Geschichten:Der uralte Bund (Vorspiel) - Zum goldenen Stiefel des Kaisers (Nurinai & Yolande)

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Markt Randersburg, Ende Hesinde 1043 BF:

Es war bereits früher Abend, als Nurinai in die Schänke „Zum goldenen Stiefel des Kaisers“ einkehrte, um sich hier mit Yolande zum Abendessen zu treffen. Der zu normalen Zeiten schon sehr geschäftige Marktflecken Randersburg quoll nahezu über von Menschen, denn die Zeiten waren nicht normal. Ein Spross aus dem Hause Gareth sollte heiraten – das versprach, das bedeutendste und größte Fest der letzten Monde, wenn nicht gar der letzten Götterläufe zu werden – und das ausgerechnet mitten in der Großen Fehde. Nun, genauer gesagt ruhte die besagte Fehde gerade, sodass alle Fehdeparteien erstmal ihre Kräfte sammeln konnten, bis sie nach dem Winter wieder voller Leidenschaft und Kampfgeist weitergeführt werden würde. Denn, das Recht eine Fehde zu führen, war eines der höchsten verbrieften Rechte des Adels – so hörte es Nurinai zumindest aus jeder Ecke.

So saß die junge Boroni an einem kleinen Tisch in der gut gefüllten Schänke und ließ ihren Blick schweifen. Sie war etwas früher als geplant hier eingetroffen, also würde Yolande noch etwas auf sich warten lassen. An einem der großen Tische saß eine Gruppe von Männern und Frauen in Uniform und sprach lautstark dem Gerstensaft zu. Einige der Herrschaften schienen recht hoch dekoriert zu sein, zumindest schloss Nurinai das aus den diversen Abzeichen, die an den Uniformen hafteten. Einzig ein junger Mann in der Gruppe war in Zivil gekleidet.

Etwas abseits der Gruppe Militaristen, in einer der Ecken, saß eine schlanke, runzelige Frau mit schlohweißen Haaren. Trotz ihres mutmaßlich hohen Alters wirkte sie quirlig und strahlte Lebensfreude aus. Ihre Kleidung erinnerte an die der Rohalsjünger. Auch trug sie zahlreiche Schlangenverzierungen auf dieser. Die Geweihte der Hesinde hielt ihre Hand auf ein paar Pergamente und schien auf jemanden zu warten, denn sie trank und aß nichts. Nach wenigen Augenblicken stand sie auf und verließ die Schenke durch den hinteren Ausgang.

An einem weiteren der kleinen Tische saß eine Frau, die ungefähr 30 Götterläufe zählte. Ihre dunkelblonden Haare trug sie in einem ordentlichen Kurzhaarschnitt. Sie war sauber und tadellos gekleidet, wirkte jedoch sehr dünn und etwas kränklich um die Nase. Verbissen war sie dabei, einen Fleck auf dem Holztisch mit einen Tüchlein zu bekämpfen, was wohl ihren verkrampften Gesichtsausdruck erklärte. Selbst als der Schankknecht einen Becher und eine Teller mit einer Stulle Brot mit Hartkäse brachte, ließ die reinigungsaffine Dame nicht von dem Fleck ab, sodass der junge Mann die Utensilien an den Rand des Tisches stellte, der nicht zum Kampfgebiet des Wischtuches gehörte.

Kopfschüttelnd kam der Schankknecht auf Nurinai zu, um ihre Bestellung aufzunehmen, als dieser fast von einen hünenhaften Bärtigen angerempelt wurde. „Pass auf Bürschchen, ich muss hier durch“, hörte die Boroni den Hünen sagen. Sie meinte dabei die Greifenfurter Mundart erkannt zu haben. Der Schankknecht ließ den Mann gewähren. Vermutlich war er nicht auf Ärger aus, auch hatte er mutmaßlich aufgrund der Geschäftigkeit der Lokalität keine Zeit für Streitereien. So konnte Nurinai schließlich ohne weitere Störungen ihre Bestellung aufgeben – erstmal nur etwas zu trinken.

Da Yolande noch etwas auf sich warten ließ, schaute Nurinai der Frau mit dem Wischtuch zu, wie sie die Gabel und das Schneidemesser höchst akkurat abwischte und polierte. Wenn die mal kein Vorstand eines edlen Haushaltes war, dachte sich die Boron-Geweihte im Stillen. Schließlich drückte die Blase und Nurinai entschloss sich den Abort aufzusuchen. Dieser befand sich hinter der Schänke.

