Geschichten:Der uralte Bund (Vorspiel) – Amselflug (Thiomara von Amselhag)

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Pfalz Randersburg, Ende Hesinde 1043 BF:

Am Horizont begann langsam die Sonne zu sinken und kündete vom bald anbrechenden Abend. Flink und fleißig wie Mokoschas Bienen schafften Knechte und Bedienstete die letzten Wagenladungen mit Kisten und Fässern in das wie ein nimmersatter Schlund aufstehende untere Tor der Pfalz Randerburg. Die Winterhochzeit sorgte für einen nicht versiegen wollenden Zustrom von Menschen und Waren. Eine so große Feierlichkeit hatte die altehrwürdige Pfalz schon seit vielen Götterläufen nicht mehr gesehen und der Adel war hungrig – nach einem üppigen Festessen, nach Wein und nach Unterhaltung. So fanden auch nicht wenige bunte Bälle balancierende Gaukler und vergnügt spielende Musikanten ihren Weg durch das Tor – stets kritisch beäugt und mitunter durchsucht von grimmig dreinschauenden Wachen.

So schritt auch Thiomara von Amselhag durch das Tor der Pfalz. Ein warmer Kräutertee und eine Meditation hatten ihren Geist für den Abend geschärft. Ihre aufwändige Hochsteckfrisur, die Madara ihr bei ihrer Fokussierung gezaubert hatte, war ein Zwitter Mittelreichischer, wie Maraskanischer Flechtkunst geworden, was der Vergangenheit des Hauses Sanzerforst zu ehren gereichen sollte. Ihr roter Lodenmantel hielt die Kälte fern, zog aber genug Blicke auf sich, um zu zeigen das sie und der Schlund da wahren. Die Maraske versteckt sich ja auch nicht im Gebüsch, sie zeigt das sie gefährlich ist. Warum sollte es also der Schlund, jetzt wo er in der Fehde Stärke gezeigt hatte. Zuversichtlich sah sie dem Treffen entgegen. Ihr Ziel war der Ingerimm-Schrein, denn dort war sie mit einem Kaisermärker Delegaten zu einem informellen Austausch verabredet. Ein konspiratives Treffen, wenn man so wollte. Ein Grund, warum die beiden Kinder die Schlunderin nicht begleiteten, sondern in der gemeinsamen Unterkunft unten in der Ortschaft unweit des Phex-Tempels verblieben. Es dauerte ein wenig bis Thiomara den Äußeren Zwinger und dann den Vorderzwinger, der dann schließlich in den Inneren Zwinger mündete, überwunden hatte. Eine wahrlich wehrhafte Pfalz.

Als die Schlunderin über den Großen Hof schritt, passierte sie den im beginnenden Dämmerlicht noch trutziger wirkenden Bergfried. Auch wenn das geschäftige Leben in der Pfalz aufgrund des anbrechenden Abends langsam etwas zur Ruhe kam, immer noch huschten viele Diener, Pagen und Gäste über den Hof. Ihr Blick blieb am Bergfried, dem markantesten Gebäude der Pfalz hängen.

Von dem trutzigen Gebäude kommend, lief eine einfach gekleidete Frau in Richtung der Wirtschaftsgebäude. Offenkundig hatte sie es eilig. Ihr Gesichtszüge wirkten verhärmt und ausdruckslos und zeugten doch von der vergangenen Anmut ihrer jüngeren Jahre. Die vollen Haare hatte sie zu einem einfachen Zopf gebunden und standen wegen ihrem vollen braunen Farbton in Gegensatz zu dem mutmaßlichen hohen Alter der Frau.

Wenig später trat ein junger Mann betont lässig aus dem Bergfried, knöpfte ob der Kälte den obersten Knopf seines Mantels zu und lief dann zum Palas der Pfalz. Er war eher klein, dafür aber mit breiten Schultern gesegnet. Sein langes, mittelblondes Haar trug er zu einem akkuraten Zopf gebunden. Entweder war er ein Diener eines hohen Adligen, oder aber er gehörte selber zum adligen Geblüt, schlussfolgerte Thiomara.

Eine in einen einfachen, dunkelbraunen Wams, der schlicht gehalten war, aber gut in Schuss war, angetane Frau mittleren Alters kam Thiomara schnellen Schrittes aus der Richtung des Praios-Tempels entgegen und nickte freundlich. Die Frau um die 30 mit dem wallenden, dunkelblonden Haar hatte es offenbar ebenfalls eilig und wirkte etwas gehetzt. Bei sich trug sie eine lederne Tasche, die sie eng umschlungen hielt.

