Geschichten:Kapaun

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Im Landgasthof »Raulsblick« nahe Gareths


Staatsrat Praiodan von Luring setzte sich soeben an den Tisch, dem Beispiel des Burggrafen Eran von Gareth und des Markvogtes Berdin von Vierok folgend, die bereits mit knurrendem Magen Platz genommen hatten. Burggraf Eran klopfte seine Pfeife am Stuhlbein aus, und ein graubraunes Pulver – unzweifelhaft Asche eines höchst zweifelhaften Tabaks – rieselte auf die Dielen. Markvogt Berdin rieb sich abwechselnd die Hände und den Bauch, der das Wams deutlich spannte, wobei er voller Vorfreude mit den Augen zwinkerte.

»Ei, Exzellenz, mein Vetter hat mir den Gasthof empfohlen! Ich sag’s Euch: Kapaunen haben die hier, wie in Peraines Garten großgezogen ... was sage ich! Gemästet von der Göttin eigener Hand ...!« Burggraf Eran trat den schwärmenden Markvogt gegen das Schienenbein und deutete mit den Augenbrauen warnend in Richtung des Staatsrates, der seine Aufmerksamkeit noch auf die Serviette konzentrierte. »Von der Göttin, jawo... autsch! Ach nee – hehe – ich meinte halt nur: alveranisch. Im übertragenen Sinne.«

»Schon gut, Dom Berdin«, beschwichtigte der Staatsrat. »Ich verstehe, was Ihr meint. Und dass Ihr einen guten Kapaun von einem schlechten unterscheiden könnt, lassen mich gewisse Indizien Eurer Statur erschließen.«

»Das will ich wohl meinen! Und mein Vetter steht mir in nichts nach! Früher haben wir gemeinsam den Wald unsicher gemacht, um dies Federviech zu fangen!«

Burggraf Eran kicherte verhalten: Er dachte an ganz andere Hühner, die gerüchteweise von den Vierok-Vettern in den Hainen der Kaisermark gekostet worden waren. Gerüchteweise.

Ein beflissener Wirt trat an den Tisch, die Hände eifrig reibend, wegen der Aufregung, solch hohe Herrschaften zu bewirten, und wegen der Sorge, was die begleitenden Gardisten im Schankraum womöglich anstellen könnten. Doch noch ehe er die Empfehlung des Tages abgeben konnte (es wäre Kapaun gewesen), stürzte ein junger Mann herein, in einfacher Kleidung, mit dunklem Skapulier und Tintenflecken an den Händen. Es war des Staatsrats Secretair, Gsevino vom Prutzenbogen.

»Exzellenz! Exzellenz! Nachricht aus Gareth!«

»Gsevino? Welche denn?« frug Luring, die Serviette wie mit dem Messer gefaltet beiseite legend.

»Herr, die Zornritter werden nach Höllenwall gehen!« 

»Ja, das war doch klar, Gsevino: Es sind Eslamsgrunder. Sie müssen doch wohl die Grafschaft ihrer Gönnerin, der schönen Gräfin, schützen. Es überrascht mich nicht. Danke aber, dass Du mir das berichtetest. Nun aber will ich diese beiden Herren nicht länger warten lassen. Ach, Ihr habt mir einen Kapaun bestellt, Dom Berdin? Was heißt: einen Kapaun? Ich kenne keinen Menschen, der einen ganzen Kapaun essen könnte. – Nun gut: einen. Verzeiht, Dom Eran: dann also zwei.« Die beiden nickten zu den letzten Worten des Staatsrates mit versonnener Miene.

Während Gsevino von einem Bein auf das andere trat, beugte sich Luring zu seinen Tischgenossen vor: »Was meint Ihr zu der Offerte des Höllenwallers?«

Eran von Gareth: »Ganz vortrefflich, der Bursche. Wird Zeit, dass er ‘mal was Nützliches tut. Ich meine: außer die Gefängnisse bewachen oder sich mit dem Natternfurter zu streiten. (Kein übler Mann, der Natternfurter. Gerade heraus und alles andere als ein Geck, wenn Ihr mich fragt.)«

Berdin von Vierok: »Was für eine Offerte? Ihr meint die Ferkinajagd? Ah ja, ja. Das wird Zeit, vor allem, nachdem die Perricumer so mies abgeschnitten haben. Wollte sagen: der Streitzig mit seinen Gardisten. Ein Jammer! Die armen Männer! Ich habe sogar ... jetzt sehe ich den Kapaun! Was für ein kapitaler Brocken!«

Der Wirt – vorgewarnt durch kundige Boten – hatte den Kapaun bereitstellen lassen, der nun serviert wurde: drei große Teller mit feinstem Geflügel, angerichtet mit Kohl, Wurzeln und dunkler Tunke. »Oh Ihr Götter, wenn das meine Gattin sehen würde!« rief Eran von Gareth aus. Der Markvogt aber murmelte zur Seite: »... dann bliebe für uns nichts übrig ...«

Beinahe hätten die beiden zugegriffen, erinnerten sich dann aber des Staatsrates und warteten höflich ab. Jener aber war offenbar noch immer bei der Ferkina-Angelegenheit: »Ich meine nur: Warum sollten die Ferkinas sich auch firunwaerts des Walles empören? Ich bin ein wenig verwundert. Vielleicht sollte man dorthin noch jemanden schicken?«

»Jawohl!« pflichtete ihm der Vieroker bei. »Guten Appetit!« – »Wohl schmecken!« befand der Garether. Beider Hände näherten sich schnell den Keulchen.

