Geschichten:Der uralte Bund (Vorspiel) - Auf Elenores Spuren

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Markt Randersburg, Ende Hesinde 1043 BF

Gleich nach dem Frühstück trennten sich wieder die Wege von Mutter und Ziehtochter. Während die Ältere sich unter die adligen Gäste mischte und dabei ebenso stoisch schlechte Witze und schlechte Gesellschaft – zuweilen gar in einer Person kombiniert – ertrug und auf diesem Wege versuchte, mehr über diese Karseitz in Erfahrung zu bringen, war Janne bestrebt, zumindest das Quartier dieser Ritterin ausfindig zu machen.
Von einem Diener des Wägevogtes erhielt die Halbwüchsige dann den entscheidenden Hinweis: Die Gesuchte habe ihre Unterkunft in einer ziemlich billigen Absteige in Randersburg genommen. Zugleich erhielt Janne den gut gemeinten Rat, sich von dort fernzuhalten, da diese Kaschemme kein Ort für ein anständiges Mädchen sei. Dieses konnte ein Schmunzeln nur mit Mühe unterdrücken, als sie sich von dem Mann verabschiedete. Sie war weder anständig noch geneigt, den närrischen Ratschlag anzunehmen, ganz im Gegenteil: Mit Anstand brachte man es im Leben nur selten zu etwas! Immerhin wusste der Kerl den Weg zu dieser Absteige recht gut zu beschreiben. Auf dem Weg dorthin derangierte die Halbwüchsige ihr Kleid und ihre Frisur ein wenig, damit das Gesindel dort sie nicht sofort als Zofe einer ehemaligen Baronin erkannte, sondern eher für eine einfache Dienerin oder Magd hielt und damit eines Überfalls als weniger würdig ansah. Zur Sicherheit überprüfte sie aber dennoch ein weiteres Mal den Sitz der Messerscheide an ihrem rechten Unterschenkel; nur für den Fall, dass doch jemand in ihr eine leichte Beute sehen mochte.
Beim Anblick des schon von außen ziemlich heruntergekommen wirkenden Gasthaus fragte sich Janne unwillkürlich, warum diese Karseitz ausgerechnet hier eingekehrt war. Gewiss, nur die wenigsten Ritter waren wirklich vermögend, wie sie aus eigener Beobachtung und durch Fredegard wusste, aber eine solchʼ billige Absteige kam dem Mädchen dann doch ein wenig seltsam vor. Oder aber, ging es ihm durch den Kopf, die Gesuchte hatte dieses Haus ganz bewusst gewählt, um ungestört von anderen Adligen irgendwelchen Geschäften nachzugehen, die nicht im Sinne des falschen Götterfürsten sein mochten. Die Kaschemme selbst war beinahe zum Bersten gefüllt; allerlei einfaches Volk – Einheimische und niederes Gesinde der Hochzeitsgäste – hatten sich hier versammelt, um ein einfaches Frühstück einzunehmen, sich schon zu früher Stunde dem Trunke hinzugeben und einander ihr Leid sowie die Ungerechtigkeiten der Welt zu klagen. Ein offensichtlich von der Nacht zuvor noch verkaterter Fuhrknecht versuchte, dabei irgendetwas kaum Verständliches nuschelnd, Janne auf seinen Schoß zu ziehen, doch machte ihm die „Zofe“ mit einem kräftigen Kniff ins Gemächt rasch klar, was sie von seinen Avancen hielt, worauf er sich vor Schmerzen auf seinem Stuhl krümmte, was seine Sitznachbarn mit johlendem Gelächter bedachten. Eine ältliche Schankmaid, die das kurze Schauspiel verfolgt hatte, quittierte das Geschehen mit einem breiten Grinsen:

„Recht so! Elgor, der alte Drecksack, hat seine Hände überall, nur nicht bei sich selbst. Kann ich Dir irgendwie helfen, Kind?“
„Ich suche das Zimmer von Elenore von Karseitz, sie soll hier abgestiegen sein.“
„Eine Adlige? Hier? Hm, es gibt hier derzeit nur eine Frau, die ein Zimmer für sich allein genommen hat. Das dort hinten rechts.“

