wohl sie sich hier fühlte. Das stimmte auch, sie sah inzwischen viel besser aus, wirkte nicht mehr blass und kränklich und trug häufig ein zartes Lächeln auf den Lippen. Manchmal erklärte die Rían auch, dass sie nicht wisse, wie sie ihm je dafür danken könne, dass sie hier sein dürfe. Der Ritter wiegelte immer ab, genauso wie er es tat, wenn sie ihn fragte, wie sie ihn denn unterstützen könne, schließlich sei sie nicht gekommen um untätig zu sein. Sie erwartete ein Kind und kümmere sich um Rondrasil, dass sei doch erst einmal genug. Manchmal redeten sie auch über die Ereignisse des Tages, über Rondrasil oder aber über das, was es sonst noch so gab, was nicht sonderlich viel war. Selten sprachen sie über ernste Dinge. Einmal über Unswins Kinder und warum sie nicht bei ihm lebten, über Leomara und über Bolzer. Über das Kind, dass Meara erwartete sprachen sie eigentlich nicht, obgleich sie das ein oder andere Mal davon erzählte, wie es sie nachts mit Tritten malträtierte bis sie erwachte oder wie sein Schluckauf sie aus dem Schlaf riss oder aber wie Rondrasil sich auf seinen Bruder – eine Schwester wollte er ja nicht – freute.
Und manchmal, ja manchmal und zunehmend häufiger brachte Unswin Meara zum Lachen, dann schimpfte sie mit ihm, weil sie doch so nie mit ihrer Stickarbeit fertig werde, obgleich es dafür doch bereits viel zu dunkel war. Es war auch nicht ernst gemeint, das wusste Unswin. Genau genommen schien sie sich sogar darüber zu freuen und er mochte es, wenn sie lachte. Das stand ihr gut. Dann wirkte sie glücklich und beseelt. Legte sich mit Phexens Sternenhimmel auch die nächtliche Kühle über das Land, reichte der Ritter ihr den Arm und geleitete die Rian über den dunklen Gutshof sicher zurück zum Gästehaus. Hatte sie die Tür dann hinter sich geschlossen, blieb er meist noch einen Moment im Hof stehen und blickte hinauf zu den Sternen. Irgendwo dort oben, verborgen vor seinem Blick, saßen seine Ahnen und auch Leomara an den Tafeln der Zwölfe in Alveran und sahen auf ihn herab und er hoffte, dass sie zufrieden damit waren, dass er endlich mit sich im Frieden war.