Geschichten:Greifendämmerung - Ein Hirschfurz und eine Einladung

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Stadt Luring, 13. Rahja 1035 BF, in den Abendstunden


Angeheitert trabte die Truppe den Burgberg hinunter, durch die Talsohle, wo es zum Erlsgardsfeld abging, und wieder hinauf über ›Danos‘ Rampe‹ der Stadt zu. Der Weg zur Stadt wurde so genannt, seit Graf Danos hier herauf gekommen war als Ritter ohne Wehr, um die Stadt Luring zur Unterwerfung zu zwingen. In der Dämmerung des lauen Sommers zirpten die Grillen.

Emmeran von Erlenfall stellte sich an den Rand der Rampe und schlug sein Wasser just an der Avessäule ab. »Hört doch«, rief er seinen Kumpanen zu, die langsam weitergetrottet waren, »eine Nachtigall singt!«

»Du bist ein alter Romantiker«, rief Moribert von Goyern und stolzierte affektiert, die Hand grotesk abgespreizt in Richtung Emmeran, der sich gerade wieder auf den Weg machte. »Komm hör, moin Täubchön«, säuselte er, »wür machen es uns ganz romantüsch!« Die Meute grölte, als Emmeran den bärtigen Ritter, der nichts Sinnliches an sich hatte, abzuschütteln versuchte.

»Ihr seid herzlose Banausen, ohne Sinn für Schönheit«, warf Jagodar von Galothini mit gespielter Verachtung ein.

»Ach was: Sinn für Schönheit! Bin ich nicht der drallen Runella tagelang nachgestiegen wegen ihrer Schönheit?«, prahlte Moribert lauthals.

»Das schon, Goyern, doch sie landete in meinem Bett, weil ich von Schönheit wirklich etwas verstehe«, gab Galothini unter dem Gelächter der anderen zurück. Die sieben flachsten noch weiter auf dem Weg in die Tavernen der Stadt: Moribert von Goyern, Emmeran von Erlenfall, Jagodar von Galothini sowie Rondger von Scheupelburg, Franwin von Luring-Franfeld, Brobert von Hornbach und Stordan von Gerbachsroth, der nur zu Besuch auf Burg Luringen war, sich aber der Truppe angeschlossen hatte. Sie wirkte so ausgelassen und unbekümmert, wie er es daheim schon so lange nicht erlebt hatte.

»So, da sind wir ja am Tor. Heda! Öffne die Mannpforte!«, rief Brobert von Hornbach mit Donnerstimme.

»Ist Rudon eigentlich bei Drego geblieben?«, fragte Franwin von Luring-Franfeld aufmerksam nach.

»Nein, den habe ich seit gestern nicht gesehen«, antwortete Erlenfall, als er durch die Mannpforte stieg über die Schulter, »und als ich vorhin bei Drego gewesen war, habe ich ihn auch nicht gesehen. Seit unserer letzten Sauftour nicht.«

»Das macht der in letzter Zeit öfter, finde ich«, meinte Scheupelburg. »Ist einfach mal einen Tag oder zwei weg.«

»Wer?«, wollte Gerbachsroth wissen.

»Rudon Langenlob, unser bürgerlicher Freund. Ein feiner Kerl, sage ich. Besser erzogen als ich …« Goyern wurde durch das Wiehern der Kammeraden unterbrochen: »Du hast gar keine Erziehung, Moribert!« Der fuhr unbeirrt fort: »… stinkreich, aber spendabel. Sehr klug - und mit dem Schwert besser als jeder von uns!«

»Aber Ihr seid doch alle Ritter?«, wunderte Gerbachsroth sich.

»Na und? In Gareth kann jeder Patrizier sich das Schwertrecht kaufen und die besten Lehrer noch dazu. Hat eine Klinge von Thorn Eisinger, der Rudon. Die zeigt er aber nicht so rum. Da sind wir: ›Bei Knuppler‹!« Moribert grunzte laut und trat in die Schänke ein.

»Hier gibt’s auch jede Menge Schönheiten«, gab Hornbach dem Gerbachsrother zu verstehen, als beide in die Schänke traten. »Wo wir’s doch vorhin mit der Schönheit hatten! Kommt, da hinten ist unser Stammtisch. Uppala: Das ist aber gar nicht schön!«

Die Meute war an ihrem Stammtisch angelangt, aber keiner setzte sich. Alle starrten mit mittlerem Ensetzen auf Rudon Langenlob, der an dem Tisch saß, den Arm in der Schlinge, das Gesicht blau und grün angelaufen und sichtlich geschwollen.

