Geschichten:Das Blut der Erben – Eynweiher Brandlöschen

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Gut Eynweiher, Kaiserlich Sertis, 12. Praios 1045 BF:

Wie schon seit vielen Hundert Götterläufen Tradition, genauer seit 442 Götterläufen, versammelte sich auch in diesem Götterlauf der Waldsteiner Niederadel zum Eynweiher Brandlöschen in die kaiserlichen Lande Sertis. Wie jedes Jahr sollte hier die Eynweiher Schwertmeisterschaft ausgefochten und der Sieger des Eynweiher Lanzenstechens auserkoren werden. Zudem gab es noch ein etwas weniger beachtetes Bogenschießturnier. Doch hauptsächlich kam der Waldsteiner Niederadel zusammen um Unmengen Brand zu saufen.

Doch die Zeiten in den der streitbare und stolze Waldsteiner Niederadel eine einheitliche Front gegen den Hochadel bildete waren vorbei – wenn es die denn wirklich so mal gegeben hatte. Ein tiefer Riss tat sich zwischen den Anwesenden auf, was sich sogar daran widerspiegelte wo sie saßen. So wurde selbst ein Saufgelage zu einem Politikum. Auf der rechten Bank saßen lauthals grölend und mit ihren Bierkrügen auf die Tische klopfend die Waldsteiner Traditionalisten; unter ihnen so namhafte Junker wie Irberod von Leustein, Konnar von Rallerquell, Arnulf von Weißenstein, Hartwulf Gerbald von Hasenwaldeck und Leomar von Breitefurten. Nicht zu vergessen der streitbare gräfliche Hofkaplan Gutfried von Weißenstein. Auf der linken Bank hatten die Waldsteiner Elfenfreunde Platz genommen. Unter ihnen der weit geschätzte und besonnene Edle Firutin von Gauternburg, sowie die Junker Edorian von Feenwasser, Ulmenfried von Waldtreuffelingen, Sari von Linara-Grünweiden, Esmer von Zweifelfels, Arva von Birkentau, sowie der junge gräfliche Kämmerer Albin von Storchenhain.

Auf der mittleren Bank saßen eben jene, die sich keiner der beiden Gruppierungen zuordnen lassen wollten und mal mit der linken Bank und mal mit der rechten zusammen den Brand in den Rachen kippten. Hier war der geschmeidige und trinkfeste Junker Bernfried von Hagenbronn ebenso anzutreffen wie seine Standesgenossen Howarth von Birkentau, Cassia von Bergensteen, Storko von Hohentann und Rantalla von Hohenfels.

Je mehr der Brand floss umso hitziger wurden die Gemüter und neben Bierkrügen flog auch die ein oder andere Faust – besonders nach den ritterlichen Disziplinen. Konnte das Lanzenstechen noch klar von Leomar von Breitefurten gewonnen werden, so setzten sich in der Schwertmeisterschaft doch mit Esmer von Zweifelfels ausgerechnet die Elfenfreunde durch. Das traf die Traditionalisten tief ins Mark. Das mit Edorian von Feenwasser ebenfalls ein Elfenfreund das Bogenschießen gewonnen hatte, war da nur eine Fußnote.

Schnaubend und polternd ließen sich die altgedienten Junker der Traditionalisten über den Sieg der Zweifelfelserin aus. War ihr Sieg doch ein doppelter Schlag ins Gesicht. Nicht nur dass sie den Elfenfreunden nahe stand, darüber hinaus gehörte sie zur Familie Zweifelfels. Denn den Waldsteiner Traditionalisten war nicht nur die Elfengräfin und ihre Unterstützer, die Elfenfreunde, ein Gräuel, sondern auch der Hochadel als Ganzes. So schlug die Stunde der Weißensteiner Schwurbündler, jene jungen Ritter der Traditionalisten, die durch besondere, erzkonservative Ansichten hervorstachen. Einzig das Eingreifen des allseits geachteten Gastgebers Junker Ugdalf von Eynweiher konnte bisher eine große Prügelei verhindern.