Vom Bergfried kommend, überquerte eine in edlen Gewändern angetane Dame fortgeschrittenen Alters den Großen Hof in Richtung Palas. Ihre mit grauen Strähnen durchzogenen schwarzen Haare trug sie zusammengebunden. Die Edeldame schien die Schlunderin nicht weiter zu beachten; wie auch sonst keinen um sich herum. Die mit vielen Ringen geschmückten Hände hielten ihren weiten Mantel zusammen und drückten ihn etwas umständlich an ihren Körper. 'Schicke Schuhe' , dachte sich Thiomara und tippte auf Perricumer Machart.

Aus der Richtung des Praios-Tempels kam Thiomara eine alte Frau, die ihre Kleidung nach zu urteilen eine Adelsdame war, entgegen. Die fahlen und mit tiefen Falten durchzogenen Gesichtszüge wirkten ausdruckslos. Aus derselben Richtung folgte ein Diener des Praios, der allerdings in die entgegengesetzte Richtung eilte.


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All den Trubel auf dem Burghof zur Kenntnis nehmend, schritt Thiomara unweit des Bergfriedes in ein Gebäude, in dem der Ingerimm-Schrein beherbergt war.

Der Schrein war klein, dafür aber dem feurigen Herrn zum Wohlgefallen. Der Altar war ein übergroßer gusseiserner Amboss – eine Schenkung aus dem Kosch an das Kaiserhaus, wie Thiomara musste. Eine runde, Wärme spendende Feuerschale vor einem Abbild des Gottes zeigte ihn als himmlischen Schmied. Die Unterredung mit dem Delegaten der Kaisermark war überaus informativ für die Schlunder Diplomatin gewesen. Der Schlund und die Kaisermark würden auch nach der Winterpause den Eisernen Bund fortführen, da war sich Thiomara sicher. Um nicht aufzufallen, verließ der Kaisermärker Delegat den Schrein des Feurigen als erster. Als sich Thiomara zum gehen umwandte, stand vor ihr im Torbogen zum Schrein eine etwa ein Spann große Fuchsstatue aus Speckstein. Bei näheren Betrachten erkannte sie, dass die Nase der Statue abgebrochen war.

Thiomara lehnte sich mit verschränkten Armen in den Torbogen und ließ ihren Blick über den Hof wandern, der kurz an jeder Person abschätzend hängen blieb. Wer mag hier sein Füchslein verloren haben. Führten vielleicht Spuren im Schnee vom Tempel fort?

Sie hockte sich auf der Schwelle zum Fuchs herab und strich mit ihrem behandschuhten Zeigefinger über Stirn und Nasenansatz der Statuette und untersuchte ihn. Wo hast du nur dein Näschen gelassen, kleiner Fuchs? Sie suchte die Schwelle nach Splittern der Nase ab.

Der Fuchs verschwand beim Aufstehen in einem Beutel in ihrer Mantelinnenseite. Welch wundersame Botschaft. Thiomara schritt über den Hof, ging den Ablaufplan der Zeremonie und des Festes noch einmal durch und schätzte ab, wie lange sie noch Zeit haben würde. Ihr nächstes Ziel lag gleich gegenüber. Rondra hatte zur Fehde gerufen. Also sollte sie auch im Hause der Leuin einkehren. Zumal sie den jungen Hofgeweihten Albin aufsuchen wollte. Sie hatte ihn seit der Grablegung seiner Großmutter Sinja nicht gesehen und alte Familienbande sollte man pflegen.

Mit Blick auf den aufgewühlten Schnee vor dem Eingang des Schreins wurde Thiomara klar, Schneespuren würden sie nicht weiterhelfen, dafür trampelten zu viele Stiefel Tag ein Tag aus über den Hof und auch zum Ingerimm-Schrein. Auch die Suche nach der abgebrochenen Nase des steinernen Füchsleins blieb erfolglos, scheinbar war sie schon vorher nicht mehr vorhanden.


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So schritt Thiomara über den Burghof in Richtung Rondra-Tempel. Dieser war zwar der größte Tempel der Pfalz, war dafür aber eher schlicht gehalten. Eine Ausnahme bildete die Statue der Rondra, die die Göttin mit Helm, Schwert und Schild in streitbarer Pose und mit vergoldeter Rüstung zeigte. Einige Gläubige hatten sich hier vereinzelt zum stummen Gebet versammelt. Thiomara blickte sich suchend um, konnte allerdings keinen Knappen der Göttin erspähen – von dem Tempelvorsteher ganz zu schweigen. Nur eine Novizin machte sich an einer der Sitzbänke zu schaffen.

