Geschichten:Der uralte Bund (Vorspiel) - Fredegard von Hauberach I

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Pfalz Randersburg, Ende Hesinde 1043 BF

Die Reise zur Pfalz verlief weitgehend ereignislos, sodass die einstige Baronin die Zeit nutzte, um ihrer Ziehtochter Janne mehr über Garetien, die Fehde, die Großfürstenbewegung und vor allem die Aufgaben einer Zofe zu erzählen; Wissen, dass das Mädchen sich sorgsam einprägte und mit einigen klugen Nachfragen sogar noch ein wenig erweiterte. Ansonsten genossen die Beiden ihre gemeinsame Zeit, welche – zum ersten Mal seit Langem – zumindest bis zur Ankunft an ihren Zielort frei von irgendwelchen Verpflichtungen war und einzig ihnen gehörte. Janne versuchte, sich möglichst jedes Detail, jede Besonderheit der Wegstrecke zu merken, war ihr doch bewusst, dass sie so bald vermutlich nicht wieder die Gelegenheit bekäme, dem Herz des Reiches einen Besuch abzustatten.
Auf der Pfalz Randersburg angekommen, bezogen die beiden Perricumerinnen die ihnen zugewiesene Unterkunft, machten sich frisch, aßen etwas und unternahmen danach einen kleinen Spaziergang in das Umland. Nachdem die Adlige sich vergewissert hatte, dass sie und ihre Ziehtochter zumindest für den Augenblick allein waren, wich die bisherige Gelöstheit aus ihrem Antlitz als sie dem Mädchen bedeutete, sich hinzusetzen und genau zuzuhören.

„So, meine Liebe, die Zeit des Müßiggangs ist nun vorbei; es wartet einige Arbeit auf uns. Du wirst Dich heute Nachmittag unter die Bediensteten der übrigen Gäste mischen und mit ihnen ins Gespräch kommen. Lassʼ Dir dabei ruhig etwas Zeit, damit keiner dieser Lakaien Verdacht schöpft, ausgehorcht zu werden. Lachʼ mit ihnen, trinkʼ mit ihnen und hörʼ vor allem gut zu. Je später und je bierseliger die Stimmung, desto lockerer die Zungen. Präge Dir Alles, was Dir wichtig erscheint, gut ein und berichte es mir dann gleich morgen früh. Stelle ruhig eigene Fragen, aber formuliere sie so allgemein wie nötig und so konkret wie möglich. Auf zu detaillierte Fragen mag ein Diener nur ungern oder gar nicht antworten, auf etwas allgemeiner gehaltene hingegen schon, wenn er dabei das Gefühl hat, nichts wirklich Anstößiges oder gar Verbotenes über seine Herrschaft preiszugeben. Und Du bist klug genug, mein Kind, aus dem Gesagten auch so Deine Schlüsse zu ziehen.“
„Ich verstehe. Und was soll ich sagen, wenn man mich nach Euch fragen sollte, was so unwahrscheinlich ja nicht sein dürfte?“
„Die Wahrheit natürlich! Du bist die Zofe einer alternden adligen Witwe aus Perricum, die sich ihre Zeit als Wohltäterin sowie mit der Teilnahme an irgendwelchen gesellschaftlichen Ereignissen vertreibt. Ansonsten vertraue ich auf Deine Kreativität und Deine Improvisationsfähigkeit“, schloss die einstige Baronin mit einem Schmunzeln.
„Das sollte ich hinbekommen, Herrin“, antwortete das Mädchen trocken mit dem Anflug eines Lächelns auf den Lippen.
„Ich weiß. Wir sehen uns dann also spätestens morgen früh wieder, denn genau, wie Du nachher unter die Dienerschaft werde ich mich des Abends unter die erlauchten Gäste mischen und schauen, was sie so alles zu erzählen haben. Aber nun lassʼ uns noch ein paar Schritte gehen, Liebes, das Wetter ist für einen Spaziergang zu schön, als dass wir jetzt schon umkehren sollten.“
Nach der Rückkehr auf die Pfalz trennten sich ihre Wege und jede suchte auf ihre Weise bei diversen Orten und Personen nach interessanten Informationen.