»Wie waere es mit Eurer Nichte, Dom Eran?« Zwei Händepaare verhielten im Angriff, zogen sich zurück. »Die kleine Veriya? Warum nicht – sie ist gescheit und flink mit dem Schwerte. Peraines Segen diesem Mahle.« Sprach’s und nahm den Angriff auf die Platte wieder auf.

»Gut denn, Veriya von Gareth mit vier Mann«, besiegelte der Staatsrat wandte sich dann dem Markvogten zu, der die Keule schon fast in den Fingern hatte. »Ihr auch noch jemanden, Dom Berdin?« Wieder traten die Finger den Rückzug an – insgesamt zwanzig (auf einen Streich ...).

»Nein, Dom Praiodan. Ich könnte aber gewiss noch ein paar findige Abenteurer beauftragen, wenn Ihr es für nötig haltet.«

»Nein, das nicht. Gsevino?«

Der Angesprochene hielt augenblicklich die Füße still und sah seinen Herrn erwartungsvoll an.

»Dann ... Ist etwa noch etwas, Gsevino? Du hast diesen Blick.«

»Ja, Herr. Des Gallsteiners Frau ist gestorben. Nach langer Krankheit, heißt es«

»Boron hab sie selig«, beeilte sich der Garether, »und wünsche, gut zu speisen.«

»Moment!« kommandierte Luring und beendete erneut die schnelle Attacke der Hände. »Was heißt: gestorben?«

»Hahaha«, spielte der Vieroker vor, »das ist doch klar: aus dem Leben geschieden, verendet, die Seele ausgehaucht, über das Nirgendmeer geflogen. War eine gute Frau, die Arme. Vielleicht besser so für sie. Guten Appetit!«

»Eben: Es kommt ja kaum überraschend«, grübelte Luring und ignorierte die enttäuschten Blicke seiner Tischgenossen. »Dem Gallsteiner aber traue ich nicht mehr, nicht mehr seit Mühlingen. Und erst recht nicht wegen der vielen ungeklärten Todesfälle in Gallstein. Wisst Ihr, es gab sogar eine Anzeige eines Nachbarn gegen den Baron von Gallstein.«

»Nicht möglich!« – »Was Ihr nicht sagt!« entrüsteten sich die beiden, mit Blick auf den jeweiligen Kapaun.

»Doch, doch. Ich fürchtete schon seit längerm eine schlimme Nachricht aus Gallstein. Vielleicht ist es diese ...? Gsevino: Du wirst nach Gallstein reisen und kondolieren. Und dann hörst Du Dich ein wenig um. Nimm den Medicus Bolg..., Balg...« – »Bilgenwardt, Ernbrecht Bilgenwardt.« – »Genau den! Nimm ihn mit. Er soll gegebenenfalls die Tote untersuchen. Würde mich nicht wundern, wenn sie gewalts...«

Markvogt und Burggraf bemerkten zwar durchaus, dass der Staatsrat ihretwegen kein unappetitliches Thema anschneiden wollte, beim Essen, doch drückten ihre betont unschuldigen Mienen keineswegs Ekel aus, sondern viel mehr den Eifer dessen, der ein Thema schnell beenden möchte.

»Mein Herren, ich wünsche, gut zu speisen. Ich breche sofort auf, nach Gareth zurueck. Gsevino: Rapido!«

Der Staatsrat rauschte davon, seinen Secretair im Gefolge. Markvogt und Burggraf sahen einander an. »Ich hörte schon, es sei kein Vergnügen, mit ihm zu essen«, bemerkte der Vieroker. »Das könnt Ihr wohl laut sagen«, stimmte der Garether ihm zu. »Nicht einmal angerührt hat er den Vogel!« – »Dann bleibt mehr für uns, Dom Eran!« – »Ihr sagt es, Dom Berdin! Brust oder Keule?«


Der Klarheit halber: Gsevino von Prutzenbogen reist mit Medicus Ernbrecht Bilgenwardt und einem finsteren Muskelprotz namens ›Alrik‹ nach Gallstein, um den Tod der Baronin zu untersuchen. Veriya von Gareth reist mit vier Kaiserlichen Gardisten nach Höllenwall, um der Ferkinajagd beizuwohnen und nach Gareth zu berichten.