Geschichten:Verräter und Getreue - Tauwetter

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Burg Ebenhain, 12. Phex 1033 BF

Haldora stand an der Tür und sah hinaus in den Burghof, der sich in eine einzige Schlammgrube verwandelt hatte. Tauwasser rauschte überall auf den Dächern und Vorsprüngen und lief die Wände herab. Das verbliebene Eis im Hof hatte die Farbe von Schlamm angenommen und so tückisch, dass ein unbedachter Schritt in einem unfreiwilligen Dreckbad enden konnte.

Nichts desto trotz ging es draußen geschäftig zu. Haldora beobachtete, wie sich der Ritter von Steinfelde auf sein Pferd schwang und in Begleitung einiger Bewaffneter die Burg verließ. Haldora hatte über die Wintermonde eine gründliche Abneigung gegen den Mann entwickelt. Er trank viel, und wenn er betrunken war, wurde er gewalttätig und als Gesellschafter taugte der raue Kämpe überhaupt nicht. Seit das Tauwetter eingesetzt hatte war seine Nervosität spürbar gewachsen und kaum ein Tag verging, an dem er sich nicht aufmachte, die Umgebung zu erkunden und Anzeichen für das Nahen seiner Gegner zu entdecken. Und wenn er am Abend abgehetzt und dreckbespritzt in die Halle kam, trank er noch mehr als sonst. Das hatte es ihr zunehmend leichter gemacht, seine wiederholten Appelle an sie, doch Vernunft anzunehmen und zur Rettung ihrer Familienehre das von ihm und seinen Verbündeten ausgeheckte Spiel mitzuspielen, zurückzuweisen.

Wie anders hatte sich dagegen das Verhältnis zu ihrem Gemahl entwickelt. Sie erinnerte sich, wie sie sich in den Tagen nach der Hochzeit fast nur angeschwiegen hatten. Aus Mitleid mit Oderik und Trotz gegenüber diesen sich aufplusternden Hutter Streithähnen hatte sie dann zunächst angefangen, freundlicher mit ihm zu sprechen und ihn so weit es ihr möglich war, in Schutz genommen. Sie hatte seine Dankbarkeit gespürt, als sie verhindert hatte, dass er in eines der Verliese geworfen würde. Und auch ihre standhafte Weigerung, ihre Ehe von einem Geweihten für ungültig erklären zu lassen hatte dazu beigetragen, dass sie sich über die langen und öden Wintertage näher gekommen waren. Darum zunehmend misstrauisch geworden hatte der Ritter von Steinfelde ihnen verboten, die Burg zu verlassen und ihnen obendrein einen Wächter, einen ungehobelten Kerl namens Inghart vor die Nase gesetzt, der sie auf Schritt und Tritt begleitete, wenn sie ihr gemeinsames Gemach verließen.

Allerdings hatte der Steinfelder nicht verboten, dass sie in der Burg spazieren gehen konnten und so hatten die beiden, immer ihren Aufpasser hinter sich, schon des Öfteren ein paar Runden durch den Burghof und die Zwinger gedreht, wie sie es nun wieder vorhatten. Oderik legte ihr den dicken pelzbesetzten Mantel um und wies zur Tür: „Nach Euch, Frau Gemahlin.“

Haldora trat über die Schwelle ins Freie und stieß dabei mit einem Mann zusammen, der beide Arme voll mit Feuerholz hatte. Aus dem fragilen Gleichgewicht gebracht polterten die Scheite auf die Schwelle und spritzend in den Schlamm.

„Pass er doch auf, Tölpel der er ist“, herrschte der Schwingenfelser ihn an.

„Bitte um Vergebung, Herrin“, stammelte der Unglückliche mit schnarrender Stimme. Er war kleingewachsen hatte einen Buckel und ein zerfurchtes, von grauen Stoppeln gerahmtes Gesicht.

„Ist schon gut. Mir ist nichts geschehen“, beruhigte Haldora ihren Mann und an den Buckligen gewandt, „Ich wusste gar nicht, dass er noch hier auf der Burg beschäftigt ist. Ich dachte, der Herr Praiodan hätte das alte Gesinde vollständig ausgetauscht.“

„Das hat er auch, Herrin. Ich bin nur hier, um Euch dieses Holz zum Kauf anzubieten. Es ist gutes Holz und wird Eure Stube gut wärmen.“

Das kam ihr zwar etwas merkwürdig vor, dennoch kramte sie eine Münze aus ihrem Beutel und reichte sie ihm hin.

„Hier. Inghart wird Aufsammeln und Stapeln des Holzes übernehmen. Wir warten solange.“

Der Bucklige grinste sie dümmlich an und ergriff mit seinen beiden Pranken Haldoras Hand, die er heftig drückte. „Ihr werdet’s nicht bereuen, Herrin“, und zwinkerte ihr auffällig zu, bevor er sich schnell humpelnd davonmachte.

„Wer war der Kerl?“ erkundigte sich Oderik, der über das Gebahren des Bediensteten sichtlich ungehalten war.

„Das war Silvan“, gab Haldora nachdenklich zu Antwort, „Er gehörte quasi zum Inventar von Ebenhain. So weit ich zurückdenken kann, hat er sich überall auf der Burg um die Feuerstellen gekümmert. Wir haben uns als Kinder manchmal einen Spaß gemacht, ihn wegen seines Buckels zu necken. Doch du solltest nicht schlecht von ihm denken. Zumal...“ Sie blickte sich schnell nach der Wache um, die sich widerwillig und vor sich hin fluchend der im Dreck verstreuten Holzscheite annahm.

„Was ist?“ Er blickte sie verwirrt an.

„Nicht hier.“ Flüsterte sie und öffnete ihre Hand ein wenig, so dass er einen Blick auf das eng gefaltete und gesiegelte Stück Papier darin werfen konnte.