Geschichten:Greifendämmerung - Die Gemeinde unter dem Zwinger

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Im Zwinger in der Stadt Luring, in der Nacht vom 1. auf den 2. Tag des Namenlosen 1035 BF

Die Halle war durch zahlreiche Kandelaber erleuchtet. Die Flammen auf den Kerzen flackerten kaum und rußten wenig. Die Luft war schwer und abgestanden, doch vermischt mit einer obertönigen Duftnote, die von draußen kam: Die Halle unter dem Zwillingsfelsen der Stadt Luring hatte eine ausgeklügelte Belüftung, die funktionierte, ohne viel Wind zu machen. Und das nach so langer Zeit!

Die Einrichtung des Raumes glich im hinteren Teil der eines Tempels, im vorderen einem musealen Kabinett. Auf gedrechselten Podesten waren antike Stücke wie zur Schau aufgebaut, zum Teil lagen sie auf schwarzem Samt: Rüstungsteile, Waffen, Knochen und Schädel, Statuetten, Schmuckstücke, Stoffreste. Hinten waren zwei Bankreihen aufgebaut, die auf einen dunklen Altar ausgerichtet waren. Hinter diesem schmückte ein großes Steinbild die Wand, ein monumentales Relief. Altar wie auch Relief waren zum Teil rot, schwarz und golden bemalt, so dass die Szenen des Reliefs abgesetzt und konturiert, hervorgehoben und unterstrichen wurden.

Hierher kam neugierig der Herr des Hauses, Ungolf von Luring-Prestelberg, der gemeinsam mit seinem Freund Rudon Langenlob und dem jüngst engagierten Gelehrten alles vorbereitet hatte für den heutigen Abend. Eine größere Gesellschaft war eingeladen, den Namenlosen Tagen bei einer ungewöhnlichen Feier zu trotzen. ›Wie man es in der Hauptstadt tun würde‹, hatte Rudon versichert. Hier unten sollte die Gesellschaft trinken und essen, singen und lauschen und ein paar Darbietungen genießen, ›die einen vergessen lassen, wie schlimm die Welt draußen ist‹.

»Na, alter Tintenkleckser, noch was Irres gefunden?«, begrüßte Ungolf den gewandten Gelehrten, der seine feinen Glieder unter einer dunklen Joppe verbarg und seinen blonden Kopf leicht hängen ließ, wie jemand, der einen inneren Kampf zu lange geführt hatte, um ihn noch gewinnen zu können. Das Haar war an den Seiten stumpf geworden, wo es grau wurde.

»Aber ja, Herr Ungolf, Eure Kammern stecken voller großen und kleiner Sensationen!« Die Stimme schlug am Ende um und kiekste ein wenig. Vielleicht folgte dem Satz sogar ein unhörbares Kichern? »Wisst Ihr, dass diese Steinkeule hier über 3.000 Jahre alt ist? Ich habe sie kaum heben können, obwohl so viel davon abgeplatzt ist - war ja aber auch eine Trollkeule. Egal, rituelles Werkzeug, hat damals wohl zum Vollstrecken von Urteilen gedient. Seht Ihr dieses Symbol hier? Eindeutig das Neumondzeichen, ich …«

»Schon gut, Herr Doctor, so genau wollte ich es nicht wissen«, unterbrach Ungolf den Gelehrten, denn er hatte Schritte auf den Stufen gehört, die in die Halle herabführten. Er trat an die Pforte und konnte auf der sich wendelnden Treppe im Schacht unter dem Luringer Zwinger Menschen mit Lampen herabsteigen sehen. »Die Gäste kommen!«

Rudon setzte sich in Bewegung, während Ungolf an der Tür blieb. »Kommt, Herr Doctor, hier vorne ist doch ein schöner Platz«, sagte er in einem Ton, den auch Kinder zu hören erwarten dürfen.

»Nein!«, schrak jener zurück. »Nicht zu nah an diesem Altar! Ich kann ihn noch nicht fassen!« Der Gelehrte sprach in einem gutturalen Dialekt, den er sich im Schlund angewöhnt hatte. »Da seht, dieses Fragment in der Front! Diese Greifenfratze!«

»Für mich sieht das aus wie ein Frettchen oder eine Ratte. Ich finde das große Relief viel gebieterischer«, gab Rudon zurück.

