Geschichten:Der Sonne geweiht

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Neujahr 1044 BF, Luringer Zwinger

Das Neujahr in Luring kam mit einem Feuer. Es verheerte den Luringer Zwinger, also jenes uralte Bollwerk, das den Luringer Marktplatz gen Sonnenaufgang beherrschte. Ihm gegenüber stemmt sich der Praiostempel St. Quelban an der Seite gen Sonnenuntergang gegen das vielgetürmte Ungetüm des Zwingers, so dass zwei Giganten sich hier wie zum Duell gegenüber stehen. Der eine Gigant qualmte noch immer, denn einige Dachbalken schwelten noch, obschon man schon reichlich Schutt au der Glut gezogen hatte. Der Zwinger bestand aus vielen übereinandergetürmten Hallen, Sälen, Räumen und Erkern, von denen fast alle rußgeschwärzt waren, die auf den Marktplatz hinausschauten. Drei oder vier Dachstühle hochgelegener Firste waren eingestürzt. Es hatte im zweiten Stock zu brennen begonnen, genauer just im weit vorkragender Erker der alten Kapelle, deren Andachtsraum seit Jahren als Halle für Trinkgelage und andere Zechereien genutzt worden war. der Her des Zwingers, Ungolf von Luring-Prestelberg, hatte die schon ewig ungenutzte Kapelle umgenutzt, weil durch die Fenster des Erkers praktisch zu jeder Tageszeit – von Sonneauf- bis -untergang - Licht in diesen Saal strömte. Der Altar des Sonnengottes war dabei zu einer wohlsortierten Hausbar umfunktioniert worden.

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“Das Geheimnis jeder Hausbar ist die Anordnung der Flaschen“, schwadronierte Ungolf mit geschmacklosem Grisnen, „Seht: Hier am Rand stehen die Karaffen für Säfte, nach innen weiter dann die leichten Alcoholica. Die schweren Schnäpse und das ganze Zeug, was einen umhaut, das steht in der Mitte. Warum? Ganz klar: Wenn Ihr Damenbesuch habt, dann mixt ihr dem Dämchen einen schönen Trunk. Damit sie gefügig wird, muss sie aber ordentlich abgefüllt werden. das geht umso leichter, wenn sie nicht weiß, wie stark das Gebräu ist, was man ihr vorsetzt. Deshalb die harten Sachen in die Mitte; die verdeckt man mit dem eigenen Körper, so dass die Dame nur sieht, was man links und rechts für Säfte nimmt. Hähähä.“

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„Hier, Herr Landvogt, hier begann das Feuer. Aber es scheint mir eigenartig, dass der Erker vom Feuer verschont geblieben ist.“ Reto von Luring-Mersingen zeigte dem Luringer Landvogt und dem Pulk an Begleitern, was er meinte. Reto mochte ein stumpfer Gesell sein, aber eines war ganz sicher: Eher würde er sich die Zunge mit einer Schmiedezange herausreißen, als diesen Emporkömmling jemals ‚Hochgeboren‘ zu nennen.

„Sieht so aus. Wer sind die Toten?“, fragte Landvogt Rudon von Zwillingstein. Besorgt. Man hatte zahlreiche Leichen gefunden. Teilweise verkohlt, teilweise nicht. Deutlich mehr Leichen, als er wusste, dass sich Personen im Zwinger aufhielten.

„Hiergegen den Altar gelehnt: Manegold von Halmenwerth. Sieht zufrieden aus, der Alte.“

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“Meister, Ihr seid zu alt, um dorthin allein zu gehen“, mahnte Adhemar von Folterdingen den alten Circator der Stadt des Lichtes. Dennoch stützte der Novize den Greis, als sie durch den schwülen Abend des letzten Tags des Namenlosen über den Marktplatz liefen. Schweiß rann dem Jüngling vom Hals in den Kragen der Kutte. Es war heiß, gewittrig und zwielichtig. Ein übler tag zu einer üblen Zeit.

„Papperlapapp, mein junger Schüler. Ich bin stark. Ich fühle des Götterfürsten macht in mir, denn ich weiß, dies ist der rechte Gang, den wir jetzt tun.“ Halmenwerths Stimme war für alle, die sie nicht so gut kannten, überraschend stark und jugendlich. Wenn man ihn nur hörte, dann musste man dreißig Jahre dieses langen Lebens abziehen. Mindestens. Bardo von Vairningen hatte fühlte sich keineswegs so stark wie dieser Greis. Einfach so in den Zwinger gehen, wenn dort – wie sich der unsympathische Knappe Rondger von Granfeld verplappert hatte – der Feind sitzt. Bardo wechselte einen besorgten Blick mit Ritterin Elvena von Leuenmoos. Sie waren die beiden einzigen ernst zu nehmenden Kämpfer in diesem von einem Greis engführten Stoßtrupp. Die beiden Geweihten Jelina von Mohnfeld und Drego von Treleneck würden kaum eine große Hilfe sein, wenn es hart auf hart kam. Der jungte Adhemar von Luring hingegen wirkte entschlossen und siegessicher. Die Jugend!