„Sagt, Schildmaid der Donnernden, wo finde ich Ehrwürden Albin von Radewitz?“

„Dieser ist gerade nicht zu gegen“, antwortete das um die 14 Sommer zählende Mädchen etwas missmutig, „er hat mir aber aufgetragen diese Kritzeleien zu entfernen.“

„Wohl keine Ehrerbietungen an die Streitbare?“ Thiomara zog dabei den rechten Augenbrauen hoch.

„Seht selbst!“

„Est bibendum sanguinem“, las die Schlunderin laut vor sich her. „Es gilt Blut zu trinken“, lautete die Übersetzung aus dem Bosparano.

Thio bückte sich zu der Novizin, die so emsig bemüht war. „Mit wem ist da der Kor durch gegangen? Passiert so etwas öfters oder habt ihr eine Idee wer so einen Frevel im Haus der Leuin wagt? Verzeih, mein Name ist Thiomara von Amselhag. Wie ist der Deinige?“

„Mein Name ist Birte Rondrira Biersinger. Ehrwürden Albin sagt, die Kor-Diener waren das nicht Er hat aber auch nicht gesagt wer das war. Seit den Vorbereitungen der großen Hochzeit ist das schon drei Mal passiert.“

Klar war dieses kein Werk eines übereifrigen Kriegsknaben. Sie wollte die bittere Wahrheit nur selber nicht in ihren Geist pflanzen. Birtes Antwort ließ die Schutzbehauptung wie einen Gardianum zersplittern und versetzte ihr einen Fulminiktus in den Magen. Ein geübt, gekünsteltes Lächeln fror in ihrem Gesicht fest. „Immer der selbe Spruch? Oder ist der Schmierfink kreativ? Immerhin ist er des Bosperano hinlänglich mächtig. Sag Birte. Ist dir jemand aufgefallen, der außer mir, so gar nicht in den letzten Tagen in diesen Tempel passen mochte?“

„Immer der selbe Spruch“, wiederholte die junge Novizin Thiomaras Worte. „Ein großer Mann mit Vollbart war oft hier, aber er hat hier im Tempel nie gebetet sondern saß nur stumm rum.“

Thiomara lächelte die Novizin an und dachte kurz nach. „Wenn du Leinsamen-Öl kurz aufkochst und mit Bimsstein versetzt, kannst du die Farbe gut abösen und aus dem Holz reiben, ohne das man später viel sieht. Lampenöl ist zu aggressiv und hinterlässt Flecken. Wenn du den tapferen Albin bitte ausrichten könntest, das ich hier war. Ich habe eine Botschaft aus dem Ruchinsberg für ihn. Sag mal, Birte, was hältst du eigentlich von der Fehde zu der die Leuin rief?

„Die Donnernde hat in Leuenfried ihren Segen gegeben, das wohl!“


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Thiomara erhob sich und verabschiedete sich von der jungen Löwin. Wieder auf dem Hof, ging sie dem Pallas entgegen. Doch auf Höhe des Praiostempels stoppte sie unwillkürlich und blickte zu dessen Portal. Einer Ahnung folgend überwand sie ihre Abneigung und lenkte ihre Schritte auf einen Abstecher in die Halle der Ordnungshüter. Nach einem Knicks im Gang nahm sie in der letzten Bank des Tempels Platz und sah sich um. Selbst für einen Tempel des Götterfürsten war dieser sehr opulent und reich ausgeschmückt. Mit Blattgold geschmückte Heiligen-Statuen und Reliefs strahlten dem Besucher aus allen Ecken entgegen. Das Deckengewölbe zeigte aufwendige Malereien die die Herrschaft Praios priesen. Besonders Bemerkenswert war das große Greifenmosaik im kreisrunden, gläsernen Tempelfenster oberhalb des mit unzähligen Bernsteinen verzierten Altars, dass den Raum bei Tageslicht wohl in einem goldgelben Licht erstrahlen ließ.

