Geschichten:Der Rote Buhurt auf dem Erlgardsfeld – Tag der Abrechnung

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30. Praios 1043, in der Nähe von Gut Kaiserswohl

Die Mittagshitze stand flimmernd über den dürren Feldern. Es roch nach Kuhdung und trockenem Staub, das einfache Landvolk hatte sich in seine kühlen Lehmhäuser zurückgezogen und wartete auf die kühleren Nachmittagsstunden. Hier in der Halsmark ließ es sich gut aushalten, hier waren die Bauern so wohlgenährt und wohlhabend wie manche Barone in Greifenfurt es nicht waren – geschweige denn ihre leibeigenen Bauern. Deshalb – und wahrscheinlich nur deshalb – liebte man hier die Götter, das Mittelreich und den Frieden.

Das bräsige spätsommerliche Treiben wurde von einem Leichenzug unterbrochen. Hinter einem reichverzierten Wagen, auf dem ein schlichter Sarg stand, folgte eine große Gruppe Menschen, langgezogen entlang der wohlgepflegten und von hohen Bäumen gesäumten Allee durch die weiten goldenen Kornfelder. Die Sonne glitzerte auf, wenn die goldverzierten Schnitzereien des Wagens aus den in regelmäßigen Abständen liegenden Schatten hervorkamen. Das Wappen der altehrwürdigen Familie Kaiserswohl prangte in leuchtenden Farben an der Seite. Die großen Wagenräder rollten sanft und ohne große Hindernisse die Straße entlang.

Von Perainenau war man hergekommen. Im schlichten Boron-Tempel hatte die Trauerfamilie in großer Runde eine Zeremonie zum Gedenken des Verstorbenen durchführen lassen. Und obwohl der Verstorbene Leomar von Kaiserswohl nur ein einfacher Ritter gewesen war und die letzten Jahre auf seinem Altenteil des Guts seiner Familie - getrennt von seiner Gattin Argande Pfundt von Pfundtern, mit der ihn wenig mehr verbunden hatte als der durch ihre beiden Sippen arrangierte Traviabund.

Es waren daher auch hauptsächlich die Verwandten und Getreuen der Kaiserwohls, die den Trauerzug ausmachten, ihnen voran Raugunde und Helmdahl von Kaiserswohl, die sich für die letzte Reise ihres Onkels in ihre beste Feiertagsgewänder gehüllt hatten. Der Schmerz, den sie in ihren Mienen zeigten, schien aufrichtig und ehrlich zu sein – und wurde gebührend von der Trauergemeinde wahrgenommen.

Am Ende des Zugs folgten mit ein wenig Abstand Kalmira Pfundt von Pfundtern und ihr älterer Bruder Halwin.

»Der Wagen gehört jetzt auch Stolzenfurt-Quandt. Wenn ich es richtig verstanden habe, durften sie ihn für eine Leihgebühr heute nutzen«, sagte Kalmira mit einem verächtlichen Blick auf das Oberhaupt der Familie Kaiserswohl.

»Immerhin fällt jetzt Kost und Logis für Vater weg, wenn er in der Gruft seiner Sippe ruht“, fächelte sich Halwin etwas Luft zu.

Die beiden Kinder des Verstorbenen schritten eine Weile wortlos weiter, dem Leichenwagen folgend.

»Was mich aufregt«, platzte Kalmira schließlich heraus, ohne auf die pikierten Blicke der wenige Schritt des vor ihnen laufenden Kaiserwohler Klientel zu achten, »ist die unverhohlene Dreistigkeit, mit der wir überall verarscht werden!«

Halwin schaute seine Schwester missbilligend an. Aber er wusste, hatte sie sich einmal in Rage geredet, dann half es nicht zu unterbrechen. Das Einzige, was er tun konnte, war stehen zu bleiben und Abstand zwischen sich und die Trauergemeinde zu bringen.

»Kalmira, ich weiß was du meinst, aber glaubst du, jetzt ist der richtige Zeitpunkt für so etwas?«

»Pah, wenn es danach geht, ist es nie der richtige Zeitpunkt für irgendetwas. So wie wir wie treue Hunde der Kaiserin und ihrem Parvenü hinterhergedackelt sind, um uns auf dem Weg nach und vor Mendena von Dämonen abschlachten zu lassen. Und dafür haben wir nichts – absolut nichts! – bekommen. Vasallentreue, ja klar. Wer hat die Ausrüstung für den Kriegszug der Pfundts bezahlt? Wir! Wer hat für die Marschverpflegung und die Leibrente der Versehrten Soldaten aus unseren Reihen geblecht? Wir! Der ganze Heerzug gegen Haffax war ein finanzielles Desaster für uns – nicht nur für uns Pfundt, aber für die ganzen Kaisermärker Familien! Die Hartsteener haben sich ja schön rausgewunden aus der Verantwortung. Ein paar Ritterchen haben sie geschickt. Genau wie die Reichsforster Bande. Bezahlen durften mal wieder wir – als ob in der Kaisermark das Gold auf den Bäumen wächst!«