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Auf der mittleren Bank sitzend, fuhr sich Cassia von Bergensteen, die schöne Junkerin, wie sie mitunter auch genannt wurde, durch ihr lockiges, blondes Haar. Anders als ihre Standesgenossen trank sie keinen Brand, sondern nippte immer wieder bedächtig an einem Kristallglas mit Perricumer Roten. Diese Art plumpe Besäufnis, wie es hier gefrönt wurde, war nicht nach ihrem Geschmack. Sie liebte den Genuss, den Müßiggang, die schönen Künste – also all das wofür dieses Treffen nicht stand. Dennoch war sie seit vielen Götterläufen ein beständiger Gast beim Eynweiher Brandlöschen. Wenn man in Waldstein eine ernstzunehmende Stimme haben wollte, war das Brandlöschen unumgänglich. Die Bergensteen saß nicht ganz freiwillig auf der mittleren Bank, sondern weil sie nicht so wirklich in die anderen Gruppierungen reinpassen mochte. Die Elfenfreunde, mit denen sie den Kunstsinn und Schöngeist teilte, waren ihr zu progressiv, für die Traditionalisten, mit denen sie viele Ansichten teilte, war ihr Lebenswandel nicht akzeptabel. Die schöne Cassia hatte nie geheiratet und war trotzdem Mutter einer Tochter geworden. Sie frönte sehr offen einen sehr Rahja gefälligen Lebenswandel. Doch, sah sie mitunter viel positives in ihrer Rolle zwischen den beiden mitunter schon feindlich gegenüberstehenden Gruppierungen. Könnte sie die lachende Dritte sein, wenn es um wichtige Posten am Hofe ging? Ähnliche Gedanken schien auch ihr Gegenüber zu haben, Junker Bernfried von Hagenbronn, der genüsslich eine Silzer Senfwurst verschlang und mit zwei Bränden hinunterspülte. Auch er hielt sich auffällig zurück mit Loyalitätsbekundungen.

"Liebste Cassia, da sitzen wir also zwischen allen Bänken." Schmatzend verschlang der Hagenbronner Junker genüsslich eine weitere Silzer Senfwurst.

"Tun wir das, Hagenbronn?" Cassia zuckte mit der rechten Augenbraue. "Vielleicht sitzen wir auch genau auf der richtigen Bank. Die Lage am Grafenhof in Grafenruh ist kaum noch tragbar. Keiner in mächtigen Ämtern lässt sich dort noch blicken seit Hofkaplan Weißenstein dort mit seinen Praioten herrscht."

"Ach, der Grafenhof", Bernfried winkte ab und kippte sich noch einen Brand nach. "Seit Jahrzwölften ist der doch nur noch eine hübsche Kulisse der Traditionalisten um Ritter zu spielen. Die wirkliche Macht geht vom Hirschfurter Grafenpalas aus. Der Seneschall ist ein Streitzig, die Landrichterin eine Zweifelfels und der Kämmerer einer der Elfenfreunde. Und die Traditionalisten? Auch sie werden in den Palas streben, der Grafenhof ist ihnen nicht genug."

"Sind sie nicht längst schon dort? Wie mir scheint, biedern sie sich beim Seneschall an – oder umgekehrt. Durch so ein Bündnis hätte der Seneschall eine eigene, mächtige Hausmacht." Cassia nippte wieder an ihrem Wein.

"Und mit dieser Hausmacht bräuchte der Seneschall die Elfengräfin nicht mehr." Bernfrieds Augen funkelten. "Er könnte den Aufstand wagen."

"Glaubt Ihr, der Seneschall würde so weit gehen?"

"Er hat nicht vor Seneschall zu bleiben, er will mehr, da bin ich mir sicher."

"Was bedeutet das für uns?"

