Geschichten:Der uralte Bund - In der Totenkammer I

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Totenkammer im Kellergewölbe der Pfalz Randersburg, Ende Hesinde 1043 BF

In die Stille der Anwesenden platzten weitere Ankömmlinge. Der erste war der den meisten (außer Anaxagoras) bekannte Randersburger Hausritter Aldemar von Plitzenberg. In betont markigen Worten, die weder der Örtlichkeit, noch dem Anlass angebracht erschienen, zog er aller Aufmerksamkeit auf sich.

„Herrschaften, die Seneschallin Josline von Eslamsgrund.“ Mit diesen Worten trat er dienstbeflissen einen Schritt zur Seite, sodass die gerade Angekündigte eintreten konnte. Die in einem edlen, aber praktischen Kleid in den Farben Rot und Weiß angetane Adlige musste die 70 Götterläufe schon überschritten haben, doch kündeten ihre edlen Gesichtszüge noch von Schönheit und Eleganz. Ihre langen, leuchtend braunen Haare wurden durch eine Hochsteckfrisur gebändigt.

Hinter der Seneschallin und in ihrem Schatten verbleibend, betrat eine weitere in edlen Gewändern angetane Dame die Totenkammer. Diese musste etwas mehr als 50 Götterläufe zählen, waren ihre zusammengebundenen schwarzen Haare doch schon mit grauen Strähnen durchzogen. Die schlanken Hände der Edeldame schmückten eine Vielzahl von Ringen. Auch wenn die Begleiterin der Seneschallin nicht namentlich vorgestellt wurde, kannte Salix sie. Es handelte sich um die Vellberger Alt-Baronin Fredegard von Hauberach, war diese doch mit der Familie seines Herrn verwandtschaftlich verbandelt.

Der Blick der Seneschallin wanderte von der mit Leinentüchern bedeckte Leiche zu der Boroni. „Boron zum Grüße, Eure Gnaden.“ Und noch ohne eine Reaktion abzuwarten, wanderte ihr Blick weiter und blieb erst beim Praioten stehen, bevor sie alle anderen eingehend musterte. „Das ist nicht Bruder Silvano, ich habe nach Bruder Silvano verlangt… und wer sind diese anderen Gestalten? Was ist hier eigentlich los?“

“Die Zwölfe mit Euch, Hochgeboren”, hob die Boron-Geweihte mit ruhiger Stimme und einem zaghaften Nicken an, bevor sie die ihr bekannten Anwesenden vorstellte: “Dies ist Ehrwürden Eichstein, weiter ist dies der Herr von Hardenstatt und dies hier ist der Herr von Amselhag, sowie die Novizin der Hesinde Malveda. Ich bin Nurinai ni Rían. Und wir sind hier, weil die Tote, die man hier herabgebracht hat, eine Geweihte der Hesinde ist. Und ich muss Euch sagen, falls man Euch dies nicht bereits mitgeteilt hat, dass sie ermordet wurde.”

Salix verbeugte sich tief, als er vorgestellt wurde. Blieb überdies jedoch im Hintergrund und still, umso aufmerksamer beobachtete er die Neuankömmlinge. Vor allem das Auftauchen der Altbaronin von Vellberg überraschte ihn.

Fredegard betrachtete die Anwesenden gleichermaßen aufmerksam - einige der Personen waren ihr zuvor bereits durch ihre Ziehtochter Janne beschrieben worden - wie schweigend. Lediglich Salix bedachte sie mit einem knappen Nicken, welches dieser erwiderte. Es erschien der Altbaronin unklug, sich sofort vorzustellen und damit die durch die Fragen der Seneschallin angespannte Situation womöglich gar zu beruhigen. Nein, die Adlige war ganz im Gegenteil sehr neugierig auf die Antworten der Versammelten; für Förmlichkeiten war später noch Zeit, sofern es Josline bei passender Gelegenheit nicht selbst übernahm.

Anaxagoras tat es mit einer Verbeugung dem Perricumer gleich, bevor er sein Mundwerk nicht mehr halten konnte. “Eine unschöne Begebenheit am Rande einer so wichtigen Hochzeit. Ich hoffe nicht, dass die Beförderung der Leiche durch die halbe Stadt hierher, als Gegenstand lyrischen Ergüsse auf dem morgigen Bardentreffen Einzug hält. Vielleicht dürften wir uns empfehlen, da wir zum jetzigen Zeitpunkt eh schon genug gesehen haben, diese unschöne Angelegenheit hier im Keller zu lassen und dieses tragische Ableben aufzuklären. Wir wollen doch nicht, dass das Brautpaar, in irgendeiner Weise, durch so etwas in ihrem Glück beeinträchtigt wird.”

