Geschichten:Geschichten:Der uralte Bund (Vorspiel) - Geweihte (fast) unter sich

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Umland der Pfalz Randersburg, Ende Hesinde 1043 BF

Auf dem Ritt zurück wandte sich Fredegard noch einmal an Janne: „Heute Abend werden wir zuvor aber noch ein wenig mit dieser Pilperquell plaudern. Zuvor benötige ich allerdings noch ein paar Dinge aus dem Ort: Ein Kettenhemd – egal in welchem Zustand – einen kleinen Sack aus grobem Stoff, den man jemandem über den Kopf stülpen kann, ohne dass er erstickt sowie ein kurzes Seil zum fesseln unwilliger Gesprächspartner. Kümmerst Du Dich darum?“
„Gewiss. In einer Stunde habt Ihr die Sachen.“
„Gut. Packe sie in eine Tasche, die wir später unauffällig mit uns führen können. Beim gemeinsamen Mittagsmahl der Gästeschar werden wir uns, um kein Aufsehen zu erregen, noch sehen lassen. Danach gönnen wir uns ein paar Stunden der Ruhe, bevor wir uns um diese Götzendienerin kümmern und Du Position vor dem Fuchstempel beziehst.“

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Im Verlaufe des Abends hatten Fredegard, die zunächst noch etwas ungehalten darüber war, dass sie zuvor über das Relief am Brunnen trotz aller Nachforschungen nichts hatte herausfinden können, und Janne wechselweise die Hesindegeweihte Loderia Pilperquell im Auge behalten. Etwa zur zehnten Abendstunde verabschiedete sie sich von ihren Gesprächspartnern mit dem Hinweis, sich nun zur Ruhe begeben zu wollen. Die Adlige, die wenige Schritt daneben scheinbar in eine Unterhaltung mit einem ältlichen greifenfurter Ritter vertieft war, wartete, bis Loderia sich zum Gehen gewandt hatte. Gemeinsam mit Janne, die eine offenbar recht schwere Tasche bei sich trug, folgte sie mit einigem Abstand ihrem Opfer, das sich tatsächlich auf dem Weg nach Randersburg befand. Wie zuvor abgesprochen, übergab das Mädchen die Tasche ihrer Ziehmutter und schloss zügigen Schritts allmählich zu der ahnungslosen Geweihten auf. Kurz, bevor beide auf einer Höhe waren, vergewisserte sich die Halbwüchsige, dass außer ihr und Loderia niemand auf dem Pfad zu sehen war. Dann grüßte sie diese mit einem freundlichen Lächeln, wünschte ihr eine gute Nacht und schickte sie mit einem kräftigen Kinnhaken ins Reich der Träume.
Nun musste es schnell gehen: Janne griff der Bewusstlosen unter die Schultern und schleifte sie durch den Schnee zu einer Buschgruppe, etwa zwanzig Schritt vom Weg entfernt. Fredegard begab sich mit der Tasche direkt dorthin und gemeinsam zogen sie der Geweihten das Kettenhemd über, fesselten ihre Hände mit dem Seil auf den Rücken und stülpten ihr den Sack über den Kopf. Anschließend lief das Mädchen zum Weg zurück und verwischte rückwärtsgehend die Schleif- und Fußspuren im Schnee.
Stöhnend kam die zuvor in eine sitzende Position gebrachte Geweihte nach einer Weile wieder zu sich und versuchte, ihre Glieder zu strecken sowie sich zu orientieren. Beides blieb jedoch aufgrund von Sack und Fesseln erfolglos und ließ Loderia in Panik geraten. Fredegard, die zusammen mit Janne direkt hinter ihrem Opfer und damit außerhalb von dessen Sichtfeld stand, beugte sich vor und flüsterte der Hesindedienerin mit sanfter Stimme ins Ohr:

