Geschichten:Der uralte Bund (Vorspiel) - Nur ein Brunnen?

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Umland der Pfalz Randersburg, Ende Hesinde 1043 BF

Am Grund des Brunnenschachtes angekommen, stellte Janne fest, dass dieser wohl schon seit geraumer Zeit kein Wasser mehr führte. Stattdessen waren auf dem Boden Rußspuren zu erkennen, welche offenbar von darüber befestigten Fackeln rührten, für die irgendwer irgendwann einmal Halterungen an den Höhlenwänden angebracht hatte. Offenbar war schon früher jemand öfters hier gewesen. Weitaus mehr erstaunte das Mädchen allerdings die Größe der Kaverne, in der sie nicht nur bequem stehen, sondern in einigen Schritt Entfernung auch drei Gänge ausmachen konnte, die wie dunkle Schlünde in verschiedene Richtungen führten. Janne hatte nun das Jagdfieber gepackt. Endlich gab es mal was Richtiges zu erleben, etwas, das weit interessanter war als die Plauderei mit irgendwelchen Schwachköpfen! Unbewusst hatte sie sich den aus ihrer linken Gang zur weiteren Erkundung auserkoren und lief möglichst leise auf diesen zu. Plötzlich hielt sie inne, begab sich zum Seil zurück und kletterte ein paar Schritt daran hinauf. Wenn sie jetzt Frau Fredegard etwas zuriefe, so die Hoffnung der Halbwüchsigen, dürfte es nicht gleich durch das gesamte Höhlensystem hallen und die Aufmerksamkeit irgendwelcher unfreundlicher Bewohner erwecken.

„Frau Fredegard, der Brunnen liegt bereits seit geraumer Zeit trocken und der Schacht endet in einer großen Höhle, von der drei Gänge abgehen. Den Spuren nach zu urteilen, scheinen sich offenbar des Öfteren Leute hier herumgetrieben zu haben und tun es vielleicht immer noch. Ich werde mir das mal genauer ansehen – und ja, ich werde vorsichtig sein.“

Noch bevor die Adlige etwas erwidern konnte, war ihre Ziehtochter wieder hinabgeklettert und begann mit der Erkundung des linken Ganges.
Eine schier endlose Zeit wartete Fredegard vergebens auf die Rückkehr oder zumindest ein Zeichen des Mädchens. Zu ihrem eigenen Erstaunen machte sich die Adlige ernsthaft Sorgen um die Halbwüchsige, was in starkem Kontrast zu den Empfindungen ihren leiblichen Kindern – insbesondere ihrem nichtsnutzigen Sohn gegenüber – stand.

„Die kleine Erkundung dort unten war wirklich sehr interessant.“
Fredegard wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als Janne aus dem Brunnen kletterte und sie so überraschend ansprach.
„Du hast mir doch tatsächlich einen Schrecken eingejagt, Kind. Ich fing schon an, mir Sorgen zu machen." Sichtlich erleichtert drückte die einstige Baronin die Halbwüchsige kurz an sich, eine Geste der Zuneigung, die Janne genoss und auf gleiche Art erwiderte.
„So, bevor wir uns nun vollends in Rührseligkeiten verlieren, Liebes, berichte kurz, was Du da unten alles entdeckt hast.“
„Gerne doch!“ Janne hatte sich auf die Brunnenmauer gesetzt und begann, das Seil zusammenzuwickeln, während sie über ihre unten gewonnenen Erkenntnisse zu berichten begann.
„Ich fasse mich kurz. Der Brunnen endet in einer recht großen Höhle, die offenbar schon lange kein Wasser mehr führt. Gleichwohl scheinen sich, wie ich bereits erwähnte, da unten öfters irgendwelche Leute aufzuhalten, denn ich fand Rußspuren sowie mehrere Fackelhalter. Und drei Gänge.
„Gänge?!“ Fredegard schaute das Mädchen mit einer Mischung aus Überraschung und Neugier an.
„Ja. Da unten befinden sich drei Gänge, die offenbar alle mehr oder wenig häufig benutzt zu werden scheinen. Da ich sie erst alle erkunden wollte, bevor ich Euch berichte, Herrin, hat es bis zu meiner Rückkehr leider etwas länger gedauert, bitte verzeiht. Ein Pfad endete nach einigen hundert Schritt vor einer Steinplatte, die sich mit einiger Mühe verschieben ließ und unter einem Felsvorsprung unterhalb einer alten Eiche endete. Offenbar liegt der Ausgang ein gutes Stück tiefer im Wald und weiter von Randersburg weg.
Die zweite Passage ist noch länger als die vorherige und endet vor einer Steinmauer, welche zumindest von meiner Seite aus nicht zu öffnen oder zu bewegen war. Aber von der Richtung und Länge des Gangs her würde ich vermuten, dass er unterhalb der Pfalz endet.
Der dritte Weg scheint von den Spuren her am häufigsten benutzt zu werden. Etwa auf halbem Wege gelangt man durch eine Nische in der Seite zu einer nach oben führenden Treppe, die in die Schenke ‚Zum Goldenen Stiefel des Kaisers‘ führt. Oder genauer gesagt zur hölzernen Rückseite eines der Abtritte dort. Folgt man den Gang bis zu seinem Ende, dann erreicht man über eine von einem Busch verdeckte Treppe den Tempelpark der Rakulls-Sakrale des Fuchsgötzen. Da aber sonst nichts weiter zu entdecken war, machte ich mich wieder auf den Rückweg zu Euch.“
„Na, das ist doch mal interessant“, merkte die Adlige erstaunt an, „wer hätte gedacht, was so ein unscheinbarer Brunnen alles an Geheimnissen in sich bergen kann! Kein Wunder, dass die Wege von Eingeweihten anscheinend so oft benutzt werden, kann man sich so doch ungesehen zwischen der Pfalz, Randersburg, und dem Umland hin und her bewegen.“ Fredegard fuhr mit einem Schmunzeln fort: „Wüsste ja zu gerne, wen man da alles zu welchen Zeiten und aus welchen Gründen antreffen kann. Auf jeden Fall sehr gute Arbeit, Janne, ausgezeichnet!“
„Danke, Frau Fredegard. Es freut mich, dass ich helfen konnte.“
„So, jetzt gilt es dieses Wissen bestmöglich für uns zu nutzen. Wenn Du heute Abend den Phex-Tempel beobachtest, dann wirst Du den Weg durch den Brunnen hin zum Tempelpark benutzen und Dir dort ein Versteck zwischen dem Ausstieg aus dem Gang und dem Tempelgebäude suchen und beides gleichermaßen im Auge behalten. So kann Dich niemand kommen oder gehen sehen. Irgendwas sagt mir, dass die Möchtegerndiebe oder andere für uns interessante Personen diese Route ebenfalls benutzen werden, um möglichst ungesehen zu ihrem Ziel zu gelangen und vor allem danach wieder von dort wegzukommen.“
„Ich verstehe. Dann will ich doch mal sehen, wen oder was ich dort zu sehen bekomme.“, antwortete Janne mit einem bösen Grinsen.
„Gut. Aber vergiss‘ nicht: Bleib unauffällig, halte Ohren und Augen auf und, wenn möglich, verfolge die Diebe zu ihrem Unterschlupf oder Treffpunkt. Danach kommst Du umgehend wieder zu mir. So, jetzt wird mir aber langsam kalt. Packe alles zusammen und dann reiten wir zur Pfalz zurück.“