Die Seneschallin ließ die gesprochenen Worte auf sich wirken. „Nun, gut!“, war das Einzige, was sie dazu hervorbrachte. Äußerlich ungerührt, wanderte ihr Blick zu Malveda von Vierok und deutete dann vielsagend in Richtung Leiche. „Du, mein Kind, Scholarin der Allwissenden, komm her und lass uns an deinem Wissensdurst teilhaben!“ Langsam schritt die Novizin der Hesinde in Richtung der mit Tüchern umhüllten Toten und blickte die Seneschallin mit ausdruckslosen Augen an. „Ja, mein Kind“, antwortete diese, „lüfte den Schleier der Unwissenheit!“. Malveda tat, was ihr geheißen und zeigte dabei keinerlei Regung.

Als das Leinentuch den Blick auf die Tote freigab, offenbarte sich das abscheuliche Werk in seiner schrecklichen Grausamkeit. Mit seltsam verzerrten Gesichtsausdruck lag Loderia da. Der Kopf der Geweihten war mit äußerster Brutalität im Halsbereich fast vom Rest des Rumpfes abgetrennt worden. Ihre Haut war fahl, ihre langen weißen Haare gaben dem Abbild der Toten etwas ikonenhaftes – eine Ikone des Grauens. Auf dem Brustbereich lag eine blutverschmierte, blutrote metallene Scheibe. Von der fehlenden Zunge fehlte jede Spur.

“Ach, Sie steckte dahinter?!” entfuhr es dem Magier in die Stille der Kammer. Schnell suchte Anaxagoras erst den Blick der Seneschallin und dann den der Boron-Geweihten.

“Ähm... Verzeihung, ich darf mir das genauer ansehen, wenn... es... keine Einwände gibt?”. Schon war der Kopf des Gelehrten über der Toten und sein forschender Blick schätzte ab, ob man diese Person, zeit ihres Lebens als klein und alt beschrieben hätte. Dann observierte er erst den Schnitt, dann die rote Scheibe. "Was ist das?”.

Die metallene Scheibe hatte ungefähr einen Durchmesser von einem Spann und bestand aus Kupfer. Sie war kreisrund und von glatter Oberfläche - so dies durch das verkrustete Blut, das auf der Kupferscheibe klebte, erkennbar sein. Löcher oder Halterungen für Befestigungen, wie etwa einer Kette, gab es nicht.

Der Magier nestelte mit einer Hand an seiner Gürteltasche und zauberte ein feines Federmesser hervor, mit dem er das Blut von der Scheibe kratzte, um mehr zu erkennen. Er hob die Scheibe mit dem Messerchen etwas an, um darunter zu schauen. War das eine Wurfscheibe, die diese Wunde hinterlassen haben könnte oder ein nachträglich platzierter Gegenstand? “Habt ihr diesen Gegenstand schon einmal gesehen, Schwester der Schlange?” sprach er etwas lauter die Novizin an, ohne aufzuschauen. Malveda verneinte dies und der Magier nickte vor sich hin.

Danach sezierte er an den Rändern der Halswunde entlang weiter, bis er den Hautlappen leicht anheben konnte, um sich den Wundrand anzusehen und die Wundtiefe genauer einzuschätzen. Dabei teilte er seine Erkenntnisse in einem nüchternen Flüsterton, redselig der Kühle der Kammer mit und jedem Ohr, das es auch vernehmen wollte. “Die Scheibe hat sie nicht getötet. Es war etwas sehr Heißes, das ihr den Hals durchtrennt hat…”

Mit vermeintlichem Ekel hatte die Perricumerin die enthüllte Leiche der Schlangendienerin betrachtet. Was für eine stümperhafte Arbeit! Fredegard empfand spontan Verachtung für den oder die Mörder. Nicht wegen der Tat an sich - das Opfer war schließlich eine Götzendienerin, die ihre Nase in Dinge gesteckt hatte, die sie nichts angingen - sondern wegen der bei ihrer Entsorgung an den Tag gelegten rohen Gewalt. Das hätte man doch viel eleganter erledigen können! Nachdem die Adlige ihren vordergründigen Ekel überwunden hatte, betrachtete sie interessiert sowohl die Untersuchungen des Magiers als auch die Kupferscheibe.
Plötzlich durchzuckte sie ein Gedanke: Konnte es sein, dass diese Tat gar von Anhängern des blutrünstigen Ork-Götzen Tairach verübt worden war? Die Alt-Baronin erinnerte sich, während ihrer Zeit in Weiden von einer Sekte gehört zu haben, die als “Schnitter” bezeichnet wurde; Menschen, die Tairach verehrten, dem wiederum Blut und Kupfer als heilig galten. Und betrachtete man die Überreste der Schlangenpriesterin und die Art und Weise ihrer Ermordung, so musste wohl reichlich Blut geflossen sein, was wiederum auf großen Hass oder ebenso große simple Mordlust hindeutete. Orks als Täter waren aus offensichtlichen Gründen wohl auszuschließen.
Fredegard war für einen kurzen Moment versucht, ihre Annahmen den übrigen Anwesenden mitzuteilen, entschied sich dann aber dafür, erst einmal abzuwarten, was die weitere Untersuchung ergab. So oder so war die Adlige fest entschlossen, bei nächster Gelegenheit die Bibliothek aufzusuchen, um mehr über Tairach und die Schnitter zu erfahren. Vielleicht ergaben sich daraus ja weitere Erkenntnisse in diesem merkwürdigen Fall.

