Geschichten:Spuren von Purpur - Zum letzten mal Zweiter

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Burg Trollhammer, 13. Travia 1044 BF, abends

Knallend flog die Tür von Nimmgalfs Schreibstube ins Schloss. „Bist Du eigentlich wahnsinnig, mich so plötzlich hierher zu zitieren? Ich habe verdammt noch mal ne Menge zu tun! Du weißt doch, dass ich mit den neuen Rekruten momentan täglich exerzieren muss. Ohne mich geht das doch wieder nur in die Hose.“

Tsaiane war aufgebracht. Den überaus vertraulichen Tonfall legte sie aber nur an, weil Nimmgalf und sie alleine zugegen waren.

„Beruhige dich erstmal und setz dich!“ entgegnete der Baron ernst. „Es gibt wichtige Neuigkeiten. Hier, lies das!“ Er überreichte Tsaiane den Brief seiner Tochter

Tsaiane überflog die Zeilen. Anschließend las sie es nochmal. Für einen Moment hielt sie inne, dann blickte sie Nimmgalf an. „Romin Westfall war ein Diener des Rattenkindes?“ Sie blickte Nimmgalf ungläubig an.

„Sieht ganz so aus!“

„Hm. Die ganze Zeit schon?“

„Das ist eine gute Frage. Er war ja nicht lange bei mir damals… könnte aber schon sein.“

„Dann hat er dich wohl ausspioniert“, vermutete Tsaiane.

„Hm, möglich… aber das passt doch irgendwie nicht zusammen. Denn warum sollte er dann so plötzlich sein Haus und seine Familie abfackeln und sich aus dem Staub machen? Es gab doch keinerlei Verdacht gegen ihn.“

„Stimmt da war so was.“ Tsaiane überlegte: „Ich erinnere mich noch, dass mein Spitzel mir damals berichtet hatte, dass mehrere Spuren darauf hinwiesen, dass er bis zu seinem Haus verfolgt wurde. Vermutlich dann von den Rattendienern oder ihren Schergen.“

„Das würde bedeuten, dass er zum Zeitpunkt seines Verschwindens noch keiner von ihnen war. Ansonsten hätte er sich ihnen ja freiwillig angeschlossen.“

„Richtig!“ stimmte ihm Tsaiane zu.

„Aber was wollten denn die Namenlosen von Romin Westfall? Was hat ihn so interessant für sie gemacht? Wollten sie Kenntnisse über Burg Trollhammer gewinnen? Dazu hätte er ihnen kaum was liefern können, da er doch nur die Kaserne kannte.“

„Nee, kann ich mir nicht vorstellen.“ Tsaiane schüttelte den Kopf. „Dann hätten die doch viel eher deinen Kastellan entführt oder Rutger… oder mich!“ Sie blickten sich einen Moment schockiert an.

Nimmgalf fuhr fort: „Wir müssen uns also fragen: cui bono?“

„Was?“

„Cui bono – das hat Praiodan von Luring immer gesagt, wenn es um die Täterermittlung ging. Ist Bosparano und bedeutet so viel wie: Wem nützt es am meisten?“

Erneut überlegte Tsaiane: „Nun gut, also wer hat denn seit damals am meisten profitiert?“ „In Reichsforst sicherlich Drego von Luring. Alle, die ihm irgendwie kritisch gegenüberstanden sind verschwunden. Zum Beispiel Odo von Luring-Mersingen. Und Ederlinde hat auch nix mehr zu melden.“

„Und wer steht jetzt in seiner Gunst weit oben?“

Nimmgalf dachte nach: „Meinst du etwa diesen Langenlob? Diesen kriecherischen Wurm?“

Tsaiane nickte. „Du weißt doch, dass Drego ihn zum neuen Landvogt von Gräflich Luring gemacht hat. Er nennt sich jetzt hochtrabend: Rudon Langenlob von Zwillingstein!“

Nimmgalf knurrte. „Pfff, hatte ich schon wieder verdrängt. Eine Ungeheuerlichkeit, einem bürgerlichen Stück Abschaum so einen Posten zu verschaffen, einem der anscheinend nicht weiß wo sein…“

Nimmgalf hielt mitten in seinem Satz inne.

„Das ist es!“

„Was?“ fragte Tsaiane überrascht.

„Jetzt erinnere ich mich wieder: Ich hab dem Kerl doch damals kurz nach Dregos Krönungsfeier auf Burg Luringen eine Lektion erteilt, um ihm mal ordentlich einzubläuen, wo sein Platz ist. Und weißt du was? Romin Westfall war auch dabei! Ich habe es wieder ganz deutlich vor Augen!“

„Was für eine Lektion?“

„Ich habe ihm ein paar Schläge mit der Reitgerte verpasst. Er und seine Drecksmeute hatten es gewagt über Irnfrede herzuziehen. Da sind mir die Gäule durchgegangen!“

Tsaiane war fassungslos, aber langsam fügte sich das Mosaik zusammen.

„Das… Nimmgalf wenn das wahr ist, dann… dann hat er…“

„Dann hat er sich dafür an Romin Westfall gerächt, weil er an mich nicht rangekommen ist, hat ihn erst entführt und ihn dann zu einem der Seinen gemacht! Einen Diener des Namenlosen!“

„Das ist es!“ rief Tsaiane.

Die Erkenntnis traf sie beide wie ein Faustschlag in die Magengrube. Nimmgalf stand auf und goss sich und Tsaiane erstmal einen Krug Wein ein.

