Geschichten:Der Rote Buhurt auf dem Erlgardsfeld - Blankes Entsetzen

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Blankes Entsetzen

Sein Herz hämmerte, als wollte es ihm aus dem fassartigen Torso springen. Wurde er zu alt für derlei Ehrung der himmlischen Leuin? Der Vollhelm ließ ihn sein eigenes, schweres Atmen vernehmen und gleichzeitig alles um ihn herum dumpf klingen. Seine Lungen sogen gierig die Luft auf und dabei hatte der Wettkampf hoch zu Ross noch nicht begonnen. War er etwa nervös? Bei Rondra, warum auch tat er sich das nur immer wieder an?

Es war das Erlgardsfeld auf dem Luringer Turnier des Jahres 1043 nach dem Fall der Hunderttürmigen und der landlose Edle Thankmar von Nadoret war wie fast jedes Jahr gekommen, um damit seinen inzwischen verstorbenen Schwertvater Danos von Luring zu ehren. Das diesjährige Turnier würde wohl kein Glanzstück seiner vielen, ritterlichen Wettkämpfe werden. Bei der Tjoste hatte er nicht schlecht abgeschnitten für seine Verhältnisse, beim Zweikampf aber war er bereits in der zweiten Runde unterlegen gewesen. Naja, dafür hatte er immerhin die Farben seiner Familie hochgehalten und Präsenz gezeigt, der Leuin zum Gefallen. Der gealterte Ritter hatte die Zeit der Wildermark mit all seinen Kämpfen und Schlachten erlebt, hatte an der Seite seiner Frau Madalbirga von Galebfurten das Lehn ihrer Mutter verteidigt- Tälerort, welches in der heutigen Rabenmark lag. Erst im vergangenen Rondra hatte sein Erstgeborener Wunnemar gegenüber dem alten Mersinger den Lehnseid abgelegt, nachdem der sogenannte kleine Feldzug der Nordmärker erfolgreich, aber unter großen Verlusten beendet und damit die Rabenmark weiter befrieden worden war. Aldare von Fold- Galebfurten, die greise Altbaronin, war friedlich auf ihrem Thron sitzend eingeschlafen, nachdem ihren Hof in Trutzenhain die Nachricht vom Sieg über die Drachengardisten und Paktierer erreicht hatte, die die Baronien um Altzoll bedrohten. Hoffnung wart geboren worden, Hoffnung auf andauernden Frieden und so die Göttinnen wollten, blühende Felder und Ernten, die die Menschen ernähren konnten.

Nur durch den schmalen Sehschlitz seines Visiers registrierte der Große Schröter, wie man ihn vielerorts nannte, was auf dem Feld der Ehre geschah. Es herrschte Unordnung in den Reihen beiden Gruppen, die sich gegenüberstanden. Nervosität, Anspannung lag in der Luft, wie es zu Beginn eines jeden Buhurt. Doch da war noch mehr, er spürte es. Das Zeichen zum Start wurde erteilt und beide sich gegenüberstehenden Reitergruppen trabten an, um ihr Banner auf die Seite des Gegners zu bringen, um den rondrianischen Wettstreit auf diese Weise für sich zu entscheiden. Die Formationen prallten mit Wucht aufeinander. Thankmar versuchte sich in zweiter Reihe mittels seines großen Schildes und dem langstieligen Streitkolben Platz zu verschaffen, um nicht gleich zu Fall gebracht zu werden. Zwar wurde im Buhurt nur mit stumpfen Waffen gefochten, doch wenn man vom Pferd gestoßen wurde bestand immer die Gefahr durch die Hufe der schweren Rösser ernsthaft verletzt zu werden, oder gar schlimmeres. Etwas abseits des Zentrums, in welchem nun die Kräfte beider Seiten mit klirrendem Getöse den ritterlichen Kampf ausfochten, nahm der Nadoreter am Rande seines beengten Blickfeldes wahr, wie innerhalb der Reichsforster, der Seite auf der Thankmar aufgrund seiner Bindung zur Familie Luring kämpfte, etwas vor sich ging.

