Geschichten:Edmunds Vermächtnis - Ruch der Freiheit

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Baronie Rabensbrück, Rahja 1038 BF

In der Hütte war es stockduster. Leise rasselten die Ketten, als einer der Schnarcher sich bewegte. Der Haufen Laub, den man ihnen hingeworfen hatte, konnte den harten Boden nicht wirklich bequemer machen. Mogrash starrte schlaflos in die Dunkelheit. Schmerz pulste durch seinen Rücken. Nicht allein von den Schlägen, die war er gewohnt. Da war noch mehr und er spürte es überall in seinen Knochen. Kleinigkeiten nur. Er wurde alt und die Kräfte ließen nach. Die ersten grauen Haare hatte er noch ausgerissen, doch mittlerweile würde er das büschelweise tun müssen und es deshalb aufgegeben. Er wollte nicht kahl herumlaufen, denn das wäre eine schlechte Idee angesichts der dünnen löchrigen Lumpen, die man ihnen als Kleider gegen die Kälte überlassen hatte; eine Kälte die ihm mehr und mehr allgegenwärtig schien. Neben ihm knirschte Furbak im Schlaf mit den Zähnen. Zähne! Vor ein paar Wochen hatte er den zweiten Eckzahn verloren. Seitdem spotteten die Jüngeren offen über ihn, auch Furbak. Der Junge war noch nicht lange hier und trug sich mit dem Gedanken an einen Ausbruch. Sollte er es doch versuchen. Von Tairon Blutauge hatten sie schon eine ganze Weile nichts mehr gehört und es war auch schon lange keiner mehr aus der Gefangenschaft entkommen. Ihre Aufseher waren stets wachsam und die Strafen für gefasste Flüchtige - nun, da war es besser, sich in die Natter zu werfen oder von einem Stein auf der großen Baustelle erschlagen zu werden. So würde es wohl werden, wenn er zu schwach wurde, die Steine oder Mörtel zu schleppen, Gräben auszuheben oder die Sickergruben in der Stadt zu entleeren - ganz wie es seinem Herrn gefiel, der die Arbeitskraft von ihm und seinesgleichen veräußerte und ihnen dabei gerade so viel zukommen ließ, dass sie nicht verhungerten.

Seit einem Mond waren sie nun also hier und trieben eine Schneise durch den Wald bis zum Fluss hinunter. Ein paar Holzfäller hatten die zu fällenden Stämme angesägt. Mogrash und seinesgleichen oblag es, diese mittels Seilen ganz zum Umsturz zu bringen und die Wurzelstöcke auszugraben. Eine Drecksarbeit. Dreckig und gefährlich, denn die Bäume kippten nicht immer dorthin, wohin sie sollten. Es hatte bereits mehrere Unfälle gegeben: Zuletzt vor drei Tagen hatten die Fußketten Grashruk stolpern lassen, als er vor einem fallenden Baum davonlaufen wollte und der Stamm hatte ihm den Brustkorb eingedrückt. Den halben Tag hatten die Wächter ihn noch besinnungslos stöhnend unter der Last im Schlamm liegen lassen, bis sie ihm auf Geheiß des Mannes mit dem weißen Bogen den Gnadenstoß gegeben hatten und Grashruk an Ort und Stelle verscharrt wurde.

Wieder rasselte eine Kette. Mogrash spürte ein Ziehen an seinem Bein und jemand zischte: „Hört ihr das?“

Das Tuscheln der in der kleinen Hütte Zusammengepferchten war kaum mehr als das Zirpen einer Grille im Sommer, aber im Nu waren alle wach: „Was denn?“

"Ich höre nichts.“

„Eben. Die Tritte des Wächters - verstummt.“

„Na und? Macht halt 'ne Pause."

„Nein. Da is noch was anderes.“

Mogrash lauschte angestrengt. Tatsächlich! Jemand oder etwas schlich um die Hütte, scharrte außen an den Wänden, schnüffelte. Dann hörten sie das Schaben des Riegels an der Tür.

Mogrash spürte die plötzlich aufflammende Entschlossenheit unter seinen Leidensgenossen. Sie waren bereit, trotz ihrer Ketten loszustürmen, wenn die Türe aufschwang. War es Tairon? - Aber der hatte bei seinen Befreiungsversuchen doch immer zuvor Kontakt aufgenommen. Irgendetwas ließ Mogrash innehalten, als die Scharniere knarrten. Eine Falle? Kalte Nachtluft flutete mit dem schwachen Licht des Madamals in den von den Ausdünstungen der Gefangenen schwangeren Raum. Vorsichtig spähten die anderen durch die sich auftuende Öffnung hinaus, bevor sie wie auf Kommando nach draußen hechteten. Zu laut!, dachte Mogrash in einem Moment der Erinnerung an bessere Tage, als er noch mit Speer und Bogen durch die Wälder gestreift war, auf der Jagd nach Hirschen und Silberlöwen. Bis die Wirklichkeit wie ein Hammerschlag in sein Bewusstsein drang. Ein Grollen aus tiefster Kehle ertönte, gefolgt von einem Schreckensschrei, der Mogrash an ein ängstliches Ferkel erinnerte. Als wäre die wilde Jagd im Gehölz unterwegs folgten Trampeln, Knurren, Schmerzgeheul, knackendes Holz und Todesschreie. Doch schließlich kehrte die Ruhe wieder. Mogrash hatte sich instinktiv zu Boden fallen lassen und lugte aus dem dunkelsten Schatten der Hütte vorsichtig durch die offen stehende Türe auf die Lichtung. Seine Kameraden lagen verstreut umher, als hätte ein Khezzaraer Kampfoger unter ihnen gewütet. Keiner von ihnen regte sich mehr. Dann bemerkte Mogrash die Umrisse einer übermannsgroßen Schattens - war es Mensch, war es Wolf? - , als der sich auf seine Hinterbeine aufrichtete, die todesschwangere Luft durch seine Nüstern einsog und kurz darauf im Unterholz verschwand.

Lange wartete Mogrash, bis er sicher war, dass dieser Bote Tairachs wirklich fort war. Der Mond war schon hinter den Bäumen verschwunden, als er sich schließlich aufrappelte und seine Deckung verließ. Dabei trat er in eine Blutlache und stolperte fast über die Leiche des Wächters im Schatten der Hütte. Welch ein Glück! Mit zitternden Händen und gespitzten Ohren auf jedes noch so kleine Geräusch achtend, tastete Mogrash den leblosen Körper nach dem Schlüsselbund für die Ketten ab und wurde schließlich fündig. Freiheit!



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22. Rah 1038 BF zur nächtlichen Traviastunde
Ruch der Freiheit
Woher der Wind weht


Kapitel 2

Abschreibung
Autor: Steinfelde