Geschichten:Spuren von Purpur - Nennt mich einfach Selinde

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Baronie Erlenstamm, 22.Efferd.1044 nachmittags

Die Reisekutsche aus Hirschfurten hatte erst von einem halben Stundenmaß die Grenze zur Baronie Erlenstamm passiert. Ritter Geromels Wunde war fachmännisch versorgt worden, so dass er nach kurzer Regeneration schon wieder reiten konnte, auch wenn man ihm bisweilen anmerkte, dass es ihm noch Schmerzen bereitete.

Derweil in der Kutsche: „… und dann knallt er die dumme Kuh einfach mit dem Kopf durch die Tischplatte! BUMM! Hast du das gesehen? Das war doch … einfach unglaublich, oder? Hach, ist er nicht ein Traum?“ schwärmte Irnfrede nun schon zum xten mal, und ließ sich kaum noch bremsen.

Ludolf verdrehte die Augen. „Zum letzten mal: Ja, hab ich gesehen! Und ja, das war nicht schlecht!“

Irnfrede fuhr fort: „Und als er sagte: (verstellte Stimme) ‚Ich werde dich mit deinen eigenen Gedärmen erdrosseln!‘ (normale Stimme) … ich wette, die Alte hätte sich fast in die Beinkleider gemacht“, grinste sie.

Ludolf starrte aus dem Fenster und versuchte sie zu ignorieren. Die Fahrt mit seiner verliebten Cousine war kaum noch zu ertragen.

„Ludolf?“
Ludolf seufzte: „Ja?“
„Meinst du, er findet mich hübsch?“ fragte sie und zog einen Schmollmund.
„Bestimmt… also falls er nicht auf Kerle steht.“

Für eine Weile glotze ihn Irnfrede mit großen Augen und offenem Mund an.

„WAS? Wie kannst du so was sagen?“
„Kann doch sein?“ antwortete Ludolf.
„Aber wieso sollte er? Hat er dir schon mal Avancen gemacht?“ fragte sie sichtlich irritiert.
„NEIN!“
„Aber wieso sagst du dann so was?“
„Irnfrede! Ich weiß nicht, ob er auf Kerle oder auf Weiber steht, und es ist mir auch egal. Und jetzt lass mich in Ruhe. Wir werden bald auf Freudenstein eintreffen, versuch bitte bis dahin nicht dahin zu schmelzen! Ich will keine Sauerei hier in der Kutsche!“

Irnfrede verschränkte die Arme und warf Ludolf hasserfüllte Blicke zu.

Für eine Weile herrschte Stille.

„Ludolf?“ … „WAS?“

„Glaubst du, dass er eine Freundin hat?“ …

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Burg Freudenstein, 22.Efferd 1044, abends

„Willkommen auf Burg Freudenstein, hohe Herrschaften von Hirschfurten!“ Selinde von Ruchin ließ es sich nicht nehmen, der Reisegruppe aus Hirschfurten einen würdigen Empfang zu bereiten. Die Dienerschaft von Burg Freudenstein war fast vollzählig angetreten, um die Neuankömmlinge willkommen zu heißen.

Ludolf stieg aus der Kutsche und gab sich alle Mühe, dabei eine freundliche Miene aufzusetzen. Doch richtige Freude wollte bei ihm nicht aufkommen, denn seine künftige Gemahlin war mehr als doppelt so alt wie er, was man ihr leider auch deutlich ansah.

„Vielen Dank, Euer Hochgeboren! Ich bin Ludolf von Hirschfurten, Euer Verlobter!“ verbeugte er sich formvollendet mit der gebotenen Höflichkeit.

Anhand Selindes Strahlen konnte er leicht ausmachen, dass sie mit seinem jugendlichen Anblick dafür mehr als zufrieden war. „Willkommen liebster Ludolf! Ich hoffe, Eure Reise ist gut verlaufen?“ „Weitgehend, ja!“ Ludolf nickte knapp.

Irnfrede stieg ebenfalls aus der Kutsche und blickte sich neugierig um. Burg Freudenstein sah ja so anders aus als die Burg ihres Vaters. Bei weitem nicht so wehrhaft und unnahbar, aber dafür mit vielen Türmchen und Erkern. Es wirkte gleich alles viel verspielter, viel freundlicher und einladender. Es gefiel ihr wirklich gut hier.

Selinde begrüßte auch die junge Edeldame herzlich: „Und Ihr müsst Irnfrede sein, die Tochter von Herrn Nimmgalf, nicht wahr? Es stimmt also was man so sagt, Ihr seid eine wahre Schönheit.“ Irnfrede errötete und senkte kokett den Blick. „Habt… habt Dank für den freundlichen Empfang, Euer Hochgeboren!“

„Ach bitte, nennt mich doch einfach Selinde. Erstens bin ich ja noch nicht lange Baronin und zweitens sind wir doch bald schon eine Familie“, lächelte sie die beiden jungen Hirschfurtens offenherzig an.

Ludolf seufzte erst leicht, aber dann erwiderte auch er das Lächeln. „Also gut, Selinde!“ Irnfrede deutete auf Ritter Geromel, der mit schmerzverzerrtem Gesicht vom Pferd gestiegen war. Offensichtlich bereitete ihm die Wunde an der Hüfte immer noch Schmerzen.

„Dies ist Ritter Geromel, er ist für unsere Sicherheit verantwortlich! Auf der Anreise gab es einen unschönen Vorfall in Vierok, der leider für ihn nicht ganz folgenlos blieb. Falls ihr einen Medicus habt, wäre ich sehr froh, wenn er sich mal seine Wunde anschauen und ihm einen frischen Verband anlegen könnte.

„Aber selbstverständlich. Wir werden uns darum kümmern“, entgegnete Selinde und ließ nach ihrem jungen Hofmedicus Gerbald von Dachsen rufen. „Ich hoffe, Euch ist nichts passiert?“

„Nein, den Göttern sei Dank. Aber ohne Ritter Geromel wäre es uns schlecht ergangen. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was diese Schurken uns Furchtbares angetan hätten.“

„Wahrscheinlich hätten sie dich wie ein rohes Ei behandelt, und zwar so lange, bis ihnen dein Vater ein gutes Lösegeld gezahlt hätte. Tot hättest du ihnen jedenfalls nichts genützt, und zudem bewirkt, dass sich alle Kopfgeldjäger Aventuriens auf ihre Fährte setzen“, warf Ludolf lapidar ein. Irnfrede warf ihm einen wütenden Blick zu.

Selinde beschloss rasch das Thema zu wechseln: „Naja, wie auch immer. Es scheint ja alles nochmal gut ausgegangen zu sein. Doch jetzt kommt. Ich möchte Euch so gerne herumführen und Euch euer neues Zuhause zeigen.“

„Oh, Verzeihung“, warf Irnfrede da ein: „Mein Vater sagte mir, dass zu meinem Lehen auch eine Burg gehöre, auf der ich dann künftig Hof halten kann. Ist das nicht so?“

Selinde verzog die Mundwinkel und zögerte ein wenig bevor sie antwortete: „Doch, das ist grundsätzlich schon richtig. Ihr seid wahrscheinlich auf der Anreise an Burg Erlenstamm sogar vorbeigekommen. Allerdings gibt es da ein kleines Problem…“