Geschichten:Das Leben geht weiter - Vater und Sohn

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Friedheim, 21. Efferd 1044

Eine gespannte Stille lag über dem Gutshof, die aber regelmäßig durch Mearas schreien und stöhnen unterbrochen wurde. Rondrasil hatte sich in die Äste der alten Eiche zurückgezogen und hielt sich jedes Mal die Ohren zu. Er hatte große Angst um Meara und wenn er ihre Schreie nicht so laut hörte, dann hatte er weniger Angst. Sein Vater war ins Dorf hinab gegangen, um beim Schmied neue Hufeisen für sein Pferd zu bestellen. Von seinem Aussichtspunkt aus konnte Rondrasil die beiden auf dem Dorfplatz stehen und reden sehen. Wenigstens war die Geweihte bei Meara. Die gütige Göttin Peraine würde ihr sicherlich helfen.

Nach einer Weile kam Unswin den Pfad aus dem Dorf zurück. Er sah Rondrasil im Baum sitzen und erkannte als er näher kam, dass seinem Sohn Tränen über das Gesicht liefen. Der Ritter lächelte milde und setze sich auf die Bank unter der mächtigen Eiche. Dann rief er den Jungen zu sich.

„Komm zu mir mein Sohn.“

Gehorsam kletterte der Sechsjährige den Stamm hinab und tat am Ende einen beherzten Sprung aus zwei Schritt Höhe vom letzten tiefhängenden Ast. Dann setzte er sich still neben seinen Vater auf die Bank. Als wieder ein Schrei aus dem Gästehaus ertönte zuckte er erschrocken zusammen. Beruhigend legte Unswin ihm den Arm um die Schulter.

„Es wird alles gut werden, du wirst sehen. Schwester Fürchtelind hat schon vielen Kindern auf ihrem Weg an Licht Deres geholfen. Und ihren Müttern auch.“

Schniefend nickte der Junge. Er schämte sich ein wenig seiner Tränen, jetzt wo sein Vater so ruhig und lächelnd neben ihm saß.

„Es ist nur, ich habe Angst, dass der Herr Boron sie zu sich holt“, sagte er leise. „Ich habe im Dorf erzählen hören, dass das passieren kann, wenn ein Kind geboren wird.“

„Ja, das kommt vor. Die Mutter unseres Herrn Barons starb, als seine jüngste Schwester geboren wurde.“ Unswin war immer sehr direkt und ehrlich, doch als er in das erschrockene kleine Gesicht blickte, als Rondrasil jetzt zu ihm aufsah, da tat es ihm sehr leid nicht anders geantwortet zu haben. „Aber weißt du, damals hatte sie auch nicht Schwester Fürchtelind und auch sonst keinen Geweihten der Zwölfe zu Hilfe. Wie gesagt, ich glaube daran, dass alles gut wird. Und das solltest du auch.“

„Ich will es versuchen Vater.“ Rondrasil wurde wieder still. Nach einer Weile sah er wieder auf. „Vater, ich habe Meara sehr gern. Und ich glaube sie hat mich auch sehr gern. Glaubst du,… glaubst du, dass Mutter mich auch gern hatte?“

Der Ritter sah ihn überrascht an. Von seiner Mutter hatte Rondrasil bisher noch nie mit ihm reden wollen. „Hat denn auf der Friedburg jemand behauptet, dass Leomara euch nicht alle geliebt hätte?“ Unswin hatte den bösen Verdacht, dass Baronin Geshla dem Jungen in einem ihrer zickigen Momente so etwas Verletzendes gesagt haben könnte.

„Nein, nicht Mama.“ Rondrasil schüttelte den Kopf und drehte ihn dann beschämt zur Seite. „Ich meinte, meine… richtige Mutter…“, war seine Stimme als kaum mehr als ein Flüstern zu vernehmen.

Jetzt dämmerte es Unswin woher der Wind wehte. Auch wenn Leomara ihm wegen Rondrasil nie einen Vorwurf gemacht und ihn in Mittstätten immer wie alle anderen ihrer Kinder behandelt hatte, so war dem Jungen wohl spätestens in Geshlas Obhut klar geworden, dass er nicht Leomaras leibliches Kind war. Die Gnitzenkuhlerin hatte sich zumindest immer laut genug darüber beklagt, dass er es irgendwann hatte mitbekommen und verstehen müssen.