Als die Boron-Geweihte hinter der Schänke ins Freie trat, sah sie die rüstige Hesinde-Geweihte in einem Gespräch mit einer schlanken Person. Mehr konnte sie nicht erkennen, da die Person mit dem Rücken zu ihr stand und in einen weiten Mantel gekleidet war. Allerdings konnte Nurinai einige Satzfetzen aufschnappen.

„Ich sage euch, die haben was vor, irgendwas Großes … so viele Aktivitäten wie schon lange nicht mehr … sie sind wieder erwacht … folgt der Fuchsfährte!“ Dabei überreichte die alte Geweihte ihrem Gegenüber ein paar Pergamente. Dann verschwand die schlanke Person in der Dunkelheit, während die Geweihte der Hesinde zufrieden wieder in die Schänke ging.

Als Nurinai nach der Notdurft wieder die Schänke betrat und zurück zu ihrem Platz ging, bemerkte sie, dass auf ihrem Stuhl etwas stand. Es war eine ungefähr einen Spann große Fuchsstatue aus Speckstein. Beim genaueren Hinsehen bemerkte sie, dass die Statue jedoch etwas beschädigt war, denn der Fuchsschweif war abgebrochen. Nurinai blickte sich suchend um. Weder die Hesinde-Geweihte, noch die putzaffine Frau waren zu sehen. Auch die Militaristenrunde hatte sich mittlerweile aufgelöst.

Nachfragen bei Tischnachbarn und dem Schankknecht waren nicht sehr hilfreich. Keiner konnte sagen, wer die Fuchsstatue auf Nurinais Stuhl positioniert hatte. Just in diesem Moment betrat Yolande den Schankraum und stand lächelnd vor Nurinai.