Anders als im Tempel der Leunin war Thiomara in dem geweihten Raum alleine. Unzählige Kerzen und Fackeln tauchten den Tempel in ein wärmendes Licht. All der Glanz, all das Gold. In Szene setzen konnten die Praioten ihre Götterhäuser sehr wohl. Die Schlunderin ließ ihren scharfsinnigen Blick über die vielen Heiligenstatuen streifen. Bei der Ucuri-Statue hielt sie plötzlich inne. Steckte da nicht etwas in einer der Klauen? Es war gut verborgen, doch ihren exzellenten Augen entging wenig. Gemächlich ging Thio auf die Statue zu und entdeckte einen zusammengefalteten Zettel. Sie entfaltete ihn und las, doch machte war es kein Text, sondern nur eine Aneinanderreihung von Buchstaben.


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„Preise die Schönheit! Ein Rätsel aus der Klaue des Götterboten.“ Thiomara roch an dem Papier und ließ die Buchstaben durch ihren Geist sickern, rührte ein paar Vokale zu dem Duft und ließ sich inspirieren.

„Praios ist gerecht...Gerechtigkeit ist für Alle...Alle Stände dienen der göttlichen Gerechtigkeit.“ manifestierte sich unter dem weisen Blick Ucuris in ihrem Kopf und wollte dort auch nicht mehr weg.

In was war sie da nur hinein gestolpert. Jemand hatte den Fuchs, der offensichtlich seine Spürnase verloren hat, für sie im Haus des roten Gottes platziert. Ein Schmierfink im Haus der Leuin forderte, ganz unpassend für die tugendhaften Ritter, Blut zu trinken, wie ein Paktierer. Und das im besten Bosperano, wie es die meisten Waffenknechte nicht sprechen dürften. Die Sorte Paktierer mit dehnen sie Wochen unter einem Dach gelebt hatte und dehnen sie nur unter großen Opfern entfliehen könnte. Sie musste sich kurz auf eine der Bänke setzen um sich zu fassen und einen Moment der Schwäche zulassen um die Erinnerungen zu blocken und ihre Fassung wieder zu finden.

Und nun mahnte ihr jemand auch noch aus Ucuris Klauen die universelle Gerechtigkeit an, wie sie die Wanderprediger der Bekenner-Sekte verbreiteten. Das passte doch alles nicht zusammen.Was mochte sich hier nur zusammenbrauen? Diese Hochzeit war zu dieser Zeit politisch hoch brisant und auch die finsteren Mächte trachteten immer gerne danach, solche Verbindungen zu korrumpieren. Was mochte dem jungen Paar bevorstehen? Thiomara überlegte ihre nächsten Schritte. War der Praios Pfaffe nicht in den Pallas geeilt als sie ankam? Dort wollte sie als nächstes nach dem rechten sehen und vielleicht ein paar weitere Gäste kennen lernen.


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Vor dem Palas kam Thiomara auch schon der besagte Praios-Pfaffe entgegen. Scheinbar hielt es ihn nicht lange in dem Gebäude. Mit der ihr innewohnenden Freundlichkeit einer Diplomatin sprach sie ihn an. Er stellte sich als Silvano von Hagenau-Ehrenfeld vor. Der Geweihte mit eisblauen Augen und dunkelblonden Haar dürfte die 40 Götterläufe schon überschritten haben. Auf die Vorkommnisse im Praios-Tempel angesprochen, reagierte er mit Unwissen.

„Mir persönlich ist im Tempel nichts dergleichen aufgefallen“, entgegnete der in einfacher Probe gekleidete Geweihte des Praios mit ruhiger Stimme. „Vom Tempel der himmlischen Leunin hörte ich von wiederholten Kritzeleien in den Tempelbänken. Von welcher Art Nachrichten sprecht Ihr denn?“

Thiomara reichte dem Geweihten das Papier das sie gefunden hatte. „Bei meinem Gebet viel eurem Ucurie dieses Zettelchen mit Buchstaben aus der Klaue. Vielleicht ist nicht der Rede wert. Und schon gar kein Grund das ich euch aufhalten möchte. Aber vielleicht darf ich euch ein paar Schritte begleiten. Angesichts des politischen Gewichtes dieser Hochzeit bin ich nun doch besorgt, wenn solche Dinge auf einer Pfalz geschehen. Solche Ereignisse ziehen leider zu oft Störenfriede an, die die Bürde die auf dem jungen Paar liegt, auch noch durch ihre Ambitionen verkomplizieren möchten. Oder wie schätzt ihr die Lage ein?“....... Thiomara überließ Silvano nun gerne das Wort und ließ ihn eine Weile an den Buchstaben tüfteln und beobachtete seine Züge dabei sehr aufmerksam.

