Geschichten:Der richtige Moment
Burg Erlenstamm 29. Travia 1048 BF
Es war ein stürmischer Herbsttag im Schlund. Den ganzen Nachmittag hatte es geregnet.
Ernhelm hatte freiwillig die Wache auf dem höchsten Turm der Burg übernommen. Irnfrede wusste, dass es dort zu dieser Jahreszeit immer recht zugig war. Da sie in den letzten Wochen recht abweisend zu ihm gewesen war, wollte sie versuchen sich mit ihm wieder gut zu stellen und hatte beschlossen, ihm eine warme Decke herauf zu bringen. Schließlich sollte er sich ja nicht erkälten oder Schlimmeres.
Sie erklomm die Stiege zur oberen Turmplattform. Kaum hatte sie ihren Kopf herausgestreckt, bemerkte sie schon den kalten Wind.
"Ernhelm?" fragte sie. "Ja?" Als Ernhelm Sie sah, half er ihr direkt auf die Plattform hoch. "Was macht Ihr denn hier, Herrin? Es ist hier doch viel zu kalt für Euch."
"Wir sind hier unter uns. Warum wieder so förmlich?" fragte sie.
Er schaute etwas betreten drein. "Ich war mir nicht sicher, ob zwischen uns noch was ist, oder ob das Feuer inzwischen erloschen ist."
Irnfrede spürte seine Unsicherheit hinsichtlich ihrer Gefühle für ihn. Sie kam naher an ihn heran und legte ihm die Decke um die Schultern. Dabei gab sie ihm einen zarten Kuss auf die Wange.
"Ich kann dir versichern, es ist alles in Ordnung. Ich brauchte nur... eine Pause, etwas Zeit um nachzudenken. Verstehst du?"
Ernhelm nickte. "Ja... aber es fällt mir auch nicht leicht, immer genau zu wissen woran ich bei dir bin."
"Das verstehe ich gut. Ich hoffe, dass sich das in nächster Zeit ändern wird. Ich... ich wollte dich nämlich noch was fragen." "Was?"
"Ist dir an mir in letzter Zeit etwas aufgefallen?" Sie drehte sich leicht hin und her, dass er sie von allen Seiten betrachten konnte.
Ernhelm sag sie etwas überrascht an. "Nein... sollte mir was auffallen? Eine neue Frisur?"
"Schau doch mal..." flüsterte sie und blickte an sich herab.
Ernhelm folgte ihren Blicken, verstand aber nicht genau, worauf sie hinaus wollte.
"Dass du wunderschön bist, wusste ich doch schon vorher", lächelte er.
"Das meine ich doch nicht", sagte sie sanft. Sie nahm seine Hand und führte sie langsam zu ihrem Bauch. Dann sah sie ihm tief in die Augen.
"Ich wurde von Tsa gesegnet, Ernhelm. Ein Kind. Ich bin schwanger!"
Ernhelm zog seine Hand zurück, als hätte er sie sich verbrannt.
"Sch... schwanger?"
"Ja, was sagst du dazu?" fragte sie erwartungsvoll. Sie konnte jedoch schon eine aufkommende Unruhe bei ihm spüren.
"Da...da gratuliere ich dir aber", lächelte er etwas unbeholfen. "Da wird sich dein Mann sicher freuen, dass er bald Vater wird. O...oder?"
Irnfrede sah ihn an wie einen kleinen Jungen, der gerade was Dummes gesagt hatte.
"Das wird er wahrscheinlich nicht. Weil er ja eigentlich gar nicht Vater wird..." Sie machte eine kleine Pause und sah ihm tief in die Augen, "...sondern du!"
"W...WAS???"
Er machte einen Schritt zurück und wäre beinahe gestolpert. Irnfrede bemerkte Unglaube, aber auch Furcht. Die Sache glitt ihr aus den Händen. Schon fürchtete sie, dass es so enden würde wie bei Geromel.
"Bist du dir da völlig sicher?" fragte er.
"Ja. Ich schlafe nicht mit meinem Mann, beziehungsweise er nicht mit mir. Nur du kannst der Vater sein. Aber ... beruhige dich doch erstmal, bitte!"