„Schschsch. Es ist alles gut. Ihr seid in Sicherheit und bei Freunden. Wir wollen nur ein wenig in dieser schönen Winternacht mit Euch plaudern. Und wenn Ihr uns alles erzählt habt, was wir wissen wollen, gehen wir alle friedlich unserer Wege. Wie klingt das?“
„Ziemlich dämlich“, war die lakonische Antwort, welche die beiden Entführerinnen für einen Augenblick dumm dreinschauen ließ. „Die ganze Mühe hier hättet ihr euch sparen können. Weder weiß ich etwas über diese Fehde, noch bin ich anderweitig in der hohen Politik bewandert noch kenne ich irgendwelche schmutzigen Geheimnisse des Hochzeitspaares oder seiner Gäste. Ach ja, Geld oder Juwelen, die ihr rauben könntet, habe ich auch nicht. Und falls ihr Tölpel es noch nicht bemerkt haben solltet: Ich bin eine geweihte Dienerin der Herrin Hesinde! Ist euch klar, was das für euch Strauchdiebe heißt? Also macht mich los und nehmt eure Beine in die Hand!“
„Seid ihr fertig?“, antwortete Fredegard, die ihre Überraschung mittlerweile überwunden hatte, gleichmütig. Es geht übrigens sehr wohl um „schmutzige Geheimnisse“, wie Ihr es auszudrücken beliebtet. Allerdings zumindest hier und jetzt erst mal nur um die Euren.“ Dann erzählte die Adlige ihrem „Gast“ von dem belauschten Gespräch, von der Karseitz und den Fundstücken in deren Kammer. Noch bevor die Geweihte darauf etwas erwidern konnte, verwandelte sich die zuvor beinahe sanftmütig klingende Stimme der ehemaligen Baronin in ein Stoßgebet. „Güldener! Gott der Götter! Beherrscher der Welt! Befehle dieser Ketzerin und Kriecherin vor den zwölf Götzen, mir wahrheitsgemäß alles zu erzählen, was sie zu meinen gerade gemachten Ausführungen weiß, auf dass ich Deinen Willen tun und die Pläne Deiner Widersacher vereiteln kann. Es sei!“
Ein Ruck ging durch Loderia und für einen Moment wand sie sich wie von Krämpfen geschüttelt, so als versuchte sie, sich gegen die Verabreichung eines Giftes zu wehren. Dann begann die Geweihte zu reden. Dass sie einem ursprünglich in Gareth beheimateten Zirkel des Namenlosen auf der Spur sei, der nun in Randersburg weile und als Erkennungszeichen geschändete – also mutwillig beschädigte – Fuchsstatuetten verwende. Ziel der Gruppe sei es, die als Hochzeitsgeschenk vorgesehenen Fuchsfibeln zu stehlen, dem Dreizehnten zu weihen und dann wieder dem Phex-Tempel zuzuspielen, damit sie später dem Hochzeitspaar überreicht und deren Seelen so auf lange Sicht korrumpiert werden können.
Mit einem zufriedenen Lächeln nahm die Adlige die Ausführungen ihrer Gefangenen zur Kenntnis, doch erstarb es zu einer fast schon entsetzten Maske, als sich Loderia plötzlich umdrehte, der Adligen trotz des Sacks über dem Kopf direkt in die Augen zu blicken schien und fortfuhr:
„Meinen Respekt übrigens, Frau Fredegard; Euch und Euer verdorbenes Balg“, sie schaute kurz zu Janne herüber, „hatte ich nicht auf der Liste. Anscheinend geht Ihr weitaus weniger dilettantisch vor als die von mir Gesuchten. Wenn Narren sich einer noch größeren Närrin wie dieser Karseitz bedienen, schaufeln sie sich in ihrer Hybris eher früher als später ihr eigenes Grab, den Zwölfen zum Wohlgefallen. Und auch Ihr, Ketzerin, werdet früher als Ihr glaubt, über Euren Hochmut stolpern.“
„Mag sein, Schlangenpriesterin“, entgegnete Fredegard, die sich wieder im Griff hatte, ungerührt, „aber nicht heute.“ Und schlug ihr Gegenüber diesmal selbst bewusstlos.

Rasch befreiten sie und Janne ihr Opfer von Kettenhemd, Sack und Fesseln und packten alles wieder in die Tasche. Dann wirkte die einstige Baronin die Liturgie „Namenloses Vergessen“ auf die Frau und befahl ihr, die letzten zehn Minuten zu vergessen, sich zu ihrem Quartier in der Herberge „Einhorngruß“ zu begeben, ins Bett zu legen und dort bis zum nächsten Sonnenuntergang zu verbleiben. Zur Sicherheit durchsuchte Janne die Geweihte noch einmal genau, fand dabei aber nichts von Belang. Danach liefen die beiden „Entführerinnen“ den Spuren folgend, die die Adlige zuvor auf dem Weg zu den Büschen hinterlassen hatte, zum Pfad zurück, hinter sich ihre Fußspuren mit der Tasche verwischend. Dort angekommen, trennten sich ihre Wege.