Kalmira hatte sich in Rage geredet, seufzte Halwin leise in sich hinein. Auch wenn er die Ansichten seiner Schwester kannte, sie bis zu einem gewissen Grad auch teilte, aber was half es, über verschüttete Milch zu zetern. »Aber jetzt im Frieden, Kalmira, können wir doch wieder aufbauen und neue Reserven anlegen.«

»In welcher Welt lebst du eigentlich, Halwin«, fing sich Kalmira zu empören an. »Du weißt doch ganz genau, dass die Garether Pfeffersäcke, bei denen sich die Kaisermärker verschuldet haben, mit Sicherheit ihre Dukaten mit Zins und Zinseszins zurückhaben wollen. Und dabei keine Skrupel haben, unseren Besitz zu pfänden und zu besetzen. Für die Großkopferten mit ihren großen Ländereien, wie die Burggrafen oder die Landjunker außerhalb der gierigen Tentakel Gareths, für die waren die Kosten ohne Probleme zu stemmen. Red‘ doch mal mit den Trencks, den Aimar-Gor oder den Bergs. Die haben ganz schön hohe Schulden aufnehmen müssen – wie wir Pfundts auch. Und wovon sollen wir das bezahlen? Man hat uns in Tobrien ja nicht mal das nötigste fouragieren lassen – immer haben diese Exiltobrier etwas davon geschwafelt, dass ihr Land schon so gebeutelt genug wurde und man den armen Menschen dort kein Leid zufügen dürfe. Ja, man hat doch sogar Ritter, die es gewagt hatten ihre Kosten mit tobrischen Gütern zu decken, als Verräter der Krone gebrandmarkt! Und die Kaiserin hat dazu leise geschwiegen und der Paligan hat gelächelt!«

»Wir sind aber doch Vasallen der Königin Garetiens, vor allem wir als Kaisermärker Ritter. Oder willst du deine Ehre zum Fenster hinauswerfen für ein paar läppische Dukaten«, entgegnete Halwin betont ruhig, wenngleich er sich durch den Ärger seiner Schwester durchaus anstecken ließ.

»Man hat uns wie Soldaten eines Heeres behandelt, nicht wie ehrenhafte Ritter, Halwin. Vor Mendena, da waren wir unbezahltes Söldnervolk – und der Spott eines jeden aufrechten Ritters. Ich bin es leid, von dieser Krone an der Nase herumgeführt zu werden. Ich möchte, dass man mich und meine Familie für die Kosten ausgleicht, die uns angefallen sind. Und wenn man uns nichts gibt, nun, dann werden wir eben selber zugreifen!«

Mit aufgerissenen Augen starrte Halwin seine Schwester an. »Kalmira, sprichst du etwa von Verrat am Kaiserhaus und Raubrittertum, wie wir es in den letzten Jahren immer wieder in der Kaisermark beobachtet haben, von den elenden Lumpen aus dem Hartsteener Feidewald?«

»Verrat? Nein, mein Bruder, ich spreche von Fehde. Du hast doch auch die Nachricht vom Erlgardfeld gehört, dass Reichsforst und Hartsteen sich die Fehde erklärt haben. Ich denke nicht daran, mir diese Chance entgehen zu lassen und wieder leer auszugehen. Ich weiß, dass die anderen unzufriedenen Kaisermärker Familien genauso auf eine Möglichkeit warten, sich wieder gesund zu stoßen. Wenn zwischen den beiden ritterlichen Grafschaften die Waffen sprechen, dann müssen sie zuerst an uns in der Mitte vorbei. Und ich sage dir, jetzt haben wir noch das Moment des Fuchses, der Überraschung auf unserer Seite. Jetzt können wir mit einem überschaubaren Aufwand große Erfolge erzielen und dabei die ganzen Schulden loswerden, die wir für die Krone auf uns genommen haben. Ich sehe es so, dass der Tag der Abrechnung endlich gekommen ist!«

Die letzten Worte hatte Kalmira ruhig und betont gesprochen. Halwin wusste, was dies bedeutete. Wenn seine Schwester sich einen Plan in den Kopf gesetzt hatte, dann würde niemand sie davon abbringen können. Das Einzige, was ihm blieb, war ihr weiter zur Seite zu stehen und darauf zu achten, dass sie sich nicht in ein Abenteuer verrannte, aus dem sie nicht mehr heiler Haut zurückkehren würde.