„Ich bin mir sicher, dass deine Mutter dich sehr gern hatte, mein Junge. Eine jede Mutter liebt ihre Kinder.“ Unswin war sich unsicher, was er sagen konnte, damit sein Sohn sich besser fühlte. „Soll ich dir von deiner Mutter erzählen?“

Der kleine Junge nickte schüchtern. „Wenn sie mich geliebt hat, warum hat sie mich dann weggeben.“

„Das ist eine längere Geschichte, aber ich werde versuchen es dir zu erklären.“ Der Keilholtzer seufzte schwer. „Deine Mutter hieß Chaantrea und sie war eine wunderschöne Frau. Sie diente mit mir in Perricum im Zornesorden, einem Orden der Rondra-Kirche. Aber genauso wie ich den Orden später verließ um mich Travias Geboten folgend um dich und deine Geschwister zu kümmern, so verließ auch deine Mutter den Orden, um einem anderen Weg zu folgen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass du bald das Licht Deres erblicken würdest. In ihrer letzten Botschaft schrieb sie mir, dass sie in den Raschtulswall aufbrechen und sich den Amazonen anschließen wollte. Von den Amazonen hast du auf der Friedburg doch sicherlich schon einmal Geschichten gehört, oder?“

„Es sind Frauen, die der Herrin Rondra dienen?“ Rondrasil wirkte unsicher.

„So ist es. Sie sind ein Bund von Kriegerinnen, die sich vollkommen dem Dienst an der Herrin Rondra verschrieben haben. Sie leben in versteckten Festungen in den Bergen und kämpfen von dort aus gegen die Feinde Rondras. Aber, es sind eben alles Frauen. Bekommen sie Töchter, so ziehen sie sie als eine der ihren auf. Wird ihnen aber ein Junge geboren, so wie du, so legen sie ihn zumeist in einem Tempel der Zwölfe ab und überlassen es den Göttern, was aus den Kindern wird.“

„Also hat meine Mutter mich nicht geliebt, weil ich kein Mädchen bin und wollte mich einfach nur loswerden?“

„Ganz im Gegenteil. Deine Mutter hat sich die Mühe gemacht dich zu mir zu bringen. Sie hätte dich auf dem Weg zu mir auf vielen Tempelschwellen ablegen können, doch sie ist mit dir durch halb Perricum geritten. Denn sie wusste, dass dich in Mittstätten eine liebende Familie erwarten würde, und das war ihr offenbar sehr wichtig. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass sie dich sehr geliebt hat.“

Unswin konnte sehen, dass es hinter der gerunzelten Stirn des Jungen arbeitete. Er schwieg, um ihm die Möglichkeit zu geben das Gehörte in seinem Geist zu sortieren. Schließlich blickte Rondrasil ihn mit feierlichem Ernst aus seinen Kinderaugen an. „Vater, ich möchte ebenfalls der Herrin Rondra dienen, so wie Mutter es tat und du es getan hast. Vielleicht… vielleicht werde ich sie so eines Tages wiedersehen. Denn das würde ich wirklich schrecklich gerne.“

Der Keilholtzer nickte bedächtig, nahm das Gesicht des Jungen zwischen seine Hände und sah ihm direkt in die Augen. „Noch bist du zu jung für diese Entscheidung. Aber wenn du in einigen Götterläufen alt genug bist und noch immer Willens in den Dienst der Sturmleuin zu treten, dann sollst du meinen Segen dafür haben.“ Und er beugte sich herab und küsste seinem Sohn auf die Stirn.

Plötzlich übertönten die Schreie eines Säuglings alle anderen Geräusche aus dem Gutshof. Rondrasil sprang auf und zog Unswin mit sich von der Bank. „Komm Vater, komm! Ich will sehen wie mein Brüderchen aussieht!“

Der vernarbte Ritter musste lachen. „Ist es dir denn noch immer so wichtig, dass es ein Junge ist? Was wenn du eine Schwester bekommen hast?“

Rondrasil schaute erschrocken drein und verstand den Frohsinn seines Vaters nicht. „Dann müsste sie ja zu den Amazonen in die Bergfestung!“ Mit grimmigem Gesicht schüttelte er den Kopf. „Nein, es soll ein Junge sein, damit er bei uns bleiben kann!“ Damit zog er den noch immer lachenden Unswin hinter sich her in den Gutshof, wo die Perainegeweihte sie bereits erwartete.