„Mag sein, Ehrwürden, aber da so hereinzuplatzen? Können wir sicher sein, dass der lange Odo wirklich dort gefangen sind? Der miese kleine Granfeld-Junge ist kaum glaubwürdig.“ Ritter Bardo hätte den alten Mann am liebsten herumgerissen, aber halte mal jemand einen Praiosgeweihten auf, der sich im Recht wähnte!

„Ich weiß es, und jetzt genug davon. Jelina, klopf an.“

Jelina von Mohnfeld klopfte mit ihrem Sonnenszepter an die Pforte des Zwingers. Es dauerte lange, bis sie aufgetan wurde. Ein Bediensteter öffnete und starrte die Gruppe erwartungvoll an. Ein Dolch hing griffbereit an seinem Gürtel. Noch ehe er etwas sagen konnte, drängte Halmenwerth ihn zur Seite, beseelt von unerwarteten Kräften.''

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„Das darf er auch sein“, bahnte sich die brüchige Stimme Sharbans von Greifenstolz ihren Weg durch die Gruppe. Der Vorsteher der Halle der Sonne Sankt Quelbans schlurfte schwer atmend heran. „Wisst Ihr, was dieser heilige Mann getan hat?“

„Nein, Mann, aber Ihr werdet es mir bestimmt gleich sagen“, gab der Landvogt zähneknirschend zurück. Ihm waren es definitiv zu viele Leute hier, die im Zwinger herumwühlten, noch ehe er alle sin Augenschein genommen hatte. Immerhin: Die Treppe hinab in die Katakomben war verschlossen und versiegelt – Ungolf war also in Sicherheit und die Gemeinde unter dem Zwinger war es folglich auch, aber hier oben? Hier konnten noch jede Menge Indizien zu finden sein. Angefangen bei den Malen und Zeichen, die Ungolfs Diener Romin Westfall am Leib trug. Sein Dolch hatte ihm nichts genützt. Mit aufgeschlitztem Bauch – der Hieb eines Ritterschwertes unverkennbar – hatte er auf der Treppe gelegen.

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„Mach Platz, du Unwirsch!“, brüllte Ritter Bardo den Bediensteten an, den eine unheilige violette Aura umgab. Die Leuenmoos hielt sich den Schädel in unbeschreiblichen Schmerzen, Blut sickerte unter ihren Fingern hervor, ausgetreten aus Nase, Mund und Augen. Bardo trieb den Diener mit Hieben seines Schwertes vor sich her, der rückwärts die Treppen hochfloh. Rückwärts! Aber die Stufen doppelt nehmend. Ritter Bardo wurde nur noch vom Knappen Adhemar und der Geweihten Jelina begleitet – die anderen waren bei Halmenwerth geblieben, der sich nur langsam bewegen konnte. Der Zwinger war ein Labyrinth, aber Halmenwerth hatte die Kommandos gegeben. Zuerst hatte er der Vettel mit DER-STIMME-DIE-BEFIEHLT das Gefängnis Odos entlockt, musste sich dann aber der unheiligen Angriff der Frau erwehren, die überdies Kreaturen des Namenlosen beschworen hatte. Ob sie obsiegen würden? Ob der kurzsichtige Geweihte dem alten Circator beistehen konnte?

Seitdem waren Stunden vergangen – es musste schon tiefe Nacht sein,. War es schon 1044? Oder würden sie im alten Jahr sterben?

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„Ehrwürden?“, leise trat Praiodane von Altjachtern an den Tempelvorsteher heran. „Wir haben Bruder Drego gefunden. Er ist tot. Er starb definitiv vor Sonnenaufgang, weshalb wir uns seiner Seele nicht sicher sein können.“

Sharban von Greifenstolz nickte bedächtig. „Ich werde den Götterfürsten befragen. Als ich seine Brille sah, neben der Leiche der alten Yadwige von Prestelberg, da hatte ich es schon befürchtet. Yadwige eine Dienerin des Namenlosen. Wenn das die Familie wüsste.“ Der greise Tempelvorsteher schüttelte das Haupt.