Salix musste schlucken, als das Tuch angehoben wurde. Hier unten wirkten die Male der Gewalt noch einmal ganz anders und schauriger als sie in dem dunklen Zimmer gewirkt hatten.
Aufmerksam lauschte er den Ausführungen des übereifrigen Magiers, während er seine Blicke schweifen ließ. Wie reagierten die Leute hier unten? Er konnte nicht ausschließen, dass diejenigen, die diese Tat begingen, nicht auch hier ihre Augen hatten und bekanntlich war Obacht die Mutter des unauer Porzellans. Diese Winterhochzeit hatte sich ganz und gar nicht so entwickelt wie er angenommen hatte, als er vor einiger Zeit mit seinem Herrn in das zentrale Garetien aufgebrochen war.

“Die Tote war wohl etwas auf der Spur”, erklärte Nurinai weiter, “etwas, dass ihr das Leben gekostet hat. Vermutlich hat man sie getötet, damit sie schweigt - zumindest könnte man ihre herausgeschnittene Zunge so deuten. Wir vermuten, dass sie dem Geheimnis der beschädigten Fuchsstatuen auf der Spur war. Mir wurde so eine zugespielt und wohl auch noch einigen anderen. Woher sie kamen ist indes unklar. Es ist gut möglich, dass eine direkte Bedrohung für die anstehende Hochzeit besteht. Ihr solltet etwas unternehmen, Hochgeboren.”

“....Die Zunge wurde scheinbar wie eine Darbietung auf der Scheibe platziert. E... D... nein B... S... warum Kupfer...?”, murmelte der Magier vor sich hin. Bei den Worten der Boronie unterbrach er seine Untersuchung und schaute Nurinai eindringlich an. “Auf der Spur?… Sie hat sie aufgeteilt und an verschiedenen Leute in der Pfalz verteilt. Zu einer Schlangenpriesterin passt diese ausgefeilte Erpressung, die so gar nicht mit dieser ritualisierten Hinrichtung konvergieren wollte. Sie hat mindestens vier verteilt. Wisst ihr etwas von dem, was eure Vertraute hier auf dem Tisch in den letzten Tagen gemacht hat, bevor ihr dieses hier geschah?”. Wandte sich der Magier erneut an die Novizin und starte sie dabei sehr eindringlich an.

“Gelehrter Herr, Ihr irrt mit Eurer Annahme, denn ich bin keineswegs die Vertraute Ihrer Gnaden Pilperquell. Ich kenne sie nur flüchtig von Ihren Besuchen im Kloster St. Ancilla, wenn sie mit Ihrer Gnaden Aimar-Gor zusammentraf.”

“Dann ist euer Zusammentreffen hier zufällig?”

“Ich wurde von der Erzäbtissin des Garether Drakoniterhortes beauftragt die Tote zu begleiten.”

“Begleitet, um was zu hüten?” - “Den Leichnam”. Der Magier tippte sich an die Schläfe. “Ach so meint ihr dass! Die Erzäbtissin ist in der Stadt und über den Mord im Bilde und hat euch hier beauftragt auf die Tote achtzugeben. Entschuldigt meine Vermutung, dass ihr die Begleiterin der Toten seid. Wie kam ich nur darauf?”.

Die Novizin der Hesinde nickte dem Magier zu. “Das grausame Verbrechen bedarf Aufklärung. Den Dienerinnen der Allweisen ist über alle Maßen daran gelegen die Wahrheit aufzudecken.”

Die Boron-Geweihte nickte, um die Aussage der Novizin zu bekräftigen.

“Um das aufzudecken, was hinter diesem Verbrechen steckt, solltet ihr vielleicht diese Scheibe an euch nehmen und ergründen, was es mit ihr auf sich hat. Ich denke sie ist wichtig. Passt gut auf sie auf. Auf einen Austausch über euren Erkenntnisgewinn bin ich sehr gespannt” Der Magier reichte die Kupferscheibe an die Hesinde Novizin weiter, nach dem er sie in ein Tuch aus seiner Tasche eingeschlagen hatte. Diese nickte und nahm die Scheibe an sich.


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