„Janne, Du wirst die Tasche samt Inhalt unauffällig in Randersburg verschwinden lassen; am besten an verschiedenen Orten, um jegliche Spur zurück zu uns zu beseitigen. Dann wirst Du Dir wie besprochen ein Versteck im Tempelpark suchen und, solange es Dir möglich ist, sowohl den Phex-Tempel als auch den Ausstieg des Geheimganges im Auge behalten. Sollte der Güldene Dir hold sein und Du die Diebe der Schmuckstücke beobachten können, so lass‘ sie gewähren und folge ihnen möglichst unauffällig zu ihrem Zielort. Die Schurken werden wahrscheinlich nur unwissende Handlanger sein; mir geht es vielmehr um die Person, der sie ihre Beute übergeben. Ihr folgst Du dann mit gebotenem Abstand zu ihrem Ziel und kehrst anschließend zu mir zurück. Und nun los!“
„Eine Frage noch, wenn ihr gestattet, Herrin.“
„Ja?“
„War es klug, die Schlangenpriesterin einfach so gehen zu lassen? Wäre es nicht sicherer gewesen, sie gleich nach der Befragung zu erledigen?“
„Sie zu töten, hätte nur für unnötige Unruhe gesorgt, Kind. Ihr Verschwinden oder ihre Leiche hätten einen Haufen Fragen nach sich gezogen und womöglich gar den Argwohn unserer Feinde geweckt. Nein, je länger niemand von unserer Verstrickung in alledem weiß, umso besser für uns. Und durch die mir gewährte Gnade des Herrn wird sich dieses Miststück an nichts mehr von vorhin erinnern und uns zudem bis morgen Abend nicht mehr unter die Augen kommen.“
„Ich verstehe, Frau Fredegard. Ihr habt wie immer alles gut durchdacht.“
Die Adlige lächelte und nickte ihrem Schützling kurz zu. „Hoffen wir es. Und nun genug geplaudert, Kind!“

Das Mädchen lächelte kurz zurück und strebte der Stadt entgegen, beobachtet von einer nun sehr nachdenklich wirkenden Geweihten des Güldenen, der die direkte Ansprache Loderias an sie nicht aus dem Kopf ging.

Janne hatte ihren Beobachtungsplatz an einer schwer einsehbaren Stelle im Park des Phex-Tempels gut gewählt und behielt von dort aus wechselweise das Gebäude sowie den geheimen Zugang zum unterirdischen Gangsystem im Auge. Mit zunehmender Dauer der Beobachtung wurden nicht nur die Nerven der „Zofe“ mehr und mehr auf die Probe gestellt, auch die Kälte kroch ihr in die Knochen und ließ sie frösteln. Immerhin hielt die Kälte das Mädchen einigermaßen wach, welches sich die Zeit mit der Rezitation der Lobpreisungen des wahren Götterfürsten vertrieb. Der Morgen graute bereits und Janne war kurz davor, zur Pfalz zurückzukehren, als sich wider Erwarten doch noch etwas tat. Sie erspähte beim Tempel eine Frau mittleren Alters mit langen, dunkelblonden Haaren und vermutlich dem Wappen der Markgrafschaft Greifenfurt auf dem Wams, begleitet von einem großen, breiten Mann mit Vollbart. Die mutmaßliche Greifenfurterin holte einen länglichen Gegenstand aus ihrer ledernen Tasche und zeigte ihn ihrem Begleiter. Worum es sich dabei handelte, war für die heimliche Beobachterin jedoch ob der großen Entfernung nicht zu erkennen. Wenig später verließen die beiden auf getrennten Wegen das Tempelgelände. Nach kurzem Überlegen entschloss sich Janne dazu, der Frau zu folgen, in der Annahme, dass diese und das von ihr mitgeführte Objekt das lohnendere Ziel darstellten. Die Gewappnete begab sich ohne große Eile in ein wenige Straßen weiter gelegenes Gasthaus, welches derzeit zumeist von Gästen aus Greifenfurt bewohnt wurde und verschwand direkt in eines der Zimmer. Durch einen halbbetrunkenen Zecher im Schankraum konnte die Halbwüchsige noch erfahren, dass es sich bei der Frau um die greifenfurter Ritterin Yolande von Grevinghoff handelte. Mit dieser Erkenntnis begab sich Janne zurück zur Pfalz, um zumindest noch ein wenig Schlaf zu finden und dann ihre Ziehmutter Fredegard über die gemachten Beobachtungen in Kenntnis zu setzen.