„Ehrwürden. Ihr schuldet mir noch die Antwort, was dieser ‚heilige Mann‘ getan habe“, brachte sich der Landvogt wieder ins Spiel, „außer dass er mit seinen Getreuen offenbar dieses Nest der Namenlosen ausgehoben und einen Ritter des Grafen getötet hat.“ Zwillingstein stieß mit der Fußspitze das Sonnenszepter an, das offenbar Halmenwerth gehört hatte und nun tief in einem bärtigen Ritterschädel steckte. Die andere Trägerin eines Sonneszepters im Raum, die vor Halmenwerth leblos ausgestreckte Geweihte Jelina von Mohnfeld, hatte ihres nämlich noch. Zumindest konnte man annehmen, dass es ihr Szepter war, in dessen Griff sich die Hände der Geweihten eingebrannt und festgekohlt hatten.

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Keinen Moment zu früh kam endlich die Truppe um Halmenwerth in das hohe Saufgemach, in dem Ritter Bardo, die Leuenmoos, Knappe Adhemar und die Geweihte Jelina sich gegen die unheiligen Kreaturen erwehrten, die auf sie einstürmten. Ein Rattenheer umgab sie, und die beiden Ritter hatten alle Hände voll damit zu tun, mit weit ausholenden Schwingern die Rattenleiber zur Seite zu fegen. Die Geweihte hingegen intonierte mit schriller Stimme Choräle, die einen Bannkreis schaffen sollten. Adhemar hingegen hatte damit begonnen, die Flaschen, Tiegel, Karaffen und anderen Behältnisse vom ehemaligen Altar zu fegen. „Hierher, Bardo!“, rief er, „hier im Erker wird Praios‘ Licht zuerst erscheinen!“ Kluger Junge.

„Zum Altar!“, befahl auch der alte Halmenwerth, dessen Truppe ein paar pelzige Kreaturen mit Hörnern und Tentakeln auf der Spur waren. Der Geweihte Drego fehlte, dafür war der lange Odo bei Ihnen, bewaffnet mit einem Schwert, das er offenbar aus irgendeiner Wandhalterung im Zwinger gerissen hatte. Halmenwerth stützte sich noch immer auf den Novizen Folterdingen, der mittlerweile auch das Sonnenszepter des Circators trug und immer wieder nach einer Ratte austeilte, wenn es sich ergab.

Wie ein Fürst der Finsternis erschien der Hausherr in der Tür, als sich Halmenwerths Truppe um den alten Altar versammelte: Ungolf von Luring wirkte, als wäre er drei Meter groß (war er es womöglich?), violettes Leuchten umgab ihn, ein Gestank von Fäulnis, Lilien und Schwefel umgab ihn. Außerdem mehrere züngelnde Feuergestalten – Ivashim! Links hinter ihm scherte Jermorane Austernthal aus, die Finger unnatürlich lang und krallig, die scharfen Eckzähne bleckend und mit dem Blutdurst der Vampire brüllend. Rechst hingegen duckte sich Ritter Moribert von Goyern schattengleich in die Dunkelheit und pirschte sich heran.

„Halt ihn auf“, befahl Halmenwerth dem Knappen, der sich mit dem Sonnenszepter dem Ritter entgegenstellte. Ihm zur Seite gesellte sich der lange Odo: „Moribert, du Scheusal, heute hast du ausgehurt!“ der Kampf begann.

Halmenwerth humpelte zu Adhemar an den alten Altarm baute sich vor ihm auf und begann mit seinem schönen Tenor zu singen.

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Noch ehe der Tempelvorsteher auf die Frage des Landvogtes antworten konnte, rief Novize Ortwin von Greifenstolz: „Schaut, Erwürden: Rings um den Altar die Furchen im Stein und in den Wänden. Es sieht aus, als ginge von den Leichen der Strahlenkranz der Sonne aus.“ Der Novize zeigte seinem Großonkel die Spuren im Fußboden.

„Ja, genau so ist es, mein Lieber. Es ist Praios‘ reines Sonnenlicht, das hier gewirkt hat und unheilige Mächte zerriss und verbrannte.“ Er wies auf einen Aschehaufen, in dem man später den Schmuck der Ratsherrin Austernthal finden würde. „Dieser heilige Mann hier hat in finsterster Nacht, der Nacht des Widersachers der Zwölfe, Praios‘ Heiiliges Licht herbeigerufen und die Seinen beschützt.

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Gleißendes Sonnenlicht umgab den alten Halmenwerth. Ausgehend vom Altar, gegen den er sich schwer lehnte, gloste die Helligkeit in die wabernde Finsternis um Ungolf und seine Schergen. Den Vampir zerstob es in Asche, und den Ritter Moribert brannte es die Augen heraus, so dass der lange Odo, der dem gefallenen Novizen das Sonneszepter hatte abnehmen können, dem verhassten Säufer den Schädel einschlagen konnte.

