Geschichten:Der uralte Bund (Vorspiel) - Ein göttlicher Fingerzeig

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Umland der Pfalz Randersburg, Ende Hesinde 1043 BF

Fredegard und Janne nahmen ihr Frühstück wieder gemeinsam ein. Nachdem beide sich vergewissert hatten, keine unerwünschten Zuhörer zu haben, besprachen sie die Details für den heutigen Tag.

„Janne, Liebes, ich werde mich gleich zum Gebet zurückziehen und von unserem Herrn einen Fingerzeig bezüglich des Aufenthaltsortes dieser Karseitz erflehen. Du wirst in der Zwischenzeit dafür sorgen, dass ich in der nächsten Zeit nicht gestört werde; danach sehen wir weiter.“
„Natürlich.“, antwortete das Mädchen knapp, auch wenn es dem Gebet gerne beigewohnt hätte und bezog vor dem Raum Position.

Die Adlige wiederum schloss Fenster und Läden, räumte den Tisch frei und stellte dort zuerst eine kleine geweihte Statuette aus purem Gold auf, die einen sich erhebenden gesichtslosen Mann zeigte. Das Besondere an der Skulptur bestand darin, dass der Kopf nur aufgesteckt war und Fredegard stets einen zweiten mit sich führte, der einen schönen Jüngling zeigte. Dieser zierte die Statuette außerhalb liturgischer Handlungen und sorgte dafür, dass eine etwaige Entdeckung der Figur keinerlei Verdacht erregte. Im Anschluss gruppierte die Geweihte dreizehn Kerzen um die Skulptur. Nachdem diese entzündet waren, ritzte sich die einstige Baronin ihre linke Handfläche mit einem Messer und ließ aus der entstandenen Wunde zunächst in jeder Kerze und dann auf die Statuette ein paar Blutstropfen fallen. Dann kniete sie vor dem improvisierten Altar nieder und begann mit ihrem Gebet, welches sie mit gewisperten Lobpreisungen des Gottes der Götter eröffnete. „Herr, Deine gehorsame Dienerin erbittet und erfleht Deine Gnade und Huld. An diesem Orte sind üble Kräfte am Werk, die Deine Macht und Herrlichkeit zu schmälern und Deinen Gläubigen Schaden zuzufügen versuchen. Sie aufzuspüren und an der Fortsetzung ihres lästerlichen Tuns zu hindern, ist ebenso mein Bestreben wie der Schutz Deiner Diener. Hierfür erbitte ich, o Herr der Götter und Menschen, ein Zeichen, wo ich Elenore von Karseitz zu finden vermag, die in Ereignissen von großer Bedeutung sowohl für Deine Diener als auch für die Lakaien der zwölf Götzen verwickelt ist. Weise mir den Weg, Herr, damit ich Deinen Willen vollstrecken kann.“
Nach dem Gebet verbrachte Fredegard noch eine Weile in tiefer Meditation, bevor sie sich wieder erhob, die Kerzen löschte und zu den anderen in den Schrank legte. Dann tauschte sie den Kopf der Skulptur aus und stellte sie auf die Anrichte. Je offensichtlicher etwas war, so die Erfahrung der Adligen, umso eher neigten simple Gemüter dazu, es zu nicht wahrzunehmen. Nachdem alle Spuren des Gebets beseitigt waren, verließ sie das Zimmer, wo sie von ihrer Ziehtochter mit fragendem Blick erwartet wurde.

„Es ist getan“, antwortete sie auf deren unausgesprochene Frage hin, „nun gilt es Geist, Augen und Ohren nach Zeichen von ihm offenzuhalten. Bis dahin sollten wir die seltene Zeit des Müßiggangs zu einem gemütlichen Ausritt nutzen.“
„Gerne. Es ist schön, einen Moment der Ruhe zu haben und diesen mit Euch teilen zu können.“

Gemeinsam ritten sie in einem gemächlichen Trab durch die herrliche Winterlandschaft, wobei sie nur wenig miteinander sprachen, sondern stattdessen diesen schönen Wintertag einfach auf sich wirken ließen. Insbesondere Janne genoss den Ausritt sehr, ja, sie fühlte sich hier und jetzt gar – glücklich.
Mutter und Ziehtochter hatten bereits den Rückweg angetreten, als die Adlige plötzlich innehielt. Vor ihrem geistigen Auge erhob sich ein purpurleuchtender Strahl aus der Mitte des Marktfleckens Randersburg, fegte mit Wucht über den Horizont und ging als purpurner Ascheregen über ein Wäldchen nieder.

