Geschichten:Das dritte Kind – Vernunft

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Burg Praiosborn, Anfang Hesinde 1045 BF

Zärtlich strich Nurinai ihrer ältesten Schwester das Haar aus der schweißnassen Stirn. Die Reichsritterin war blass und erschöpft.

„So geht das nicht weiter, weiße Lilie“, hob sie an, „Du kannst nichts mehr bei dir behalten. Das ist nicht gut.“

Ailsa ni Rían ließ sich erschöpft in ihre Kissen gleiten.

„Du liegst seit Tagen nur in deinem Bett, kannst kaum aufstehen, noch weniger essen und davon nichts bei dir behalten. Das geht so nicht weiter.“

„Dann hilf mir“, flehte die Reichsritterin mit halbgeöffneten Augen während sie mit ihren Fingern nach ihrer Schwester zu greifen versuchte, doch ihr fehlte die Kraft auch nur ihre Finger auszustrecken, „Bitte, blühende Narzisse, bitte.“

Nurinai deckte ihre Schwester zu, wobei sie nahezu beiläufig anmerkte: „Wir müssen Schwester Lindegard bitten zu kommen.“

„Nein“, erwiderte Ailsa da so energisch sie konnte und schüttelte schwach ihren Kopf, „Nein.“

„Doch“, nun setzte sie sich zu ihr und strich ihr erneut das feuchte Haar aus der Stirn, „Doch. Es führt kein Weg daran vorbei.“

„Aber... aber warum hilfst du mir denn nicht, blühende Narzisse? Warum nur?“, mit glitzernden Augen schaute sie die Geweihte an.

„Ich bin eine Dienerin des Schweigsamen“, erklärte sie mit ruhiger und leiser Stimme, „So lange dieses Kind nicht tot ist kann ich nichts tun. Wir brauchen jemanden, der sich nicht nur mit den Lebenden beschäftigt sondern auch jemanden, der sich mit Schwangerschaft und Geburt auskennt. Lindegard ist die beste Wahl.“

„Sie ist Dregos Hofkaplanin!“, entfuhr es der Ritterin entsetzt, „Sie wird ihm alles verraten. Alles.“

„Nein“, nun schüttelte Nurinai den Kopf, „Gewiss nicht, weiße Lilie, gewiss nicht. Sie wird dir helfen und sie wird schweigen, weil wir sie darum bitten.“

„Das kannst du nicht wissen“, raunte sie, „Sie ist ihm loyal, nicht mir.“

„Sie ist vor allem ihrer Herrin loyal und jenen, denen sie beisteht. Sie ist eine Geweihte, was denkst du eigentlich von uns? Wenn man einen Geweihten bittet zu schweigen, dann muss dieser schweigen. Außerdem was hätte sie davon, dich zu verraten?“

Noch immer schüttelte Ailsa unwillig den Kopf: „Ich will sie nicht hier haben.“

Nun seufzte die Geweihte: „Ist dir überhaupt klar, dass du da möglicherweise das Todesurteil über dein Kind sprichst? Du brauchst dringend jemanden, der dir hilft. Jemand, der etwas davon versteht. Jetzt sei doch einmal vernünftig. Ein einziges Mal. Soll dein Kind leben oder sterben?“

Fassungslos schaute die Reichsritterin nun ihre Schwester an.

„Also?“

„Leben“

„Dann schicken wir nach Schwester Lindegard.“

„Gut.“