Die Sonne stand schon tief am Horizont, als Fredegard von Hauberach die oberste Plattform vom Bergfried erreichte und ihren verächtlichen Blick auf das Gewimmel der Menschen im Burghof unter ihr fallen ließ. Die Kaiserpfalz war bis zum Bersten mit Menschen, Tieren und Vorräten gefüllt, denn in ein paar Tagen würde hier die sogenannte Winterhochzeit zwischen Alderan von Gareth und Caya vom Greifener Land zelebriert werden. Diese elenden Narren, dachte sich die Alt-Baronin von Vellberg. Wie sie sich doch alle beugten - vor falschen Herren und falschen Göttern. Sie hasste diese Menschen, diese Herren und diese Götter. Für sie zählte nur die Herrlichkeit des einzig wahren Gottes.
Adelsfeierlichkeiten in Garetien standen normalerweise nicht im Fokus der alternden Adligen, doch diese versprach vielversprechend zu werden – denn die Formel von wer, wann und wo fügte sich bei dieser Zusammenkunft zu einem großen Ganzen zusammen, dem sie nicht widerstehen konnte: Denn es heiratete immerhin ein Spross aus dem Kaiserhaus Gareth, während die Große Fehde Garetien ins Chaos stürzte und auch noch in Randersburg, wo ein wichtiges Phex-Heiligtum des Hauses Gareth zu finden war. Dies Adelshochzeit versprach also mehr als spannend zu werden.
Das ausgezeichnete Gehör der Alt-Baronin ließ sie aufhorchen, als näherkommende Schritte auf der steinernen Treppe zu vernehmen waren. Unverzüglich zog sich die Adlige hinter einem einen großen Schatten werfenden Mauervorsprung zurück. Sehen konnte sie somit nicht, wer ihr hier oben nun Gesellschaft leistete, aber sehr wohl hören.
„Dieses illiterate Miststück hat versagt“, hörte sie die prägnante, aber gedämpfte Stimme einer älteren Frau vor sich hin zetern. - „Elenore ist eben etwas schwer von Begriff:“ Die zweite Stimme klang männlich und deutlich jünger. - „Wenn das der alte Voltan noch erleben müsste“, zischte die Alte, „Sie hätte diese Schlangenpriesterin schon längst mundtot machen sollen, die weiß zu viel!“ - „Ich werde mich persönlich um diese lästige Angelegenheit kümmern und der neugierigen Schlange gehörig die Suppe versalzen – ein für alle Mal!“
Ohne das Fredegard einen Blick auf die beiden erhaschen konnte, waren sie auch schon wieder verschwunden und Stille machte sich erneut breit. Doch eines ließ die Alt-Baronin nachdenklich zurück: Es war ihr, als ob sie eine güldene Aura bei den beiden verspürte.
Als die alternde Adlige schließlich ihr Versteck verließ und die steinernen Stufen des Bergfrieds hinunterstieg, bemerkte sie auf der untersten Treppenstufe eine ungefähr ein Spann große Fuchsstatue aus Speckstein. Bei genauerem Hinsehen fiel Fredegard auf, dass diese Statue etwas beschädigt war. Es fehlte das linke Auge des Fuchses. An einen Zufall mochte sie dabei nicht glauben. Mehr einem unbestimmten Impuls denn einem konkreten Anlass folgend, griff sich die Perricumerin die Figur und nahm sie, verborgen unter ihrem Umhang, mit sich, um sie in ihre Unterkunft zu schaffen. Auf dem Weg dorthin besah sich die Geweihte das verbliebene rechte Auge und prägte sich dessen Beschaffenheit genau ein, für den unwahrscheinlichen Fall, irgendwann auf das andere zu stoßen, respektive denjenigen, der es aus der Statuette herausgebrochen und offensichtlich mitgenommen hatte.

Auf ihrem Zimmer angekommen, verstaute sie die Figur in ihrem Gepäck und kehrte im Geiste zu der kurz zuvor belauschten Unterhaltung zurück. Zwar war der einstigen Baronin noch unklar, um was genau es bei dieser Konversation ging. Was sie aber wusste, war, dass die beiden Redner nicht ohne Grund eine vermeintlich unbeobachtete Stelle für ihr Treffen gewählt hatten. Nun galt es, Augen und Ohren offenzuhalten, um in Erfahrung zu bringen, bei wem es sich um „Eleonore“ handelte und zu wem die Stimmen gehörten. Denn wenn die Geweihte erst um das „Wer“ wüsste, wäre der Weg hin zum „Worüber“ vermutlich nur ein sehr kurzer. Nachdenklich stimmten Fredegard hingegen die verspürte Aura und die einäugige Fuchsstatue. Waren etwa noch andere geweihte Diener des wahren Herrn der Götter vor Ort? Aber eines nach dem anderen: Erst die beiden Verschwörer, dann die Suche nach dem mutmaßlichen Diener des Güldenen! Und mit ein wenig Glück führte das eine sie direkt zum anderen. Gemessenen Schrittes mischte sich die Perricumerin für den Rest des Abends unter die Gäste, bemüht, herauszufinden, zu wem die beiden vorhin belauschten Stimmen sowie der Name „Elenore“ gehörten und wer als Hesindegeweihte anwesend war.