„Ist Euch nicht gut, Frau Fredegard?“ Besorgt lehnte sich Janne zu der einstigen Baronin herüber, die für einen Augenblick weggetreten zu sein schien.
Nach einem kurzen Moment der Orientierung antwortete sie lächelnd: „Im Gegenteil, Liebes. Ich habe soeben das vom Herrn erflehte Zeichen erhalten.“ Die Adlige deutete auf ein kleines Wäldchen ein paar Meilen westlich von ihnen. „Siehst Du den Hain? Dorthin wies der Fingerzeig des Güldenen. Auf! Lass‘ uns sehen, was wir dort finden werden! Und wenn es nur der Kadaver dieser Ritterin ist.“

Etwa im Zentrum des Wäldchens fanden sie auf einer kleinen Lichtung blutige Stoffreste, etliche Wildschweinspuren sowie eine Handvoll sauber abgenagter Knochen. Beim Betrachten der Stofffetzen stutzte Janne, saß kurzerhand ab und verglich diese mit den Fasern, die sie im Fensterrahmen des Quartiers der Karseitz gefunden und wohlweislich mitgenommen hatte.

„Ich denke, wir haben entweder diese Elenore oder ihren Besucher gefunden, Herrin. Die Stofffetzen hier sehen genauso aus wie die, die ich in ihrem Zimmer fand.“
„Gut mitgedacht, Janne! Hm, und wenn ich mir die Knochen dort so anschaue, müssen wir davon ausgehen, dass die Schwarzkittel unsere wackere Rittersfrau oder ihren mysteriösen Gast buchstäblich zum Frühstück verspeist haben“, stellte Fredegard lakonisch fest. „Keine Ahnung, wie man sie oder ihn hierhergebracht oder gelockt hat, aber das dürfte nun auch keine Rolle mehr spielen. Und im einsetzenden Neuschnee ohne entsprechende Ausrüstung und Erfahrung eine Rotte Wildschweine durch einen unbekannten Forst zu jagen, wäre nun auch nicht die klügste aller Ideen. Lass‘ uns noch ein Stück weiter in den Wald reiten, Kind. Irgendwas sagt mir, dass wir hier noch etwas anderes finden werden.“

Und tatsächlich, nur gut eine halbe Meile von der Lichtung entfernt, fanden die zwei Reiterinnen einen alten steinernen Brunnen. Der Güldene selbst musste ihre Schritte hierher gelenkt haben!

„Der Herr wird uns nicht ohne Grund an diesen Ort geführt haben, Janne.“, sprach Fredegard mit hörbarer Ehrfurcht in der Stimme, „wir sollten ihn daher einmal näher in Augenschein nehmen.“

Der Brunnen war aus Naturstein gemauert und offenkundig sehr alt, was die Adlige darüber grübeln ließ, wer ihn wann und warum hatte errichten lassen, denn Spuren einer früheren Besiedlung waren zumindest nicht mehr zu erkennen, falls eine solche überhaupt einmal bestanden hatte.

„Herrin, das hier ist interessant!“, rief das Mädchen aus, welche sich die gegenüberliegende Seite des Bauwerks besah. „Seht Ihr die eingetrockneten Blutstropfen hier oben? Und das Relief auf dem Randstein daneben?“ „Gut beobachtet, Liebes.“, rief die einstige Baronin und betrachtete Blut und Relief eingehend. „Die Blutspuren können noch nicht sehr alt sein, sonst hätten Regen und Schnee sie schon längst weggewaschen. Und das Relief kann uns vielleicht mehr über die Geschichte des Brunnes verraten. Wenn ich wieder auf der Pfalz bin, werde ich mal den Herold wegen der Symbolik befragen und versuchen, Einsicht in das Wappenregister dort zu nehmen. Aber zunächst sollten wir rasch zurückreiten und einige Besorgungen machen: Feuerstein und Zunder, eine Blendlaterne, ein Fläschchen Öl, einen Wurfhaken, ein Seil und zur Sicherheit noch eine Axt. Dazu für Dich feste Kleidung einschließlich Stiefel und Handschuhe. Und Deinen Hirschfänger nimmst Du auch besser mit.“
„Ich verstehe. Mir steht also, nachdem wir den Brunnen von den Ranken befreit haben, eine Kletterpartie bevor.“
„So ist es, Liebes. Ist doch mal eine erfrischende Abwechslung zu den langweiligen Gesprächen mit noch langweiligeren Menschen in Dorf und Pfalz, oder?“
Die Antwort der Halbwüchsigen bestand lediglich aus einem Grinsen.
„Dachte ich mir. Nun aber genug geredet; wir haben noch einige Einkäufe zu tätigen.“

Eine gute Stunde später standen beide wieder vor dem Brunnen. Janne, die sich für die vorgesehene Kletterpartie zwischenzeitlich umgezogen hatte, entzündete danach die Laterne, band sie an das eine Ende des Seils und ließ es langsam den Schacht bis zu dessen Grund hinab.
Am anderen Ende befestigte Fredegard den Wurfhaken und verankerte diesen sicher an einer geeigneten Stelle an der Außenseite der Brunnenmauer. Nachdem sich das Mädchen ein letztes Mal versichert hatte, dass alles ruhig und zum Herunterklettern bereit war, ließ sie sich langsam am Tau nach unten hinab, am Gürtel für alle Fälle ihren Hirschfänger.

„Janne?“
„Ja, Herrin?“
„Pass‘ auf Dich auf.“
Die Halbwüchsige lächelte kurz und glitt dann nach unten.