»Ihr habt ja keine Ahnung. Das große Relief ist viel späteren Datums. Ihr seht doch da und da Insignien des garetischen Königreichs, das sind Rechtsaltertümer, die ich in die Gerbaldszeit datieren würde. Nicht älter. Aber dieses Fragment hier … das ist sehr alt, sehr, sehr alt. Und es macht mir irgendwie …«

Erneut wurde er unterbrochen: Die Gäste kamen herein und begrüßten einander fröhlich. »Ungolf!« – »Rondger und Moribert, alte Halunken! Habt Ihr’s durch die Schlimme Nacht geschafft!« – »Frau Austernthal, habe die Ehre.« – »Erlenfall, Ihr sehtr mich Entzücken! Wo habt Ihr denn den Grafen gelassen?«

»Den hat Odo an die Kette gelegt«, erwiderte Emmeran von Erlenfall. »«Dein Platz ist bei deiner Mutter und deinen Schwestern«, hat der lange Odo ihn angebrüllt. Tja, er kann also nicht. Galothini ist bei ihm geblieben, um ihn zu trösten.«

Rudon Langenlob und Ungolf von Luring-Prestelberg wechselten besorgte Blicke. Eben kam noch Korwinne von Granfeld, geführt von der alten Jorunde, die bei jedem Schritt einen Fluch ausstieß.

Ungolf platzierte wie ein Zeremonienmeister alle seine Gäste auf die Bänke und hielt eine kurze Willkommensansprache, während der sich zwei Tänzer bereitmachten, vor dem großen Relief im Schein der Kerzen zu tanzen. Die eingeölten Leiber spiegelten das Licht auf ihren Oberflächen wie auf einer Landschaft. »Hätten auch Tänzerinnen sein können«, grunzte Moribert, aber auch er konnte der Ästhetik des Tanzes etwas abgewinnen. Mittlerweile waren duftende Zusätze in die Kerzenflammen gestreut worden, und der Raum füllte sich mit einem süßlichen Duft, der die Sinne wohlig umschmeichelte. Doch ehe jemandem die Aufmerksamkeit entgleiten konnte, trat eine Tambourinspielerin zu den Tänzern und zeigte ihre Kunst, eine hylaische Flöte erklang aus dem anderen Teil der Halle, und die meisten begannen nun im Takt zu schunkeln. Mit dem Tablett mit goldenen Pokalen kamen auch Franwin von Luring-Franfeld und Brobert von Hornbach herein. Das Tablett trug ein durchtrainierter junger Mann mit entrücktem Blick und einem verzückten Lächeln. Jeder bekam einen Pokal.

Als Rudon Langenlob seinen nahm, scherzte er: »So gefällt er mir. Ich finde, so können wir ihn Nimmgalf zurückschicken: ein gutgelauntes Schäfchen!« Einige, die wussten, dass Romin Westfall erst vor wenigen Wochen bei einem üblen Stück mitgewirkt hatte, das Nimmgalf von Hirschfurten orchestriert hatte und dessen letzte Spuren noch immer in Langenlobs Gesicht blühten, lachten.

Auch Westfall lachte mit. Er hatte seinen eigenen Becher - wie alle anderen. Hier war er unter seinesgleichen. Er hatte das Gefühl, sie alle schon seit Ewigkeiten zu kennen, Rudon Langenlob fühlte er sich verbunden wie ein Sohn seinem Vater. Er würde ihn zwar bald verlassen müssen, um nach den Namenlosen Tagen zu seiner Braut nach Klingenhort zu eilen, aber er würde ihm Auge und Ohr sein. Und Hand, wenn es sein müsste. Und er würde sein wie immer, das hatte ihm Rudon versprochen, als er ihm den Kleinen Zeh abgeschnitten hatte, nur besser, weil er jetzt nachts auch besser sehen könne, wenn er wollte. Er musste nur darum bitten!

Und dann trank die Gesellschaft aus den Bechern den blutroten Wein. Den Wein, den Rudon Langenlob mit dem Blute Landoran Groters und Stordan von Gerbachroths gemischt hatte.

Und er prostete der Gesellschaft zu - seiner Gemeinde unter dem Zwinger, die ihren ersten Gottesdienst feierte und es nicht einmal wusste.




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Ereignis:
Namenlosen-Messe unter dem Luringer Zwinger, Initiation neuer Anhänger
Datum:
2. Nam 1035 BF