"Wir werden die Scherben aufsammeln und die lachenden Dritten sein." Der Hagenbronner Junker hob sein Zinnbecherchen mit Brand und prostet Cassia von Bergensteen zu.


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Ein wenig gelangweilt lungerten Hardane von Waidbrod, Praigold von Nadlau und Girte von Keilerau am Eynweyher herum. Für die jungen Ritter war das Eynweiher Brandlöschen eine willkommene Abwechselung nach den Kämpfen in der Baronie Schwarztannen, doch so richtig was los war hier in ihren Augen nicht. Mit ein paar Flaschen Brand in ihren Händen, stießen Arlt von Weißenstein, Alrike von Breitenbach, Alrik Raul von Hohentann und Hilger von Rallerquell dazu. Die hier versammelten bildeten den Weißensteiner Schwurbund. Dieser, vor allem aus jungen Rittern und Ritterinnen bestehender Bund, galt auch innerhalb der Waldsteiner Traditionalisten als radikal. Sie lehnten nicht nur die Herrschaft der Elfengräfin und die aus ihrer Sicht immer noch bestehende Vormachtstellung des Hochadels ab, sie hatten sich geschworen zu handeln. Doch, ihnen wurde eine gewisse Nähe zum jüngeren Haus Streitzig nachgesagt, vor allem zum Seneschall, der seine schlagkräftigen Haudraufs zu nutzen wusste. Denn weit tiefer saß freilich der Hass auf die Elfenfreude, die in ihren Augen alle Verräter an ihrem Stand waren.

"Wir sollten das Brandlöschen mal ordentlich aufmischen, hier ist es viel zu fad", durchbrach Alrike von Breitenbach die lähmende Stille am Seeufer. "Wenn nicht jetzt, wann dann?"

"Klein-Alrike ist also langweilig, was schwebt ihr den vor?", Praigolds Stimme hatte wie so oft einen gewissen spöttischen Unterton.

"Na, Baumtänzer klatschen, darauf hat Klein-Alrike Lust." Girte grinste breit.

"Ich klatsch euch gleich", grummelte Alrike zurück.

"Das wird der alte Ugdalf nicht gerne sehen", gab Hardane zu bedenken, "der hat uns vorhin schon zurückgepfiffen."

"Ist er hier?" Praigold schnalzte mit der Zunge. "Der liegt doch bestimmt schon besoffen unter einer der Bänke."

"Lasst uns ein paar Baumtänzer suchen und denen zeigen wer hier das Sagen hat." Arlt blickte sich um und fügte hinzu: "Und mit denen fangen wir an."


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Gemächlich schlenderten die Junker Ulmenfried von Waldtreuffelingen und Edorian von Feenwasser mit Ritter Albin von Storchenhain über eine Wiese etwas außerhalb des Gutes Eynweiher. Der königliche Flussvogt von Serrinmoor sah aus, als ob ihn etwas bedrücken würde.

"Die Elfensippe in den Serrinmarschen ist weit feindseliger geworden … ich war mit mit meinem Flusssegler noch nicht mal in der Nähe ihres Dorfes, trotzdem würde wir mit Pfeilen und Speeren beschossen. Mir war auch so, als ob auch etwas unter Wasser sich an unserem Schiff zu schaffen machte."

"Das kann ich bestätigen", sprach der gräfliche Wegevogt, "die 'Schwanentochter' von meinem Halbbruder haben sie auch schon angegriffen. Erst als ihnen gewahr wurde, dass der Kapitän elfischen Blut in sich trägt, haben sie von dem Angriff abgelassen."

"Was ist nur los mit den Elfensippen?" Der gräfliche Kämmerer kratzte sich nachdenklich am Kopf. "Sie scheinen sich zu verändern."