Janne wartete, bis sich die Bedienung wieder einem anderen Gast zugewandt hatte und strebte dann dem Quartier dieser seltsamen Ritterin entgegen. Ein kurzes Lauschen an der Tür förderte außer Stille nichts zutage, sodass sich das Mädchen kurzerhand dazu entschloss, anzuklopfen und einzutreten. Wäre Elenora da, könnte sie ihr immer noch eine Ausrede auftischen, wüsste aber dann zumindest mit Sicherheit, wo sie wohnte und wie sie aussah. Als auch nach dem zweiten Klopfen keine Reaktion aus dem Zimmer erfolgte, betrat Janne kurzerhand Raum, welcher leer war. Rasch schloss sie die Türe hinter sich und begann, sich näher umzuschauen. Entweder war die Bewohnerin sehr unordentlich oder hatte das Zimmer in großer Eile verlassen: Das Bett war nicht gemacht und die Decke lag auf dem Boden. Merkwürdig war hingegen, dass ein Stuhl genau vor das Fenster gerückt worden war. Warum bloß? Neugierig öffnete die Halbwüchsige dieses und bemerkte direkt unterhalb tiefe Fußspuren im Schnee, die vom Fenster weg- und hin zu einer der Hauptstraßen führten wo sie sich rasch verloren. Offenbar, so ging es dem ungebetenen Gast durch den Kopf, hatten sich zwei Personen in dem Raum getroffen und eine hatte es vorgezogen, diesen durch das Fenster zu verlassen oder aber eine der beiden hatte unter dem Fenster gewartet und von dort aus mit jemand anderem in der Kammer gesprochen. Und wer immer sich draußen befand, musste entweder sehr schwer oder zumindest schwer beladen gewesen sein, betrachtete man die Tiefe der Fußabdrücke. Als Janne das Fenster wieder schließen wollte, wurde sie einiger Stofffasern im Rahmen gewahr. Offenbar hatte es der mysteriöse Besucher vorgezogen, den Raum auf diesem Wege zu verlassen, den er aber nicht auf diese Art betreten haben konnte, da keine Spuren zu erkennen waren, die zum Fenster hinführten. Für alle Fälle packte Janne die Fasern in ihre Gürteltasche; vielleicht mochten deren Form und Farbe ja später noch von Belang sein. Der Vollständigkeit halber durchsuchte das Mädchen noch den Rest des Raumes, ohne zunächst etwas von Belang zu finden. Lediglich eine knarzende und etwas nachgiebigere Bodendiele ließ sie stutzen. Offenbar gab es darunter einen Hohlraum.
Unwillkürlich musste Jane grinsen; viele Narren nutzten solche Orte, wie sie wusste, als Verstecke für Dinge, die besser ungesehen blieben. Mithilfe ihres Messers löste sie die Diele und fand ihre Vermutung bestätigt: Darunter war tatsächlich ein Hohlraum, in dem sich drei Pergamente befanden, die sie sogleich an sich nahm. Sorgsam setzte Janne die Diele wieder an ihren Platz, bevor sie sich den Fundsachen widmete. Neben einem Plan von Randersburg, auf dem drei Gebäude markiert waren, handelte es sich um eine von kundiger Hand angefertigte Zeichnung zweier Fuchsfibeln, bei deren Anblick der Halbwüchsigen sofort das Hochzeitsgeschenk dieses „samtenen Prinzen“ in den Sinn kam, welches aus eben solchen Fibeln bestehen sollte. Das dritte Dokument beinhaltete lediglich einen simplen Satz: „Die Dienerin des Schlangen-Götzen Loderia Pilperquell weiß zuviel.“ Janne stutzte kurz. Zum einen, weil ihr der Namen durchaus etwas sagte, zum anderen weil sie nicht verstand, warum irgendwelche Narren solche Aussagen niederschreiben müssen, anstatt sie sich einfach zu merken, was deutlich sicherer wäre. Aber gut, der „Zofe" sollte es recht sein.
Nachdem sie die Papiere ebenfalls in ihrer Gürteltasche verstaut hatte, richtete sie den Raum sorgsam wieder so her, wie sie ihn vorgefunden hatte. Nach einem absichernden Blick aus dem Fenster entschied sie sich spontan dafür, sich ebenfalls auf diesem Wege zu absentieren. So vermiede sie, vom Schankraum aus beim Verlassen des Quartiers der Ritterin gesehen zu werden. Leicht verärgert raffte das Mädchen ihr Kleid – sie wusste schon, warum sie Hosen bevorzugte – und stieg aus dem Fenster, dabei darauf achtend, in die bereits vorhanden Fußspuren zu treten und vor allem nicht mit dem Kleid am Fensterrahmen hängenzubleiben. Zu guter Letzt zog sie das Fenster von außen zu, sodass man zumindest auf den ersten Blick von beiden Seiten nicht erkennen konnte, dass es nicht verschlossen war. Weiter in die noch vorhandenen Spuren tretend, ging sie bis zur Hauptstraße, wo sie kurz innehielt und den Stadtplan zur Hand nahm. Wenn sie schon einmal hier war, dann könnte sie auch gleich herausfinden, was es mit den drei dort markierten Gebäuden auf sich hatte. Dies gestaltete sich in dem Städtchen recht einfach: Die Kennzeichnungen betrafen das Gasthaus „Silberfeder“, die Herberge „Einhorngruß“ sowie den hiesigen Phex-Tempel. Rasch eilte Janne nun zu Fredegard zurück, um dieser ihre Fundstücke und Erkenntnisse zu präsentieren, was sie eine gute Stunde später bei einem kleinen Imbiss, einem heißen Tee und vor allem in einem warmen Pelz gehüllt auch tat.
Fredegard strich ihrer Ziehtochter mit sichtlichem Stolz über die Haare:

„Ausgezeichnete Arbeit, Janne. Ich bin ausnehmend zufrieden mit dir, zumal Du es vermeiden konntest, irgendwelches Aufsehen zu erregen oder gar bei Deinem Tun entdeckt zu werden. So, jetzt wollen wir aber mal sehen, ob die Kälte Deinem Gehirn nicht allzu sehr zugesetzt hat. Also, was sagen uns diese Informationen?“
Das Mädchen überlegte einen Moment, bevor es zu einer Antwort anhob: „Zweierlei. Zum einen, dass wir uns dringend einmal mit dieser Loderia unterhalten sollten und zum anderen, dass es jemand offensichtlich auf diese Fuchsfibeln abgesehen hat. Warum sonst diese Zeichnung und eine Markierung des Phex-Tempels auf dem Stadtplan? Schließlich gilt der Tempel doch als Aufbewahrungsort der Schmuckstücke.“
„Gut. Zumindest für den Anfang. Zwei Sachen möchte ich noch nachtragen. Erstens: Loderia ist die von uns gesuchte „Schlangenpriesterin“. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass es hier und jetzt noch eine zweite gibt, die von hier relevanten Dingen zu viel weiß, was auch immer damit gemeint sein mag. Und zweitens: Die Person, die diese Notiz verfasst hat, ist offenbar keine Anhängerin der zwölfgötzlichen Lehren. Warum sonst hätte sie Loderia als „Dienerin des Schlangen-Götzen“ bezeichnet? Davon mal ganz abgesehen, gibt es mir zu denken, dass die Karseitz anscheinend spurlos verschwunden ist. So wie Du den Zustand ihres Zimmers beschrieben hast, hat sie sich entweder hastig aus dem Staub gemacht oder jemand hat dauerhaft dafür gesorgt, dass sie dies nicht mehr kann. Sei es wie es sei, mit Subtilität werden wir hier, fürchte ich, nicht mehr weiterkommen.“ Die Adlige beugte sich vor und flüsterte Janne ins Ohr: Morgen Nacht werden wir uns um diese Loderia kümmern und Du wirst zudem den Tempel des Fuchses im Auge behalten. Wenn jemand die Fibeln stehlen will, dann wird er dies vermutlich vor Beginn der Hochzeitsfeierlichkeiten tun, um damit den größtmöglichen Skandal auszulösen. Später könnte man deren Verschwinden nämlich einfach unter den Tisch kehren. Und viel Zeit bis zur Trauung samt Geschenkübergaben ist nicht mehr. Ich werde, entweder am späten Abend oder ebenfalls des Nachts, mit dem Segen unseres Herrn ein wenig mit der lieben Loderia plaudern und dann hoffentlich erfahren, was hier eigentlich genau von wem mit wem gespielt wird. Und vielleicht erfahre ich mit seinem Segen auch, wo sich diese seltsame Rittersfrau herumtreibt, sofern sie sich noch, in welchem Zustand auch immer, hier in der Gegend befindet. Zur Mittagstafel nachher werden wir uns noch sehen lassen, danach einige Stunden ruhen und dann zumindest zu Beginn des abendlichen Empfangs diesem beiwohnen. Anschließend wirst Du in der Nähe des Phex-Tempels Position beziehen. Später am Abend, wenn auch Loderia zu ihrem Quartier zurückkehrt, werde ich mich mit ihr einmal über dieses und jenes unterhalten. Alles Weitere ergibt sich dann von selbst.“
„So soll es geschehen, Frau Fredegard“, entgegnete Janne knapp.