"Beruhigen? Irnfrede, wenn dein Mann rausfindet, dass du schwanger bist, dann wird er doch sofort wissen, dass das Kind nicht von ihm ist. Und dann wird er sofort mich in Verdacht haben. Wer sonst war so oft mit dir alleine unterwegs? Und was, wenn ... wenn er das deinem Vater steckt? Der knüpft mich doch am höchsten Fahnenmast auf! Oder Schlimmeres!" Sie merkte wie in ihm die Panik aufkam.
Irnfrede gab ihm einen kleinen Klaps ins Gesicht. Er sah sie verdattert an und rieb sich die Wange.
"Jetzt hör mir doch erstmal zu: ja, er weiß bereits, dass er nicht der Vater sein kann und ja, er hat vermutlich dich im Verdacht. Aber das wird rein gar nichts ändern. Er wird offiziell der Vater des Kindes sein. Ausser ihm und uns beiden kennt doch keiner die Wahrheit."
"Und wieso sollte er das einfach so hinnehmen?"
"Weil ich genau das mit ihm so vereinbart habe: ich lasse ihm seine Freiheiten und er lässt mir meine. Da er nicht mit mir schlafen kann, ich aber trotzdem einen Erben brauche, gibt es leider keinen anderen Weg. Er ist damit einverstanden. Er wird die Vaterschaft anerkennen. Sollte er es nicht tun, werde ich unsere Ehe annulieren lassen. Das habe ich ihm ziemlich nachhaltig klar gemacht!"
Sie ließ ihre Worte eine Weile wirken. Ernhelm schien sich wieder etwas zu beruhigen. Er atmete tief ein und aus.
"Ernhelm, begreife doch, wie wichtig ein Kind für mich ist. So es die Götter wollen, wird es einst Graf oder Gräfin von Reichsforst werden, nach mir dann."
"Und was, wenn er mich einfach beseitigen lässt?"
"Wer, Barjed? Ha, das wird er nicht wagen. Dann würde ich mich entsprechend an seinem Geliebten revanchieren. Und warum sollte er auch? Er betrachtet dich nicht als Nebenbuhler. Im Gegenteil, er freut sich, dass du seine ehelichen Pflichten übernimmst.... und das tust du doch, oder?"
Ernhelm dachte fieberhaft nach. Es war anscheinend im Interesse aller Beteiligten, dass das Geheimnis gewahrt bliebe, vor allem in seinem.
"Äh...ja...schon irgendwie. Also... dann... werden wir Eltern?" fragte er und lächelte etwas gequält.
Irnfrede nickte und nahm seine Hand. "Wenn auch nicht offiziell wird es trotzdem unser Kind sein. Ich werde dafür sorgen, dass du ihm eine Menge beibringen kannst."
"Nur kann ich ihm nie ein richtiger Vater sein", bemerkte er etwas enttäuscht.
"Das vielleicht nicht, aber vielleicht dereinst mal ein Knappenvater."
Ernhelm nickte. "Ich... werde wohl noch ne Weile brauchen, um das alles zu verstehen..."
"Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Vor dem Frühling wird es ohnehin noch nicht kommen. Ich vermute erst im Peraine oder Anfang Ingerimm. Das ist noch lange hin. Ich erwarte aber trotzdem, dass wir im öffentlichen Raum jederzeit die Diskretion wahren. Ausser uns Dreien darf niemand davon erfahren. Mein Kind darf keinesfalls als Bastard gelten, das wäre fatal."
Für eine Weile schwiegen sie. Irfrede streichelte ihm sanft über den Rücken. "Es wird alles gut werden. Vertrau mir." Dann zog sie sich ihren Mantel wieder zu. "Und komm spätestens bei Einbruch der Dämmerung wieder runter, hörst du?" Ernhelm nickte.
Beim Gehen hörte sie Ernhelm noch flüstern: "Irnfrede? "Ja?" "... ich liebe dich."
"Ich liebe dich auch!" Sie drehte sich nochmal zu ihm, fasste sein Gesicht mit beiden Händen und küsste ihn auf den Mund.
Sie war richtig glücklich. Endlich.
| ◅ | Der Bruder kehrt heim |
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Frohe Kunde aus Erlenstamm | ▻ |