Geschichten:Ein neuer Gutsherr – Weinlaune
Hirschfurter Grafenpalas, Gräfliche Güter zu Hirschfurt, Praios 1046 BF:
Seneschall Coswin von Streitzig nippte gelangweilt an seinem Weinlokal und zeigte seiner Gesprächspartnerin das auch deutlich. Landvögtin Dorinthe von Düllerwüben, die in Personalunion auch das Amt der gräflichen Flussvögtin für die Raller bekleidete, ließ sich jedoch nicht beirren und referierte detailversessen jedes Vorkommnis und vor allem ihre vorbildliche Reaktion darauf aus dem letzten Götterlauf. Zuweilen glaubte der Seneschall, die Düllerwüben würde das mit Absicht machen – schließlich wurde diese von seinem Vorgänger Leomar von Zweifelfels ernannt. Der Gedanke an den Zweifelfelser ließ dem Seneschall für einen Moment ein kleines Lächeln auf seine Lippen zaubern. Laut seinen Zuträgern war dieser auf eine Expedition in den Raschtulswall aufgebrochen und seither hatte niemand mehr etwas von ihm gehört. So gefiel es dem Seneschall.
Mit einem knappen Nicken und einem großen Schluck Eslamsgrunder verabschiedete der Seneschall die Flussvögtin nach dem sie ihren Monolog beendet hatte. Er hoffte, in diesem Götterlauf nichts mehr von der Düllerwüben zu hören – und vor allem nichts zu sehen. Zu Beginn eines neuen Götterlaufes wurde der Seneschall von Berichten und Vorträgen nur so überschüttet. Am schlimmsten waren jedoch die Bittsteller, die auf ein Amt oder zumindest auf ein paar Münzen hofften - wie dieser Odilbert von Esch, der den Seneschall vor ein paar Tagen mit einer deutlichen Bierfahne bedrängte, ihm einen Posten zu geben. Das hatte der Streitzig natürlich brüsk abgelehnt.
Der Sohn und Schreiber des Seneschalls, Leomar von Streitzig, der die ganzen zwei Stundengläser entspannt an seinem Schreibtisch saß und ebenfalls ordentlich wem Wein zugesagt hatte, grinste breit.
„Warum hast du die Alte nicht schon längst rausgeworfen? Ihre Familie ist unbedeutend und sie als Person einfach nur nervig.“
„Das schon, aber sie stört sonst nicht und kommt mir nicht in die Quere, so wie der Storchenhainer und sein halbelfischer Liebhaber.“
Mit diesen Worten betrat Haushofmeister Aribert von Windenstein-Windenbrück das Amtszimmer des Seneschalls.
„Ah, Windenstein, hast du den Bericht von Falk?“
„Selbstverständlich, Herr.“ Aribert wedelte mit einem Brief umher und warf ihn Leomar auf den Schreibtisch. „Wie befohlen!“ Der landlose Adlige deutete in Richtung des Seneschalls eine Verbeugung an, während Leomar begann zu lesen.
„Komm, Windenstein, setz dich zu mir und gönn dir einen Eslamsgrunder. Mein Sohn wird uns gleich über Falks Ergüsse erhellen.“
„Sehr wohl, Herr!“ Aribert nahm sich einen Pokal und schenkte sich ein. Er war immer sehr froh, wenn etwas von dem guten Wein an ihn abfiel, konnte er sich solchen doch nicht leisten. „Werdet Ihr das Seytnachter Lanzenstechen mit Eurem Besuch beehren?“
„Ja, die Vorbereitungen sind bereits getroffen. Der Hohentann hat mich persönlich als Ehrengast geladen, da kann ich freilich nicht fernbleiben, auch wenn das Turnier doch eher fad ist. Weit interessanter wird das Waldsteiner Grafenturnier zu Hirschfurt Anfang Rondra werden. Darauf freue ich mich schon sehr.“
Mit einem lauten Räuspern machte Leomar auf sich aufmerksam. „So, der ‚Markt der Alten Völker‘ im Rahja war wohl ein großer Erfolg und auch sonst scheint Silz zu prosperieren, was wohl vor allem an den dort lebenden Halbelfen, die sich Feytala nennen, zu verdanken ist.“ Der Seneschall stieß ein missmutiges Grunzen aus, er hatte auf schlechte Nachrichten gehofft. „Offenbar ist der Grafenpfad nunmehr die einzig nutzbare Handelsstraße für Handelswagen.“
„Was ist mit dem südlichen Grafenstieg nach Uslenried?“, wollte Aribert, schon etwas weinselig, wissen. Er war guten Rotwein einfach nicht gewohnt.
„Der scheint nun auch größtenteils für Handelszüge unpassierbar zu sein, und zwar … ,“ Leomar blickte noch mal ungläubig auf die Zeilen „zwischen der Stadt Uslenried und dem Markt Usla.“
„Das heißt“, Aribert machte eine kurze Pause, „Waren von und nach Usla müssen nun auch über Silz und den Grafenpfad transportiert werden?“
„So ist es“, bemerkte Leomar sichtbar bedröppelt.
„Das kann doch einfach nicht wahr sein, der verdammte Elfenfreund Falkenwind profitiert so noch von wuchernden Reichsforst.“ Der Seneschall schüttelte fassungslos seinen Kopf.
„Das dürfte Euren Verwandten in Uslenried nicht gefallen“, warf Aribert ein und wünschte sich zugleich, den Mund gehalten zu haben.
„Das weiß ich auch“, zischte der Seneschall und wollte fast sein Weinpokal nach dem Windersteiner werfen. Doch besann er sich des edlen Inhaltes. „Gibt es wenigstens irgendwelche guten Nachrichten für uns?“
„Die Vasallen folgen dem Landvogt, einzig mit den Alka gibt es wohl Verstimmungen.“
„Ach schau an, der Tag heute ist doch noch nicht ganz verloren. Sprich, mein Sohn.“ Der Seneschall kippte noch einen Schluck Wein runter.
„Die Alka lassen sich wohl nicht mehr in der Hauptstadt sehen, was wohl dem Falkenwind missfällt. Im Gegenzug sind die Alka ungehalten darüber, dass der Landvogt sie nicht bei ihren Plänen für einen Praiostempel unterstützt. Von dem zugewucherten Grafenstieg mal ganz abgesehen.“
„Was haben die von einem Elfenfreund auch erwartet? Weiter!“
„Ansonsten nichts Besonderes, alle Lehen und Ämter sind besetzt, bis auf … .“
„Bis auf?“, fragte der Seneschall mit erhobener rechten Augenbraue nach.
„Die Stelle des Gutsverwalters von Tannenquell ist nun schon seit einem Götterlauf vakant.“ Leomar kratzte sich an der Stirn. „Tannenquell? Wo liegt das überhaupt, hab ich noch nie von gehört.“
„Das ist doch egal, der Falkenwinder hat seine Pflicht nicht erfüllt, also kann ich ihm reinregieren. Ich werde im Namen der Gräfin einen neuen gräflichen Gutsverwalter ernennen!“
„Und wenn willst du in diese Wildnis schicken?“
Der Seneschall überlegte einen Augenblick und blickte in die Runde. „Ich habe da genau die richtige Person dafür!“