"Nun, vermutlich müssen wir sie auch anders betrachten … differenzierter. Jede Elfensippe ist anders … einige sind ganz klar unsere Freunde, wie die Sippen aus Val'sala'dir oder die Blütentänzer. Andere sind uns feindselig gestimmt. Der Mittwald verändert sich, wie auch die Elfensippen sich verändern."

"Sie scheinen uns wohl nachmachen zu wollen", bemerkte Albin fast schon amüsiert. "So zerstritten wie der Waldsteiner Adel ist, warum sollte es bei den Elfen anders sein."

"Ah wen haben wir denn da." Edorians Stimme klang wenig begeistert. "Der Weißensteiner Heißsporn und seine Schlägertruppe."

Die drei Männer hatten das Ufer des Eynweihers noch nicht erreicht, als die Weißensteiner Schwurbündler auf sie zukamen.


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Etwas abseits des Saufgelages war es Leomar von Streitzig, der sich Junker Irberod von Leustein näherte.

"Hauptmann Leustein", rief der Sohn des Seneschalls mit kehliger Stimme. Auch er hatte schon den ein oder anderen Brand getrunken. "Ich beglückwünsche Euch zu Euren erfolgreichen Waffengang gegen die Reichsforster. Ihr seid ein wahrer Waldsteiner Held und Vorbild für den Niederadel. Er erfreut mich sehr Euch hier zu treffen."

"Ich habe in den letzten zwanzig Götterläufen kein einziges Mal das Brandlöschen verpasst", sprach der Junker von Leuental und ehemalige Baron von Linara mit rauer Stimme. Offenbar hatte er wenig Lust sich mit dem Schreiber des Seneschalls zu unterhalten. "Und ich gedenke nicht jetzt damit anzufangen."

"Die ehrwürdige Pflicht eines jeden Waldsteiner Niederadeligen, für wahr", antwortete der Streitzig. "Dennoch, es gab eine Zeit, da wart Ihr hier nicht gerne gesehen … weil Ihr als Baron von Linara Teil des Hochadel wart. Oder etwa nicht?"

"Worauf wollt Ihr hinaus, Streitzig?", knurrte der alte Leustein.

"Ihr wollt doch nicht die nächsten zwanzig Götterläufe mit diesen Saufköppen verbringen und lamentieren was wohl gewesen wäre wenn … . Ihr wollt das, wovon die hier alle nur träumen und das Euch laut Geburtsrecht zusteht: Ihr wollte wieder Baron von Linara werden und all das hier hinter Euch lassen."

"Und wenn das so wäre, was habt Ihr damit zu schaffen?"

"Nun, mein Vater, der Seneschall setzt große Stücke auf Euch, weshalb er Euch auch mit dem Kommando Rallersprung betraut hat. Ich denke, beide Seiten könnten sich auch weiterhin von Nutzen sein. Mein Vater hat Ambitionen … Ihr habt Ambitionen. Es dürfte Euch klar sein, solange die Elfengräfin auf dem Thron sitzt, werdet Ihr niemals Eure Baronie zurück bekommen."

"Ihr seit mutig, Streitzig, so frei zu sprechen, oder töricht." Irberod grinste seinen Gegenüber an.

"Diese Zeiten sind gemacht für Menschen wie wir, die die richtige Gelegenheit nutzen."

"Was schlagt Ihr vor?"

"Ihr braucht Erben. Egal was Ihr noch erreichen werdet, es ist alles für die Raller wenn Ihr keinen Erben hinterlasst. Ich biete Euch daher Streitziger Blut. Die beste Veredelung für Eure zukünftige Position. Brinna von Streitzig ist noch jung an Götterläufen, sie wird Euch noch viele Nachkommen gebären können. Sicherlich, sie ist nicht besonders von der holden Rahja beschenkt worden, aber sie trägt den richtigen Namen. Was sagt Ihr?"

Ein vielsagendes Grinsen zeichnete sich auf das Gesicht des alten Junkers. "Kommt, trinken wir einen Brand und erzählt mir mehr."