„Ist natürlich nur ne Theorie!“ ergänzte Nimmgalf und reichte ihr den Krug.

„Ja, aber eine, für die einiges spricht. Aber wie soll es jetzt weiter gehen?“ überlegte Tsaiane.

„Wir mobilisieren alle verfügbaren Truppen und reiten nach Luring! Wir fordern seine Auslieferung. Zur Not belagern wir die Stadt, bis wir ihn haben.“

„Unsinn! Das würde etliche unschuldige Leben kosten. Außerdem haben wir kein schweres Gerät.“

„Dann fordere ich ihn zu einem Duell. Aufs dritte Blut! Ich denke mir irgendeinen Grund aus.“

„Und dann wist du zum letzten mal Zweiter?“

„Das ist nicht der Zeitpunkt für blöde Witze!“ ärgerte sich der Baron.

„Das war auch kein Witz, Nimmgalf! Der Kerl ist ziemlich gut mit dem Schwert, bedenke das mal. Zudem können wir überhaupt nicht einschätzen, über welche Kräfte er verfügt. Das Risiko wäre viel zu groß. Denk doch mal daran, was Simiona damals alles so draufhatte. Nein, so geht es nicht.“

„Also was dann?“

Tsaiane kam eine Idee: „Lade ihn doch einfach zu deinem Tsatag ein.“

Nimmgalf blickte sie fassungslos an.

„Bist du verrückt? Einen Diener des Namenlosen? Hierher? Auf meine Burg? Das ist doch…“

„Hör mir doch erstmal zu: unsere wertvollste Karte ist, dass er gar nicht wissen kann, dass wir ihn verdächtigen! Die sollten wir nicht leichtfertig verspielen. Du lädst also ihn wie alle anderen Barone Reichsforsts auch zu deinem 50. Tsatag ein. Wenn er dann hierherkommt, werde ich ihn unauffällig beobachten lassen, immerhin haben wir hier Heimvorteil, und er kennt die Burg nicht so gut wie wir. Sollte er irgendetwas Verdächtiges tun, schlagen wir sofort zu. Ich werde meinen Spion auch sein Gepäck filzen lassen, vielleicht findet sich da ja was Interessantes.“

„Und wenn er sich einfach völlig unauffällig verhält und auch nichts Besonderes dabeihat?“

„Das wäre dann halt Pech. Solange wir ihn nicht von Graf Drego isolieren können, wird es schwierig ihn festzusetzen – zumindest dauerhaft. Und einer Interrogation durch den Praios-Geweihten wird Drego sicher auch nicht grundlos zustimmen. Hmmm….“ Tsaiane überlegte angestrengt weiter.

„Ich hab’s: wir bräuchten einen Lockvogel!“ Nimmgalf blickte sie skeptisch an. „Willst du ihm etwa schöne Augen machen? Zutrauen würde ich es dir ja!“

„Nee, das würde er mir nicht abkaufen, weil er ja weiß, dass wir zusammen… es sei denn…“

„Was?“ Nimmgalf wurde neugierig.

„Wenn wir einen Streit inszenieren würden, also einen richtig heftigen Streit, den jeder mitbekommt…“

„Worüber sollen wir denn streiten?“

„Egal, such dir was aus, ausstehende Zehntzahlungen, Kompetenzgerangel im Grafenbann, irgendwas halt. Wichtig ist dabei nur: Du musst mich so richtig hochnäsig von oben herab behandeln, so dass ich dann wutentbrannt davonstapfe, und dich übelst verfluchend der Feier den Rücken kehre. Damit können wir ihn vermutlich am ehesten packen. Denn wenn er glaubt, dass er in mir eine potenzielle Verbündete hat, wird er mich möglicherweise von sich aus ansprechen, und dann versuchen mich irgendwie zu korrumpieren. Ich werde dann zum Schein drauf eingehen, und sobald wir was Handfestes haben, schlagen wir zu! Das sollte glatt funktionieren, weil er ja keinen Grund zu glauben hat, dass das Ganze ein Trick sein könnte.“

Tsaiane lehnte sich zurück und nahm einen großen Schluck Wein. „Und, was sagst du?“

Nimmgalf war fasziniert: „Das ist ja brillant! Einfach genial! So können wir ihn täuschen, und zu einem Zug veranlassen, der dann nach hinten losgeht. Für dich könnte es aber ziemlich gefährlich werden, Tsaiane. Bist du dir sicher, dass du das schaffst?“

„Außer mir wirst du niemanden finden, der das so durchziehen könnte.“

Nimmgalf wusste, dass sie damit recht hatte. Tsaiane hatte schon im wildesten Schlachtgetümmel stets klaren Kopf behalten, aber das hier war selbst für ihre Verhältnisse verdammt mutig. Aber wenn er so was jemandem zutrauen würde, dann ihr.

„Nun gut, dann versuchen wir es so. Und wenn er aus irgendwelchen vorgeschobenen Gründen einfach nicht hierher kommt?“

„Dann hast du zumindest der Etikette genüge getan. Einen Versuch ist es aber allemal wert.“

Nimmgalf zögerte noch. Es war riskant, aber der Plan könnte durchaus Erfolg haben.

„Wir brauchen aber auf jeden Fall noch magischen oder auch geweihten Beistand. Wer weiß, was der Kerl anrichtet, wenn es erstmal hart auf hart kommt.“

Tsaiane nickte. „Sagt dir der Name Gerion von Keres etwas?“