Geschichten:Die Befreiung
Al’Anfa, in der Nacht zum 27. Boron 1046 BF
Die Stadt lag wie unter einem Schleier aus dunklem Samt. In den Gassen war es still, nur hin und wieder durchbrach das Trappeln eines Wachpostens oder das Gekreische eines nachtaktiven Tieres die gespenstische Ruhe. In dieser Nacht sollte das Schicksal eines Mannes gewendet werden – oder zumindest war das der Plan.
Irnfrede von Hirschfurten bewegte sich mit vorsichtiger Entschlossenheit durch das Labyrinth der Hinterhöfe. An ihrer Seite schritt Luna leise wie ein Schatten. In sicherer Entfernung hielten sich Thorkar Eisenfaust und Simariel von Zweimühlen auf den Dächern. Ihre Augen musterten jede Bewegung in den Straßen unter ihnen, bereit, bei Gefahr einzuschreiten.
Das Ziel war die berüchtigte Gladiatorenschule "Casa da Varro", ein düsterer Ort aus Stein und Eisen, an dem Schreie, Blut und Ruhm gleichermaßen zuhause waren. Der Plan war waghalsig, beinahe töricht – doch es blieb keine Wahl. Geromel war dort, eingekerkert, und möglicherweise war ihm nicht mehr viel Zeit vergönnt.
Die Mauern wurden erklommen, die Schatten genutzt. Drinnen war es stickig, der Geruch von Schweiß und Angst hing schwer in der Luft. Luna und Irnfrede schlichen von Gang zu Gang, von Zelle zu Zelle, bis sie ihn fanden – den einst so stolzen Geromel, nun abgemagert, blutbefleckt, mit Stahlschellen an Armen und Beinen, festgeschmiedet an die kalte Steinwand.
Luna tat, was sie tun konnte: Mit geschickten Händen löste sie die Verriegelung der übrigen Zellentüren. Der Tumult ließ nicht lange auf sich warten – die Gladiatoren, im Blutrausch zwischen Flucht und Rache, brachen aus ihren Käfigen. Schreie, Stahlklirren und das dumpfe Knirschen berstender Türen hallten durch die Gänge.
Doch es half nichts. Selbst als Thorkar sich zu ihnen gesellte und mit aller Kraft an den Ketten riss, bewegten sie sich nicht. Geromel – fluchend, aber gefasst – befahl schließlich: „Geht! Ich bin nicht wichtig, wenn ihr dabei sterbt!“
Es blieb keine Zeit für Zögern. Die Rufe der Wachen kamen näher, schwere Schritte hallten durch die Gänge. Simariel gab von oben das Signal zum Rückzug. Schweren Herzens verließen sie die Zelle – ohne Geromel.
Als die Gruppe in der Dunkelheit verschwand, war ihnen klar, dass sie ihn nicht aufgeben würden. Doch der Preis dieser Nacht war hoch: Hoffnung mischte sich mit Scham, Mut mit Verzweiflung.
Geromel war noch immer in der Hölle Al’Anfas gefangen. Doch nun wusste er: Er war nicht vergessen.
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