Erste Rufe wie ‘Rache für Lechmin’ drangen schwach an seine Ohren, in denen das Blut rauschte. Rache? Natürlich wusste Thankmar um die Vorgeschichte, um all den Unmut, ja auch um erbitterten Streit, der herrschte unter der Ritterschaft Gareties- ja, er konnte ihn sogar nachvollziehen. Aber hier, auf dem Feld der Ehre, während eines rondrianischen Wettstreits duften Emotionen und Gefühle wie Rache keinerlei Macht besitzen über die Kombattanten, oder der jenseitige Mordbrenner würde in ihre Herzen fahren und Ernte halten. Und doch, es geschah zum blanken Entsetzen Thankmars und vieler anderer. Ja es waren die Reichsforster, die plötzlich und ohne jede Vorwarnung mit scharfen Schwertern zuschlugen. Sie attackierten, nicht mehr um des Sieges im Buhurt willen, sondern um zu töten. Unritterlich wurden einzelne durch eine Überzahl angegangen, von den Pferden gezogen und niedergemacht, ja einfach gemordet. Ein anderes Wort für solcherlei Missetaten konnte es schlicht nicht geben. Der Schröter indes konnte nicht glauben was er sah- sehen musste. Er schrie ein ums andere Mal sie- die Reichsforster unter denen er viele Freunde hatte, sollten dem unsäglichen Treiben einhalt gebieten, doch man ignorierte ihn und auch all die Schreie des Entsetzens, des blanken Grauens, die von jenseits des Feldes aus den Reihen der Zuschauer erklangen, verhalten ohne Reaktion. Wie blutrünstige, tollwütige Hunde fielen sie übereinander her. Doch das unwürdige Schauspiel war damit mitnichten zuende. Plötzlich, wie auf ein für den Schröter unhörbares Zeichen hin, strömten die Knappen mit Lanzen und Piken auf das Turnierfeld, Waffen die verboten waren in dieser Art Wettstreit. Sie reichten sie jedoch nicht an ihre Schwertvätern und -müttern weiter, sondern hoben ihre Opfer gleich selbst aus den Sätteln, um sie am Boden liegend aufzuspießen, wenn sie nicht gleich im herrschenden Chaos von den Pferden zertrampelt wurden. Die Hartsteener aber fanden sich nicht damit ab all das nur über sich ergehen zu lassen. Nein, sie zahlten es den Reichsfortern mit gleicher, barer Münze zurück, so dass alsbald Tote auf beiden Seiten zu beklagen waren. Thankmars Verstand drohte vor Überforderung zu versagen. Er war unfähig etwas zu tun. Ihn trafen hier und da Schläge, die er nur halbherzig abzuwehren versuchte, doch er hielt sich im Sattel und nach und nach wurde sein Rappe abseits gedrängt, aus dem Getümmel heraus, weg von all dem Morden, dem er keinen Einhalt gebieten konnte. Er war dazu nicht imstande, doch SIE vermochte es. Plötzlich brannte das Banner des Feldes und Odo von Luringen-Mersingen, der es gestützt von Rudjahne von Sturmfels hochhielt, brüllte Befehle über das Feld- “FORMATION, HAAALTET EIN!” Thankmar spürte IHRE Präsenz, SIE- die Göttin richtete IHREN Blick auf das Erlgardsfeld. Dann war es vorbei. Das Morden endete. Stille kehrte ein. Thankmar registrierte, dass die Hartsteener in geschlossener Formation den Rückzug antraten, flohen. Er selbst blieb zurück. Der gealterte Ritter konnte den Blick nicht abwenden vom brennenden Banner. Er erkannte IHR Zeichen und ihn umfing gnädige Schwärze.

Nachdem der Buhurt auf diese Weise geendet hatte, eine Partei der unsäglich, blutigen Auseinandersetzung geflohen und die andere zu deren Verfolgung ausgerufen und angesetzt hatte, um sie zu richten, als um ihn herum immer noch das pure Chaos herrschte und Leichen lagen, fand sich Thankmar kniend auf dem Erlgardsfeld- dem Feld der Schande wieder. Seinen Schild hatte er längst achtlos zu Boden fallen lassen. Tränen rannen aus den hellbraunen Augen des Rittersmannes und verfingen sich in seinem graumelierten ach so sorgfältig gestuzten Vollbart. Es waren Tränen des Unverständnis, der tiefen, inneren Erschütterung die er vergoss, während er mit zitternder aber dennoch vernehmbaren Stimme gen Himmel betete. "Sturmleuin, so viele Schlachten haben wir im Namen der unteilbaren Zwölf geschlagen, um die Feinde der göttergegebenen Ordnung zu vernichten. Gemeinsam taten wir es, sind zusammengestanden, ganz gleich wie wenig Hoffnung es gab. Doch nun, da das Herz des Reiches erblühen sollte, wo eben jene Hoffnung auf einen greifbaren, nachhaltigen Frieden besteht, da die ketzerischen Domänen im Rahja des Reiches langsam aber stetig schwingen, wird Blut vergossen und damit in Rache Feindschaft verkündet. Himmlische Leuin, ich flehe dich an, lass nicht zu das dies geschieht. Lass nicht zu, dass sie in deinem Namen zu den Waffen greifen und weiteres Blut Garetiens fruchtbare Böden tränkt. Bei den Göttern, dies darf einfach nicht sein!" Doch der Götter Willen sollte unergründlich bleiben.