„Zu mir!“, rief Ritter Bardo, die Leuenmoos ins Licht zerrend. Odo ließ es sich nicht zweimal sagen. Der junge Adhemar duckte sich hinter den Altar, und alle starrten den Hausherrn an, der acht verströmte und Tod und Verderben und Chaos und Unheil.

Ein Duell zwischen Zwinger und Tempel, zwischen Jung und Alt, zwischen dem namenlosen und Praios, zwischen Ungolf von Luring und Manegold von Halmenwerth kulminierte in einer Entfesselung der Gewalten. Die Ivashim flohen kreischend ins Gebälk und setzten den Zwinger in Brand, doch waberte die violette Finsternis dennoch von oben und links, von unten und rechts heran.

‚Er ist doch über Neunzig!‘, durchfuhr Bardo der Zweifel, ob Halmenwerth dies schaffen könnte. Wenn doch nur der Morgen grauen würde!

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„Beschützt?“ Der Landvogt wurde ungeduldig. Er war es nicht gewähnt, dass er so lange an einer Antwort auf eine seiner Fragen herumpopeln musste.

„Ja, beschützt. Seht doch.“ Reto von Luring-Mersingen wies auf den provisorischen Strick, der aus dem Fenster hing: „Unten sind auch ein paar Blutspuren. Offenbar haben sich einige Verletzte hier aus dem Fenster flüchten können, während die beiden Geweihten hier – der alte Manegold und Jelina – die Flucht deckten.“

Der Landvogt nickte. Zu dem Schluss musste man kommen. Es waren also welche geflohen. Wahrscheinlich der lange Odo, den man so mühsam hatte einfangen können und den man zu befragen- und ihn zu opfern – sich zu viel Zeit gelassen hatte. „Also hat das Namenlose gesiegt?“

„Im Gegenteil“, widersprach der Tempelvorsteher mit einem verschmitzten Lächeln, das eintausend Fältchen in Bewegung setzte.

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„Ehrwürden, sie sind fast draußen!“, schrie Jelina, um dann wieder in Halmenwerths Choral einzustimmen und die Oberstimme beizusteuern. Es war das hohe Fis, das sie in eben demselben Moment traf wie der Schlag Ungolfs. Flammen brachen aus ihren Händen hervor und entzündeten ihr Sonnenszepter wie ein Fackel, während sie schrie.

Ungolf schrie auch. Triumph! Triumph! Nun war nur noch der Alte vor ihm, dessen Sonnenkranz schwächer wurde, dessen Knie nachgaben, während er rücklings am Altar hinabrutschte. Triumph! Ungolf wagte noch einen Schritt vor – doch dann schreckte er zurück. Halmenwerths Macht wuchs so plötzlich, so unermesslich, so unerwartet, dass Ungolf zunächst taumelte, dann fiel.

Der Morgen brach heran. Praios selbst! Stand seinem Diener bei und sandte den Aufgang seines Zeichens herbei. Die Namenlosen Tage waren vorbei, vergangen, hinfort. Ungolf wandte sich zur Flucht. Der Zwinger war verbrannt, buchstäblich. Nun galt es, die Katakomben zu sichern. Die Korgonder Steine, das Grab der Königin, das Gewölbe der Gemeinde.

Verfluchter Greis!

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„Im Gegenteil.“ Sharban von Greifenstolz streckte seinen krummen Rücken. „Bruder Manegold hat diese Kapelle neu geweht – in einer Nacht des Namenlosen! Sein letzter Atemzug war zugleich der Schlussakkord des Weihsegens, will mir scheinen. Praios sei gepriesen! Er schenkt uns diesen Ort zurück, auch wenn uns der zwölfmal verfluchte Namenlose so viele unserer Diener nahm!“

„Da wird den Grafen freuen“, sagte Ritter Reto.

„Gewiss, gewiss.“ Der Landvogt blickte sich um und verstand sein Unbehagen plötzlich. „Neu geweiht also. Soso.“

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Manegold von Halmenwerth krächzte die letzten Takte, dann sank er zu Boden. Hinter ihm ging die Sonne auf, das Zeichen seines Gottes, dem er dieses lange, erfüllte Leben geweiht hatte. Und nun hatte dieses Leben diesen Boden geweiht. Manegold dachte an die Menschen, die ihn in seinem Leben begleitet hatten. An seine Lehrmeister, an seine Zeit in Gareth, an die späten Tage. Und er dachte an die Menschen, die diesen Raum verlassen hatten. An den Knappen Adhemar, der eine Zukunft hatte, um die man ihn nicht beneiden konnte. Er hatte die Augen seines Vaters.