Geschichten:Das dritte Kind – Schweigen über Tsas Segen
Ritterherrschaft Praiosborn, 3. Rondra 1045
„Drego hat vor Freude geweint als ich auf Scharfenstein aufgetaucht bin“, erinnerte sich Ailsa ni Rían nickend, „Ich habe ihn noch nie so gesehen...“
„Er liebt Euch eben“, entgegnete Lonán Walsh, „Aus der tiefe seines Herzens liebt er Euch.“
„Er liebt nicht mich“, stellte die Rían da klar, „Er liebt das, was er glaubt in mir zu sehen. Aber das bin ich nicht.“ Sie schlug den Blick nieder. Es schien ihr unangenehm darüber zu sprechen. Aus dem Spiel mit dem einstigen zweitgeborenen Ritter ohne Aussicht auf Lehen und Titel war ernst geworden. Vermutlich hatte sie das nicht erwartet. Ganz gewiss hatte sie das nicht erwartete. Doch mit diesem Ergebnis musste sie nun leben.
„Und die Erlenfaller?“
„Denen hat er – vermutlich war es aber eher seine Vögtin Yolande von Raukenfels – arg zugesetzt. Die werden ganz sicher nicht mehr so schnell einen Aufstand wagen. Er hat den Junker Eslam von Erlenfall nach Scharfenstein bestellt und ihm nicht nur dort sogleich den Lehenseid abgenommen, sondern ihn auch mit einer Rían – in Ermangelung einer geeigneten Kandidatin aus seiner eigenen Familie – in den Traviabund gestellt. Eine große Wahl hatte der neue Junker freilich nicht, seine Familie hat sich genug geleistet. Sie haben Götterläufe lang ihre Abgaben nicht korrekt entrichtet, sie haben den Lehenseid wiederholt verweigert, sie haben mich gefangen genommen und mich in das finstere Loch gesteckt...“ Sie schluckte schwer. „Die Rían ist integer, schließlich ist sie Geweihte der Herrin Rondra.“
„Und gibt sich für so etwas her?“
„Nun, anscheinend hielt sie es für die richtige Entscheidung“, meinte die Reichsritterin da lediglich, „Sie gilt als pragmatisch, zu Kompromissen bereit, dabei allerdings ihrer Herrin treu ergeben und ihrer Familie nebenbei auch. Abgesehen davon gab es wohl auch niemand anderen passenden und darüber hinaus war sie wohl auch Teil der Eskorte des Erlenfallers nach Scharfenstein. Man kann also sagen, dass die beiden Zeit hatten sich ein bisschen kennenzulernen. Sympathien scheinen also vorhanden zu sein. Die große Liebe ist es vermutlich allerdings nicht. Eine Wahl hatte der neue Junker angesichts des Fehlverhaltens seiner Familie wie gesagt allerdings nicht.“ Einen Moment hielt sie inne, nahm erneut einen Bissen und ließ sich beim Essen Zeit. „Auch Eylrun von Erlenfall hat er gleich vor der Herrin Travia mit Joschin von Radewitz vermählen lassen. Auch sie hatte keine große Wahl. Sie wird ihrem Vater als Marktvögtin folgen und der Radewitzer wird sicherstellen, dass ihre Familie nicht erneut Abgaben hinterzieht. Es ist nämlich stark davon auszugehen, dass Eylruns Vater es war, der Federführend an dem Betrug beteiligt war. Dem Radewitzer sagt man nach, dass er mit Phexens Gabe gesegnet sei, wie es sich eben für ein Mitglied seiner Familie gehört. Ein stiller, zurückhaltender junger Mann, der ein guter Beobachter sei. Eylrun hat ihn zwar kurz nach dem Traviabund einfach stehen lassen, aber die als störrisch bekannte junge Ritterin wird sich gewiss auch irgendwann mit der Situation abfinden und sich an ihn gewöhnen und wenn Joschin auch mit den Gaben Rahjas gesegnet ist – wie in seiner Familie durchaus üblich – wird sie sich ihm irgendwann nicht mehr entziehen wollen.“
„Das bleibt ihr zu wünschen. Und...“, er hielt einen Moment inne, „... und was ist mit Eurem werten Gatten, Baron Drego?“
„Was soll mit ihm sein?“, Ailsa zuckte verständnislos mit den Schultern.
„Er wird Euch gewiss an seiner Seite haben wollen. Euch und Eure Kinder.“
„Das hätte er sich früher überlegen müssen“, erwiderte sie da, „Er hat gegen meinen ausdrücklichen Wille meine Kinder zu seiner Mutter geschleppt und das alles während ich auf Rallingstein festsaß und er doch ach so sehr unter der Trennung von mir gelitten habe. Seine Kinder kann er jederzeit nach vorheriger Ankündigung hier bei mir in Praiosborn besuchen kommen.“
„Und was ist mit dem Ungeborenen? Ihr wollt ihm doch nicht etwa Tsas Segen verschweigen?“
„Doch“, sie wirkte trotzig, aber auch entschlossen, „Er wird nichts davon erfahren. Ich will es so. Du wirst schweigen. Meine Schwestern werden schweigen. Jeder wird schweigen. Ich werde nicht hier sein, wenn Drego seine Kinder sieht. Er wird also von diesem Kind nichts erfahren, denn dieses Kind ist mein Lohn für all das Leid das ich die letzte Zeit erdulden musste. Es ist mein Lohn für seine Untätigkeit und meine Qual. Es ist meines. Ich plane es nicht mit ihm zu teilen.“