Geschichten:Igelfehde - Die Übergabe von Natzungen

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11. Travia 1044 BF, Stadt Natzungen, Gräflich Natzungen

Ulmia von Weyringhaus ging langsam, denn sie führte ein kleines Kind an der Hand. Vor den beiden humpelte eine Greisin, die mit zittrigen Fingern eine Regenbogenflagge schwenkte.

Der Baron von Aldenried, Felan Rondrik von Schallenberg, trat ihr gemeinsam mit Taramon von Zoltheim entgegen. Die Anführer der Belagerung Natzungens waren beide in ihre Rüstungen gekleidet, nur die Helme hatten sie abgesetzt in den Händen der Knappen gelassen. Er hatte eine Augenbraue kritisch emporgehoben, dass die Frau mit Kind und Greisin vor ihn trat, als würde sie das vor etwaigen Angriffen schützen. Ihn schien sowohl der Gedanken zu ärgern, dass er einen Parlamentär angreifen könnte, als auch dass diese beiden in eine vermeintliche Gefahr geführt würden. Er schüttelte diesen Gedanken ab als er sprach. "Die Zwölfe zum Gruße. Ihr seid gekommen die Übergabe zu verhandeln?"

„Ganz recht, das will ich“, antwortete die junge Stadtvögtin. Sie zog ein zusammengerolltes Pergament aus ihrem Wams. „Hier sind meine Bedingungen.“

"Meint ihr nicht, dass ihr eure Lage überschätzt, wenn ihr uns Bedingungen stellt?" Der Blick blieb kritisch, als er das Pergament in der Hand Ulmias besah.

„Ich kenne die Lage meiner Stadt“, gab Ulmia zurück. Ihre Körperhaltung mochte Bescheidenheit ausdrücken, aber ihr Blick war unverwandt auf ihr Gegenüber gerichtet. „Und ich kenne die Eure. Ihr könntet ohne Zweifel Natzungen in einem Sturmangriff überrennen. Das würde Euch gelingen, aber Ihr würdet einen Blutzoll dafür entrichten müssen - und am Ende über eine Stadt herrschen, deren Bewohner in Trümmern hausen und Euch feindlich gesonnen sind. Oder …“, setzte sie ihre Rede fort, „… Ihr könntet uns belagern. Es ist Travia, die Ernte ist eingebracht, unsere Scheuern sind gut gefüllt. In zwei Wochen werden wir unser Vieh schlachten. Dann wird …“, sie deutete mit der Hand eine wehende Bewegung an, „… der Duft von Schweinebraten und Kesselwurst in Euer Lager ziehen, wo Euer Söldlingsvolk auf regennasser Wiese haust und saure Grütze löffelt. Sie werden murren und Euch früher oder später von der Fahne gehen – und jedenfalls werden sie nicht dort sein, wo ihr sie viel besser einsetzen könntet.“

Sie faltete die Hände, mit deren beredten Gesten sie ihre Worte begleitet hatte, wieder sittsam vor der Brust. Mit unschuldiger Miene - aber einem Lauern im Blick – schaute sie ihr Gegenüber an.

Bei den letzten Worten schnaubte Taramon amüsiert, als würde er der jungen Frau Unverfrorenheit Respekt zollen. Aber damit deutete er auch an, dass sie sich um die Versorgung ihrer Truppen keine Sorgen machten. Felan hingegen musterte die Frau einschätzend. "Ich denke ihr macht euch falsche Vorstellungen. Sowohl über eure als auch unsere Möglichkeiten. Aber wenn ihr denkt, dass ich nichts mehr verabscheue als Blut unnötig zu vergießen, dann kennt ihr mich recht. Die Götter haben den Menschen von Stand nicht ihre Verantwortung gegeben, weil sie darauf sinnen sollen alles mit Gewalt zu nehmen, nur weil sie es könnten. Also, was sind eure Bedingungen?"

Ulmia entrollte das Pergament, das offenbar eine vollständig vorbereitete Vereinbarung enthielt. Sie übersprang die Präliminarien mit ein paar achtlosen Handwedlern und trug den Kern der Forderungen und des Angebotes vor:

„Kein Blutvergießen. Keine Plünderung. Kein Pressen und kein Werben. Was Ihr braucht und was wir entbehren können, das verkaufen wir Euch zu gerechten Preisen – ohne Zwang von Eurer Seite, ohne Wucher von der unseren. Wenn Ihr Euch mit Eurem Eid auf diese Bedingungen verpflichtet – und zwar nach ihrem Geist, nicht nur nach ihren Worten; in dem Willen, sie zu erfüllen und nicht in dem Willen, sie nach Schlupflöchern zu durchforsten – dann will ich Euch die Tore öffnen, den Schlüssel überreichen und das Knie vor Euch beugen.“

„Und Ihr bleibt die Stadtvögtin?“

„Ihr braucht jemanden, der für diese Vereinbarung einsteht. Seid unbesorgt, ich werde dieses Amt nicht mehr lange innehaben“, sagte Ulmia, die seit dem viel zu frühen Tod ihres Vaters im vorigen Winter die designierte Erbin von Kaiserlich Raulsmark war, „aber ich werde es aufgeben, wenn ich es für angebracht halte. Ich beuge mein Knie, aber ich senke nicht mein Haupt.“

"Dann hoffe ich für euch, dass eure Bürger und Einwohner sich ebenso gerieren, wie ihr es versprecht, denn unser Wort gilt nicht Vertragsbrüchigen. Und sorgt uns dafür, dass wer auch immer euer Nachfolger ist, solange wir ihn nicht bestimmen, sich ebenso wohlgefällig zeigt. Ansonsten mag es so sein wie ihr sagt, aber ihr werdet unseren Leuten Quartier geben, alle Bürger sind so lange zu entwaffnen, wie der Konflikt andauert. Sie erhalten alles später natürlich zurück. Ansonsten wird der Alltag der Stadt sich weder ändern noch wir an Sitten oder Gebräuchen rütteln. Dann lasst es uns siegeln." In die ausgestreckte Hand Felans wurde die Rolle gelegt und er überflog die Zeilen. "Das morgige Datum zur Siegelung ist schon verzeichnet: Wieso morgen?", fragte er aufschauend.

„Selbstverständlich“, sagte die Stadtvögtin, scheinbar ihrerseits milde erstaunt über die Überraschung ihres Gegenübers. „Wir wollen doch beide unseren Leuten sagen, dass wir hart gerungen haben.“