Verunsichert blickte Nurinai zwischen der Statue und Yolande umher.
„Narzisschen?“, fragte die Raukenfelserin irritiert, „Alles… in Ordnung?“
„Ähm“, stammelte die Geweihte da nur, „Ich… ich… ich bin mir nicht sicher. Ich…“ Sie stockte und wurde blass. „Ich glaube…“, sie schluckte, „… mir wird schlecht…“
Hastig legte die Ritterin die letzten Schritte zu ihrer Liebsten zurück, bugsierte sie auf den freien Platz, der eigentlich ihr zugedacht gewesen war und raunte ihr leise zu: „Wann hast Du das letzte Mal etwas gegessen?“ Eine Antwort erhielt die Raukenfelserin allerdings nicht, stattdessen schaute Nurinai sie nur mit ihren großen blauen Augen an und wurde immer blasser. Yolande seufzte innerlich, wusste aber was zu tun war: Sie eilte sich für sie beide etwas zu essen zu bestellen und ließ sich zur Überbrückung etwas aufgeschnittenes Brot aus der Küche reichen, welches sie ihrer Liebsten unter die Nase hielt und forderte in einem Tonfall, der keine Widerworte duldete: „Iss, Liebes, iss.“
Nurinai aß, auch wenn sie das Gefühl hatte, sie konnte nichts bei sich behalten und allmählich kehrte etwas Farbe in ihr Gesicht zurück.
„Du musst jetzt besser auf Dich achten“, tadelte die Ritterin die Geweihte schließlich, „Du bist nun nicht mehr allein.“
„Ach, daher kommt das“, konterte Nurinai sarkastisch, „Ich dachte, ich sei einfach nur fett geworden.“
„Na, noch sieht man doch fast nichts“, Yolande musste schmunzeln. So schlecht konnte es ihrer Liebsten gar nicht mehr gehen. „Außerdem werden wir Frauen nicht fett, sondern nur… hm… rund. Verstehst Du?“
„Hm“, machte die Geweihte da nur und rief sich wieder einmal ins Bewusstsein, dass es keineswegs eine Selbstverständlichkeit war, dass Yolande noch immer an ihrer Seite weilte und zu ihr hielt. Als sie ihrer Liebsten nämlich hatte eröffnen müssen, dass sie ein Kind erwartete, hatte sie das schlimmste befürchtet. Erstaunlicherweise hatte die Raukenfelserin das zu jenem Zeitpunkt bereits gewusst. Glücklich war sie dennoch darüber nicht gerade gewesen. Sie hatte sogar geweint, ob aus Wut oder Enttäuschung hatte Nurinai jedoch nicht zu sagen vermocht. Noch heute wurde ihr ganz anders, wenn sie daran zurückdachte. Was sie zu jenem verhängnisvollem Ausrutscher – anders konnte sie es einfach nicht bezeichnen – getrieben hatte, verstand sie bis heute nicht und sie war froh, dass Yolande nie danach gefragt hatte. Auch nach dem Vater des Ungeborenen hatte sie nie gefragt. Ganz im Gegenteil schien er ihr recht egal zu sein und mehr noch: Yolande hatte sie sogar vor ihren Schwestern in Schutz genommen. Doch seitdem war noch etwas Anderes in ihre Beziehung getreten: Misstrauen. Vor allem von Seiten Yolandes.
Das Essen wurde gebracht. Ein kräftig dampfender Eintopf, über den sich beide Frauen hungrig hermachten. Und während sie aßen, fiel Yolandes Blick zum ersten Mal auf die kleine Statue, die sie zuvor, ohne ihr zu große Aufmerksamkeit zu schenken, auf dem Tisch platziert hatte.
„Ist das… ein… hm… Hochzeitsgeschenk?“, fragte sie leicht irritiert.
Nurinai schüttelte den Kopf: „Wie kommst Du darauf?“
„Das Haus Gareth führt doch einen Fuchs im Wappen“, rief die Ritterin der Geweihten ins Gedächtnis.
„Hm“, machte diese da nur, „Da der Schweif zerbrochen ist, wäre es ein armseliges Geschenk, findest Du nicht auch? Nein, nein, sie stand plötzlich hier und keiner scheint zu wissen, wie sie hierher gekommen ist.“
Da blickte die Raukenfelserin nur noch verwirrter drein: „Was soll das heißen?“
„Ich musst mal und als ich zurück kam, stand sie da und keiner hat gesehen, wie sie hierher kam, obgleich ich dazu sagen muss, dass sich zu jenem Zeitpunkt einige äußerst seltsame Gestalten hier herumgetrieben haben. Als ich wieder kam, waren sie jedoch verschwunden.“ Sie ließ ihren Löffel sinken und raunte ihrer Liebsten mit gedämpfter Stimme zu: „Etwas geht hier vor sich. Und ich bin mir nicht sicher, ob es gut ist…“
„Das klingt… nicht gut“, kommentierte Yolande da zögernd, „Meinst Du… jemand will die Hochzeit… sabotieren?“
Nurinai zuckte mit den Schultern: „Irgendetwas geht auf jedenfalls hier vor sich und da das Haus Gareth den Fuchs im Wappen führt… ?“
„Vielleicht…“, überlegte die Ritterin da, „… hat es aber auch auch etwas mit diesen Möchtegern-Rittern zu tun? Das Großfürstliche Fuchsrudel?“
„Führen die etwa auch einen Fuchs im Wappen?“
„Nein“, klärte die Raukenfelserin da auf, „Sie führen das Wappen Korgonds.“
Nun schaut die Geweihte fragend drein. In Kürze versuchte Yolande ihr zu erklären, was es mit Korgond auf sich hatte, doch der Ausdruck in Nurinais Gesicht veränderte sich nicht wesentlich: „Das ist so ein… hm… Ritterding?“
Ihre Gegenüber nickte.
„Wir sollten das Fuchsrudel im Auge behalten“, entschied die Ritterin kurzentschlossen und untermalte ihre Aussage mit einem heftigen Nicken, „In ihrem ritterlichen Wahn ist denen so einiges zuzutrauen.“
„Lass uns erst einmal den nächsten Phex-Tempel aufsuchen.“, schlug Nurinai da vor, „Vielleicht können sie uns dort mehr zu dieser Statue sagen. Vielleicht…“ Sie verstummte. „… sollten sie dort gewarnt sein. Für den Fall der Fälle.“ Die Geweihte nickte ernst. „Und… und vielleicht… vielleicht sollten wir uns auch an den nächsten Hesinde-Tempel wenden.“
Nun blickte die Ritterin fragend drein.
„Ich habe eine ältere Hesinde-Geweihte gesehen. Draußen. Sie scheint wichtige Unterlagen übergeben zu haben. Sie scheint…“ Sie dämpfte ihre Stimme noch mehr als zuvor. „… etwas gewusst zu haben. Sie…“ Nun zuckte die Rían mit den Schultern. „… sie hat gesagt, man solle der Fuchsfährte folgen.“