Geschichten:Tief gefallen

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Kreusenburg, Gräflich Eslamsgrund, 02. Rahja 1045 BF

Sie schleppte sich langsam aber beständig die lange Wendeltreppe des Turm hoch. Simiane von Eslamsgrund-Illgeney war eine alte und nur noch langsam gehende Frau. Die Last des Alters und die Geschehnisse der vergangenen Monde zehrten schwer an ihr. So viel hatte sie gesehen, erlebt und mitbekommen. So viel wurde errichtet und dann wieder eingerissen.

Sie verharrte an einem der schmalen Fenster kurz und blickte nach draußen. Das Praiosmal war bereits nur noch zur Hälfte zu sehen. Sie war sich sicher, bis sie oben angelangt war, wäre das Mal bereits untergegangen. Also stieg sie weiter die Treppen empor und dachte an ihre Vergangenheit. In jungen Jahren war sie voller Elan und Eifer gewesen! Sie war eines der Familienmitglieder, die lieber heute als morgen den Ehrensteinern die Fehde erklärt hätte. Doch dazu kam es nicht. Ihr Verwandter, Narbosios von Eslamsgrund hatte sie alle davon überzeugt es langsam und überlegt anzugehen. Nichts sollte überstürzt werden, alles penibel geplant.

Einen langen Atem haben…, hatte er das genannt. Einen sehr langen Atem haben, hatte sich Simiane über die Zeit gedacht. Die Jahre waren ins Land gezogen, aus der aufbrausenden Frau mit feurigem Temperament war eine Mutter geworden, die nun auch für eine bessere Zukunft ihrer Kinder kämpfen wollte. Doch zu der ihr ersehnten Fehde kam es nicht. Kein Aufbegehren, keine Auseinandersetzung mit denen, die ihrer Familie einst die Grafenkrone gestohlen hatten!

Als sie im Jahre 1008 BF zur Vögtin der Kreuseburg als auch der gräflichen Lande zu Baladinstein bestallt wurde, damals war ihr Vater noch Landvogt gewesen, dachte sie, dass es nicht mehr lang dauern würde! Sie war oft an den Zinnen der landvögtlichen Burg gestanden und hatte in Richtung des Grafensitzes geblickt. Voller Sehnsucht, endlich eines Tages wieder die Banner ihrer Familie dort sehen zu dürfen.

Simiane war nun auf dem höchsten Turm ihrer Burg angekommen. Hier oben hatte man einen herrlichen Blick auf das Umland. Das Land, was ihrer Familie mehrere Götterläufe überantwortet wurde. Das Land, was sowieso ihnen gehörte! Doch, oh wie hatte sie sich geirrt? Wie hatten sie sich alle geirrt und mussten nun den Preis für ihr irren zahlen!

Langsam schritt sie auf die Zinnen zu und stütze sich an diesen ab. Ihre knöchernen Hände klammerten sich an das kalte Gestein. Ihr Sohn hatte die Baronie Zagbar für ihr Haus erlangen können. Das Haus Eslamsgrund war auf dem Gipfel seiner Macht angelangt gewesen, von hier gab es nur noch eine Sache, die sie erledigen mussten.

Doch abermals hatte Narbosius seinen Einfluss genutzt! Abermals war das Haus Eslamsgrund nicht altiv geworden, hatte die Füße still gehalten und gewartet. Ihr Verwandter, den sie den Roten nannten, hatte sich zu einer gewichtigen Stütze für den Grafen und schließlich dem Fuchsprinzen entwickelt.

Ein bitteres Lächeln zwang sich auf Simianes Gesicht, als sie sich daran erinnerte, wie sie von den Vorgängen auf dem Turnier erfahren hatte. Endlich sah sie die Zeit ihres Hauses gekommen! Das ganze Warten hatte sich gelohnt, dachte sie sich. Nun würde es sich auszahlen, solange untätig gewesen zu sein, sich unterwürfig gegeben zu haben. Endlich war das Haus Eslamsgrund wieder an die Spitze ihrer Grafschaft gekommen!

Sie stieß ein Seufzen aus und blickte über die Zinnen nach unten. Wenn man sie fragen würde, was sie gedacht hatte, als Malwarth sich die Krone aufsetzte, ob die Königin so ein eigensinniges Handeln gutheißen würde, Simiane könnte es nicht sagen. Hatte sie gehofft, dass alles gut gehen würde, das die Königin die Entscheidung der Eslamsgrunder akzeptieren würde? Dass mit Malwarth das Haus Eslamsgrund endlich wieder die Grafenwürde innehaben durfte? Sie lachte freudlos auf, wahrscheinlich hatte sie gar nichts gedacht.

Langsam zog sich die alte Dame hoch und blieb mit wackeligem Stand stehen. Sie hatte sich geirrt. Sie alle… Das wusste das Haus Eslamsgrund, sie und all die Eslamsgrunder nun. Die Grafenkrone ging an das Haus Gareth, der Landvogtposten an einen Emporkömmling aus dem Schlund. Es schüttelte sie, wenn sie an diesen denken musste. Grobschlächtig und hinterwäldlerisch, nein unter so einem wollte sie nicht dienen!

Sie wollte gar nicht mehr dienen, die Schmach ihrer Niederlage wog zu schwer. Gräflich Eslamsgrund war verloren und wer wusste, wie lange ihr Sohn noch Baron zu Zagbar bleiben würde? War es nicht nur eine Frage der Zeit, wann der Graf gegen ihn vorgehen würde? Ihre Familie würde bluten, Federn lassen, abermals! Das war zu viel für die alte Dame. Das wollte sie nicht mehr sehen…

Sie musste fortschreiten, weitergehen. Genau das hatte sie nun vor. Ein kleiner Schritt nach vorne war genug. Ihr Fuß ging in die Leere, ließ sie nach vorne überfallen und riss sie in die Tiefe. Kurz vor ihrem Aufschlag dachte sie an ihre Familie, sie waren tief gefallen und nur die Götter wussten, ob sie sich vom Aufprall je erholen konnten.