Keine halbe Kerzenlänge später sollte sich Thankmar in einem Kerker wiederfinden. Waffen und so ziemlich alles andere hatte man ihm abgenommen. Einzig der Wappenrock mit dem silbernen, steigenden Hirsch auf grünem Grund verriet seine Herkunft und damit das er als Außenstehender in dieses innergaretische Blutvergießen verwickelt worden war. Thankmar fühlte sich lediglich dem Haus Luring in Treue verbunden. Nein, das war nun Vergangenheit. Sein Schwertvater war tot und der heutige Tag hatte gezeigt, nein vielmehr bewiesen, dass mit ihm weit mehr gestorben war als ein aufrichtiger Mann, der für den Nadoreter stets ein Vorbild gewesen war. Kerzenlängen verrannen in denen sich Thankmar den Kopf zerbrach, was nun mit ihm geschehen würde, doch er blieb allein. Niemand kam, um ihn zu verhören. Der Große Schröter aber betete zur Herrin Travia, SIE möge es fügen, dass er Weib und Kinder wiedersehen würde. Er hatte mit dem Morden schließlich nichts zu tun. Doch würde dies irgendjemanden interessieren? Würden sie ihn dauerhaft festsetzen, um von seiner Familie ein Lösegeld zu erpressen, stand es derart schlecht um die Ehre der Reichsforster? Naja, er war so unbedeutend, dass da wohl kaum ein lohnenswerter Betrag bei herausspringen würde. Er fürchtete nur, dass sein Sohn, der Baron von Tälerort in diesem Fall auf dumme Gedanken kommen könnte. Nach der Zeit im Nordmärkischen, wo er von Roklan von Leihenhof als Page und Knappe ausgebildet worden war und nach den anschließenden Jahren beim Hlûtharswachter als Ritter gedient hatte, war aus ihm ein schneidiger, junger Mann geformt worden, dessen ritterlicher Mut fast schon an Leichtsinn grenzte. Bisher waren ihm die Götter gewogen gewesen, so wie bei der Schlacht von Mendena, wo er allzu nahe Bekanntschaft mit einem Karakil schließen musste und durch dessen niederhöllisches Geschrei frühzeitig ergraut war. Thankred seufzte. Zu viel Zeit zum überlegen waren der geistigen Verfassung eines Mannes nicht zuträglich, vor allem nicht in einer solchen Situation, indem man das Heft des Handelns so unfreiwillig aus der Hand hatte geben müssen. Weitere Kerzenlängen verranen, ohne daß etwas geschah. Dann, kurz bevor das wenige Licht, welches durch ein vergittertes Fenster zu ihm drang davon kündete, dass das Praiosrund hinter dem Horizont verschwunden sein würde, zerris das, was Thankmar fälschlicherweise für die Wirklichkeit gehalten hatte.

Vom Götterfürsten entsandte Strahlen blendeten ihn, als er die Augen aufschlug. Über ihm kniete die Rondraäbtissin des Wehrklosters Sankt Henrica- Rudjahne von Sturmfels im gleißenden Licht und war im Begriff seinen schweren Torso hochzuwuchten, um ihn in eine sitzende Position zu bringen. Thankmar dankte der Geweihten und sie reichte ihm sein Schwert- seine Standeswaffe und verkündete, dass es ihm frei stünde zu gehen. Alle Fremden würde freies Geleit zugesichert. Er solle sich aber vorsehen, als Teilnehmer auf Seite der Reichsforster könne es ihm anderswo in Garetien schlecht ergehen. Der Geweihte legte Thankmar nahe in die Heimat zurückzukehren, was auch der Schröter als die sinnvollste Alternative erachtete. Er verspürte kein Verlangen einem weiteren, sinnlosen Blutvergießen beizuwohnen und ihm dann wohlmöglich zum Opfer zu fallen. Die Äbtissin indes half Thankmar aufzustehen und abermals bedankte er sich bei ihr. Dann war es Zeit Abschied zu nehmen, Garetien den Rücken zu kehren gekommen.