Der Blick des Priester der Praios-Kirche ruhte nur kurz auf den Buchstabenreihen des ihm dargereichten Zettels, was Thiomara mit Argwohn registrierte. Entweder war er ein begabter Tüftler, oder aber er kannte die Lösung und somit auch den Zettel bereits.

„Meines Erachtens nach handelt es sich hier um Glaubenssätze der Braniborier, einer Glaubensrichtung innerhalb der Mystiker meiner Kirche, die den Götterfürsten selbst als Quell einer universellen Gerechtigkeit ansehen.“

Mit einem unverbindlichen Lächeln gab der Priester das Schriftstück seiner Finderin wieder. „Die Winterhochzeit ist das wohl größte gesellschaftliche Ereignis dieses Jahres. Sicherlich werden viele verderbte Subjekte versuchen dies für sich und ihre Machenschaften zu nutzen. Es ist nicht zuletzt Aufgabe der Kirchen wachsam zu sein.“

Thiomara legte ein sanftes Lächeln auf und versuchte den Blickkontakt zu intensivieren. „Alle Stände müssen wachsam sein und der göttlichen Gerechtigkeit dienen. So Praios gerecht ist und seine Gerechtigkeit für alle da ist, ist auch jeder in seiner Pflicht! Nicht wahr? Ihr seht diese Buchstaben nicht zum ersten mal und wisst mehr über die Braniborier als ihr mir sagen möchtet? Oder sind es viel eher die Bekenner, die ihr meint? Es wäre doch sehr beunruhigend wenn diese Prediger der gerechten Ordnung, die gerechte Ordnung dieser kaiserlichen Pfalz stören würden und das heilige Sakrament einer Eheschließung beflecken. Ucuri ist der göttliche Sendbote und die Nachricht nicht zufällig in seiner Klaue. Eine Nachricht für einen Eingeweihten. Für wen war sie bestimmt? Für euch?“

Der Praios-Geweihte hielt dem eindringlichen Blick der Schlunderin stand. „Hoch zu Ross vergaloppiert Ihr Euch, werte Dame.“ Silvanos Stimme war ruhig und gesetzt. Kein Anflug von ertappt sein oder innere Unruhe. „Die von Euch vorgelegten Notizen beinhalten keine Ketzerei. Legt mir andere vor, die dies tun und wir können gerne einen Diskurs über die Dogmen der Praios-Kirche führen. Aktuell gibt es nichts zu diskutieren.“ Der Geweihte wandte sich zum gehen. „Wenn Ihr dem Brautpaar wirklich helfen wollt, richtet Euren Blick auf die tatsächlichen Machenschaften verderblicher Suspekte.“

Thiomara heftete sich mit einem schnellen Schritt an die Seite des sich abwendenden Geweihten und ließ sich nicht so leicht abwimmeln. „Verzeiht mir wenn meine Vermutung zu forsch war, Ehrwürden. Hoch zu Ross behält man zwar gut den Überblick, aber umreiten wollte ich ebenso wenig jemand, wie euch gegenüber anmaßend zu sein. Aber wenn ihr tatsächliche Machenschaften verderblicher Subjekte andeutet, so gibt es durchaus Anlass hier und jetzt zu diskutieren, auf das ihr meinen Blick auf eure Erkenntnisse lenken mögt. Ich möchte euch jedoch versichern, das ich mir nicht herausnehmen möchte, die Dogmen der Praioskirche zu hinterfragen und ich möchte auch nicht über Braniborier oder Bekenner generell urteilen. Dazu kenne ich mich zu wenig aus und diese Bewegungen sind viel zu sehr im Wandel, so wie sich alle Kirchen gerade im Wandel scheinen. Einige Mystiker sprechen schon vom Karmakorthäon, einer Zeitenwende. Alles scheint im Fluss zu geraten, wie auch in eurer Kirche seit der Quanionsqueste, wie mir scheint. Was gestern noch als rechte Ordnung galt, kann bald schon unmoralisches Tun sein. So muss man solche Strömungen vielleicht einfach an den Verhandlungstisch bringen, so wie wir Diplomaten es auch in der Fehde mit den einzelnen Interessensgruppen halten.

