Geschichten:Der Flug der Zehn

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

30. Boron 1045 BF, der Tag des Großen Schlafes

Irnfrede hatte keine Zeit verloren. Nachdem sie sich von Ginaya nochmal genau den Ablauf des Flugs der Zehn hatte erklären lassen, war sie sogleich zu den anderen zurückgekehrt, um einen Plan auszuarbeiten, wie man Geromel retten könnte.

Man hatte sich von einem Fischer im Hafen ein Ruderboot geliehen, mit diesem wollten sie dann in die Bucht rudern, um Geromel nach dem Sprung vom Rabenfelsen rasch einzusammeln, falls er es überlebt hätte.

Am nächsten Tag hatten sich zur Mittagszeit viele Bürger Al'Anfas am Hafen oder auf Schiffen eingefunden, um dem jährlichen Schauspiel des Flug der Zehn beizuwohnen. Die Granden hatten es sich natürlich in ihren Korallengärten bequem gemacht, von wo aus man eine hervorragende Sicht auf die todesmutigen Klippenspringer hatte.

Irfrede, Ernhelm, Luna, Thorkar und Simariel waren in dem Ruderboot in die Bucht gerudert, und harrten nun der Dinge, die da kamen.

Nach einer kurzen Boronmesse am Rabenfelsen, die der Patriarch selber las, wurden nun die 'Freiwilligen' von Rabengardisten an die Klippe gebracht. Anders als Geromel waren die meisten anderen keine wirklichen Freiwilligen. Einige wurden für Vergehen bestraft, andere sollten so wohl schlicht aus dem Weg geräumt werden, weil sie irgendeinem Mächtigen unbequem geworden waren. Natürlich galt die Teilnahme am Flug der Zehn als direkter Weg in Borons Paradies - sofern man den Lehren der Al'Anfanischen Boronkirchen Glauben schenken mochte. Doch für Irnfrede war dies nur ein schwacher Trost.

Der erste Springer war ein junger Mann, dessen Sinne anscheinend etwas von Rauschkräutern vernebelt waren. Er taumelte auf den Rand der Klippe zu, sprach noch ein paar Abschiedsworte, die man unten aber nicht verstehen konnte, dann ließ er sich stumpf herunter fallen. Schon im Flug stieß sein Körper mehrfach an den Felsen der Klippe, und schlug unten dann hart im Wasser auf, wo sich kurz noch eine rote Stelle in der Gischt zeigte, dann hatte die See ihn verschluckt.

"Seht mal, die vielen Rückenflossen. Hier wimmelt es nur so von Haien!" knurrte Thorkar, und machte sich bereit, diejenigen, die sich ihrem Boot näherten mit dem Ruder abzuwehren. Simariel spannte schon mal eine Bogensehne ein. Irnfrede blickte erst besorgt ins Wasser und dann nach oben. Wie sollte ein Mensch so einen irrsinnigen Sprung aus über 100 Schritt Höhe jemals überleben können?

Die nächste war eine Frau mittleren Alters, die anscheinend nicht freiwillig springen wollte. Sie schrie und flehte um ihr Leben, doch die Rabengardisten trieben sie mit Speeren und Boronssicheln zurück zum Rand der Klippe. Die Frau ging schluchzend in die Knie und wollte sich noch festklammern, doch ein Tritt in ihren Rücken beförderte sie von der Klippe. Mit einem langen Schrei stürzte sie in die Tiefe. Kaum war sie ins Wasser eingetaucht, schossen die Haie auf sie zu. Ihr Todeskampf währte nur wenige Herzschläge, dann war auch sie verschwunden.

"Da! Das ist Geromel. Jetzt gilt es!" rief Irnfrede in höchster Anspannung und zeigte nach oben.

Angekündigt als der große Gladiator 'Gareticus Maximus' trat nun Ritter Geromel von Talbach an den Rand der Klippe. Man hatte ihm die Fesseln gelöst, so dass er sich frei bewegen konnte. Dennoch hielten die Gardisten ihre Waffen auf ihn gerichtet, damit er im letzten Moment keine Dummheiten machte.

Irnfrede beobachtete ihn genau und winkte ihm zu. Sie hatte den Eindruck, dass er sie gesehen hatte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Wenn es ihm gelänge, den Sprung irgendwie zu überleben, hätten sie vielleicht eine Chance ihn zu erreichen, bevor es die Haie taten.


Geromel tat ein paar Schritte zurück und nahm Anlauf. Dann sprang er kopfüber weit nach vorne und flog im langen Bogen in die Tiefe.

"Der Kerl hat Mut, bei Swafnir!" musste Thorkar anerkennen. Irnfrede blieb das Herz stehen. Für einen Moment schien alles wie in Zeitlupe zu laufen.

Dann tauchte er zwischen den Klippen tief ins Wasser ein.