Geschichten:In Trauer vereint – oder auch nicht

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Praiostempel zu Weißenstein, Ende Rahja 1041 BF:

Die durch die großen Fenster unterhalb der steinernen Kuppel in gleißendes Licht getauchte Tempelhalle füllte sich immer mehr mit den Mitgliedern der Familie Weißenstein. Vor dem Altar blieben sie andächtig stehen. Dort war der Leichnam von Egilmar von Weißenstein aufgebahrt. Nicht offen, so wie es die Tradition der Familie war, sondern mit einem weißen Leinentuch bedeckt, auf dessen Mitte das Wappen der Familie prangerte. Der Leichnam war aufgrund der Todesumstände nicht mehr vorzeigbar gewesen.

Vor dem Altar mit Blick auf den Toten stand der Custos Lumini Lechmar von Weißenstein. An seiner Seite die beiden Geweihten Griffpurga von Hagenau-Ehrenfeldt und Alwene von Schennich-Muchsen, sowie der Hofkaplan der Waldsteiner Grafenhofes Gutfried von Weißenstein.

Die Trauergemeinde wurde angeführt vom Familienoberhaupt Arnulf von Weißenstein, der großväterlich dem Sohn des Verstorbenen seine Hand auf die Schulter legte. Begleitet wurde der Junker von seinem Sohn Arlt und seiner Tochter Gerit, die beide ritterlich ernst dreinschauten und in den Farben der Familie angetan waren. Arlts Töchter Oldega und Praiosmin hielten ängstlich die Hand ihrer Kinderfrau.

Es folgten die Geschwister des Toten: der Nadlauer Hausritter Emmeran, die Gemmenritterin Ceres, die reichsforster Junkergattin Khorena, sowie Riena Rhodena – eine Rondra-Geweihte aus Uslenried und offenkundig das schwarze Schaf der Familie.

Etwas abseits und bemüht nicht allzu desinteressiert dreinzuschauen, stand der Serrinwalder Vogt Oldinard von Weißenstein mit seiner Gemahlin, der Serrinmoorer Kämmerin Illiane von Hagenau und ihren beiden Kindern Iriane und Dexter. Etwas grob stieß Iriane ihren Vater mit dem Ellenbogen in die Seite.

„Tue wenigstens so als ob du trauern würdest, die Überbelichteten in unserer Familie sehen durch ihr großgöttliches Auge alles!“ Iriane grinste dabei schräg.

„Um wen soll ich trauern? Ich habe meinen Vetter zweiten Grades seit Jahren nicht mehr gesehen. Zumal ich mir von ihm mehr erwartet hätte, als ich noch auf der Rallerwacht war. Aber so? Nä, soll der doch verrotten.“ Oldinard verzog angewidert sein Gesicht.

„Die Ketzer sollen ihn übel zugerichtet haben, sonst hätten die das olle Tuch auch weggelassen.“ Iriane regte ihren Kopf etwas um besser sehen zu können.

„Wie Schweine haben sie ihn und sein Weib kopfüber aufgehängt und ausgeweidet. Mit einer dicken Kerze des Herrn Praios im Allerwertesten stecken, damit ihm Erleuchtung zuteil werde. Ha, was wohl unsere feinen Praioten dazu sagen würden.“

„Fällt das nicht alles auch auf unseren Obererleuchteten ab?“ Die Knappin am Serrinmoorer Hof neigte ihren Kopf in Richtung des Custos Lumini. „Immerhin hatten sich die Ketzer auch hier in seinem Tempel eingenistet.“

„Der 'gute' Lechmar? Pah, der ist doch ein Heiliger seit dem er aus Tobrien zurück ist. Sein Licht wirft keine Schatten, wie Gutfried immer zu sagen pflegt. Er hat die Ketzerplage mit Praios reinigenden Feuer ausgeräuchert und steht nun als Macher da. Sogar mein Bruder hat Ehrfurcht vor ihm. Das er die ketzerischen Umtriebe im Tempel nicht vorher bemerkt hat, interessiert keinen mehr. Er ist der große Strahlemann vor dem Herrn.“

„Na, eigentlich was es Gutfried der die Fackel geführt hat, aber gut. Lechmar Licht strahlt aber auch auf uns ab und wir können uns in ihm sonnen“, entgegnete Iriane lapidar. „Unsere Familie steht nun auch wieder im Licht.“

„Ja, wie ich hörte, machen mein Bruder und Gutfried mit dem Seneschall am Grafenhof gemeinsame Sache. Ich will nur hoffen, dass sie mich nicht dabei vergessen und im Schatten stehen lassen. Ich hatte nicht vor auf dieser grässlichen Feste zu versauern.“

„Die keifende Griffpurga soll bei Onkel Arnulf Druck gemacht haben. Er soll bei der Falkenwind für die Wiederbesetzung des vakanten Hofkaplan-Amtes sorgen. Die haben vorhin ganz schön laut gestritten, weil wir ja keinen Praios-Geweihten aus der Familie frei haben für den Posten. Ist richtig wild geworden, die Alte, es wäre doch egal, Hauptsache ein Praiot bekäme das Amt.“ Iriane überlegte kurz und schien im Geiste zu zählen. „Der alte Derrelsbach ist nun auch schon drei Monde tot, ob die Kronvögtin das Amt überhaupt neu besetzt?“

„Als ob die Falkenwind einen Praioten an ihren Hof lassen würde … ihre Mutter ist doch dieses garstige Hexenweib.“ Oldinard grinste breit. Eigentlich fand der die Mutter der Kronvögtin sehr scharf. In seinen Träumen hatte er schon mehrfach bestiegen. Wobei, wirklich nur in seinen Träumen?

„Könnt ihr euch nicht einmal benehmen wie jeder andere auch?“, zischte die sonst so zurückhaltende Illiane. „Der Custos Lumini beginnt jetzt mit seiner Trauerrede!“

Vater und Tochter sahen sich nur schelmisch grinsend an und rollten mir ihrem Augen.