Ich bin hier jedoch der Mutter des Bräutigams in alter Schuld verpflichtet, auf ihren Sohn zu achten. Und ich möchte nicht, das so etwas plumpes wie auf Kaiserley diese Hochzeit überschattet, nur um Fanatikern eine Bühne zu schaffen. Noch möchte ich neben einer weißen Kerze aufwachen. Es gibt sicher intelligentere Wege und auch ansprechbare Strömungen. Ihr müsst wissen, das ein junger Ritter aus meiner Familie vor ein paar Monaten ein unfreiwilliges Gespräch mit Bogumil dem Reinen hatte. Ein Fanatiker bestimmt. Aber scheinbar jemand, mit dem man durchaus einmal philosophieren könnte, um Wege zu finden, Unrecht geschickt anzuprangern und das Recht über die Gewalt zu stellen. Und daher interessiert es mich schon, für wen diese Nachricht bestimmt gewesen sein soll. Um so eher sich so etwas klärt, um so schneller bekomme ich den Blick für die Subjekte frei, die ihr im Auge habt. Und vielleicht ergeben sich ja sogar Wege sich gegenseitig bei seinen Bestrebungen zu fördern. Wenn sich die Rechtschaffenen entzweien, haben die Widersacher leichtes Spiel. Also last uns reden, damit wir uns vertrauen können. Den meiner Ansicht nach ist Vertrauen ein Dorn in der Verse des größten Widersachers aller guten Götter, dem Zwietracht eine Freude ist. Der jungen Novizin Birte ist übrigens ein großer Mann mit Vollbart in den letzten Tagen im Tempel der Leuin aufgefallen. Und ich fand diesen Nasenlosen Fuchs hier am Schrein des Ingerimm. Sagt euch das was?“

Silvano ließ die Schlunderin gewähren und hatte ihr geduldig und interessiert zugehört. „Wir leben in besonderen Zeiten in denen manch einer daran zweifelt welchen Weg der Götterfürst für ihn vorherbestimmt hat. Doch gerade in diesen Zeiten ist es wichtig den Glauben nicht zu verlieren. Ich bekenne mich zu der Glaubensrichtung der Braniborier, mir sind also die von Euch dargebrachten Glaubenssätze nicht fremd, ich lebe sie. Auch die Bekenner folgen diesen Grundsetzen, doch haben sie für sich einen anderen Schluss gezogen, wie die universelle Gerechtigkeit des Götterfürsten herbeizuführen ist. Ich bin davon überzeugt, nicht jeder Bekenner ist für den rechten Glauben verloren, so wie Bogumil, den ihr genannt habt. Andere hingegen haben sich der Finsternis zugewandt.“ Eindringlich blickte der Priester zu Thiomara.

„Ein großer Mann mit Vollbart, sagtet Ihr? Die Braut stammt aus der Mark Greifenfurt, hier wimmelt es nur so davon.“ Silvano zuckte mit den Achseln. „Nasenloser Fuchs?“ Der Geweihte musterte die beschädigte Fuchsstatue. „Trefft mich morgen Abend zur selben Stunde vor dem Tempel des Götterfürsten. Ich werde Euch jemanden vorstellen, der Euch in dieser Sache vielleicht weiterhelfen kann.“

Thiomara bekundete zum Abschluss an diesem Abend ihr Interesse, bei Zeiten gerne weiter mit Silvano über seine Glaubensansichten zu philosophieren. Aber in jener Nacht war es genug und sie verabschiedete sich. Auf ihrem Weg in die Stadt wollte sie sich unter einem Vorwand noch bei den Torwächtern nach dem großen Bärtigen erkundigen und diese etwas aushorchen – doch auch die zuckten nur mit ihren Achseln, denn große Bärtige hatten sie im Sonnenlauf zuhauf gesehen.

All zu viel Zeit hatte sie jedoch nicht mehr. Sie war mit ihren Kindern in der Stadt zum Abendessen verabredet. Dort würde sie die Beiden über die Vorgänge einweihen, was sicher deren Interesse wecken würde. Madara sollte sich die nächsten Tage ruhig öfters im Rondratempel aufhalten und sich mit der Novizin anfreunden. Dort ein paar Augen und Ohren zu haben war ebenso gut, wie morgen mit Anaxagoras den Phextempel einmal zu inspizieren. Vielleicht fiel ihnen beim Tempel des Listigen auch etwas Ungewöhnliches auf. Schließlich würde dort die Trauung vollzogen. Mit den Verwandlungskünsten eines Magiers aus Sinoda hatte sie den perfekten Agenten an der Hand, um den Tempel über den Tag in seiner Amselgestalt zu beobachten, während sie sich, nach ein paar Besorgungen, auf das abendliche Treffen vorbereiten würde. Vielleicht gelang es ihr, bei ihrem Stadtbummel, etwas über Silvano in Erfahrung zu bringen. Wer der jemand wohl sein mag, den er ihr vorstellen mochte.