»Was ist dir denn passiert?«, fragte Franwin als Erster.

»Ihr solltet den anderen sehen«, versuchte Langenlob einen Scherz, der jedoch misslang und in einer schmerzverzerrten Grimasse endete. Mittlerweile setzte sich die Truppe um den Tisch, der Wirt kam.

»So, Jungs, hier erstmal Schuckebiers Helles für jeden. Euer Kumpel ist schon seit gestern hier und lässt sich verwöhnen«, begrüßte Joswyn Knuppler seine Stammgäste. »Aber ich versichere Euch, die Nedime hat nichts mit den Beulen da zu tun.« Knuppler stellte die Krüge ab, die wie Blütenblätter seine Hände umkränzt hatten, und ging wieder.

»Seit gestern?«, hakte Franwin aufgeregt nach. »Was machst du seit gestern hier?«

»Ich lass mir von Nedime das Licht putzen, hä? Oder was meinst du?« Langenlob versuchte immer noch, die Sache irgendwie lustig anzugehen.

»Dich hat jemand ganz schön durchgebläut. Wer war das?«, fragte Emmeran ernst nach. »Jemand hier aus der Stadt?«

»Die sollen sich das mal trauen!«, dröhnte Hornbach. Langenlob schüttelte den Kopf.

»Jemand von der Burg? Ach …!« Erlenfall hatte einen Gedankenblitz. »Dregos ganz spezieller Freund? Der uns allen schon öfter gedroht hat?«

»Du hast es dem aufgeblasenen Popanz hoffentlich gegeben?«, fragte Goyern hoffnungsvoll nach.

»Ne, die haben mich überrascht.«

»Die? Hirschfurz war nicht allein? Der Dreimal-Ritterliche war nicht allein? Potztausend!« Scheupelburg konnte es kaum fassen: »Da brat mir doch einer 'nen Storch! Vergreift sich an dem einzigen, den er nicht fordern kann, und das nicht mal von Mann zu Mann! Weiß Drego das?«

Langenlob schüttelte den Kopf: »Nein. Ist auch nicht so wichtig. Hirschfurz hatte seine beiden Knechte Golbert und Harwich dabei. Und ich habe nicht vor, Drego etwas davon zu sagen. Darum bin ich auch in Luring geblieben, statt oben meine Blessuren vorzuführen.«

Hornbach schüttelte erbost den Kopf: »Nein! Das musst du ihm heimzahlen! Ihm selbst ordentlich die Fresse polieren!« Auch Goyern und Scheupelburg waren dafür. Doch Langenlob beschwichtigte sie: »Lasst nur. Hirschfurz dreht hohl, das habe ich gemerkt. Er ist reizbar und aufbrausend. Er misst mit zweierlei Maß - sich selbst und die anderen. Das fällt doch nicht nur uns auf, das wird auch anderen auffallen. Und dann wird Nimmgalfs Stern fallen, so schnell wie eine Sternschnuppe. Drego ärgert sich sowieso schon ausreichend über ihn, weil Hirschfurz sich aufspielt, als sei er der Regent der Grafschaft.«

»Stimmt«, warf Erlenfall ein, »sogar Ederlinde geht Nimmgalf manchmal auf die Nerven, weil er sich überall einmischt und alles besser weiß.«

»Na seht ihr«, lächelte Langenlob maliziös, »das regelt sich alles von allein.«

Acht Humpen stießen aneinander, acht Kehlen wurden befeuchtet.

»Nun aber, Freunde, habe ich was Neues für Euch!« Langenlob wirkte wieder lebhafter. »Ihr kennt doch Ungolf von Luring-Prestelberg, oder?«

»Klar, das ist Dregos entfernter Vetter. Ich war früher, als er noch in Gareth war, oft mit ihm feiern. Lockerer Bursche«, wusste Franwin von Luring-Franfeld.

»Ich habe gehört, dass er mal volltrunken zu Graf Danos gestolpert und ihm auf den Schoß gekotzt haben soll!« lachte Goyern.

»Nicht auf den Schoß, aber vor die Füße«, korrigierte Erlenfall. »Er wohnt mit seiner Mutter hier in Luring.«

»Stimmt genau«, bestätigte Langenlob. »Er wohnt im alten Stadthaus der Luringer Grafen, dem so genannten ›Zwinger‹!«

»Warum heißt das Haus so?«, fragte Gerbachsroth.

»Das soll Euch Ungolf besser selbst erklären. Er erwartet uns nämlich. Wir sind eingeladen - benehmt euch also, Burschen!«, ermahnte Langenlob.