Heroldartikel:Pässe in Greifenfurt: Der Schattenpass
Pässe in Greifenfurt: Der Schattenpass
Egal wie man den hoch aufragenden Kamm überwinden möchte, immer scheint es, als sei Yrramis mit seinem seltsam geformten Wegkreuz (wir berichteten) der Ausgangspunkt der Reise.
Folgt man dem Saljethweg ein gutes Stück weit, so kommt man nach einer guten Tagesreise in eine finstere Klamm, an deren Grund ein schäumender Bachlauf vom Gebirge her eiskaltes Wasser in Nebelschleiern über die schroffen Felsen wirft. Auf halber Höhe der Klamm, wenn das Felsband, auf dem gerade mal ein mittlerer Wagen Platz findet, sich an einer hoch aufragenden Felsnase vorbeischiebt, führt ein schmaler Stich in grob behauenen, weit schmäleren Felsbändern tiefer ins Gebirge hinein, um wenige hundert Rechtschritt höher in das Halbdunkel einer zu einer Seite hin offenen Felsgrotte abzutauchen. Unbemerkt quert man den Saljethweg, der sich von hier aus immer höher schraubt, um letztlich die Gipfel zu queren und jenseits der steil aufragenden Klippen bei Weihenhorst am Oberlauf der Breite zu Tale zu führen.
Der Pfad, dem sich der fröstelnde Wanderer nun anvertraut, liegt beständig in einem Halbdunkel. Teils durch die hohen Felskanten, die ihn von allen Seiten umgeben, teils, weil er immer wieder durch natürliche Höhlungen und Grotten hindurchführt, teils Spuren von zwergischer Hand aufweisend und wohl ehemals dazu gedacht, den Handel zwischen den Bingen im Schoß des Gebirges und den reichen Handelshäusern des Svellttales zu ermöglichen. Doch mag das Frösteln des Wanderers auch daher rühren, dass er um die Geschehnisse weiß, die sich im Jahre 19 Hal hier ereigneten, als das Hauptheer der Orken genau diesen Weg nahm, um am Fuße der südlichsten Erhebung des Finsterkammes, am Nebelstein, ins Reich einzufallen.
Noch heute künden gebrochene Räder auf dem felsübersäten Tal, in welchem der Schattenpass endet, von der vernichtenden Niederlage der Thuranischen Legion, die hier den Tod fand, an der Seite der Schwarzpelze, die die wackeren Kämpen mit ins Grab nahmen. Im Volksmund heißt es gar, nur die Götter hätten nach dem Gemetzel die Knochen der Gefallenen voneinander scheiden können. Doch die zahlreichen Stelen und Betstätten zeugen davon, dass zumindest die Familien der Toten und das einfache Volk diese Wunde im Leibe Greifenfurts niemals vergessen haben. Bis heute bezahlt man Geweihte des Herre Boron dafür, an diesem angelegenen Orte für die Toten zu beten.
Im Volksmund nennt man das Schlachtfeld Mythraels Lager, da die Sterbenden immer wieder mit brechender Stimme davon sprachen, den Walküren zu sehen, wie er durch die Ströme von Blut watete, um die auserwählten heim in Rondras Hallen zu führen. Und so verwundert es nicht, wenn man bereits das erste an dieser Stelle errichtete Bethäuschen mit dem Boronschrein den Kürenstein hieß.
Ein weiteres Zeichen dafür, dass dieser Platz niemals aus den Augen der Greifenfurter gewichen ist, bezeugen die neusten Bemühungen der umliegenden Baronien und ihrer Herrschaften, zufürderst Baronin Hilla Bernigandh auf Hesindelburg und Phexian vom Silbernen Tann auf Hesindelburg, die, angeregt durch den Greifingemahl Edelbrecht vom Eberstamm und von der Greifin in nicht unerheblicher Weise unterstützt, ein Kloster der Golgariten an diesem Ort angesiedelt haben, in welchem eine gemischte Gemeinschaft aus Ordens- und Laienbrüdern lebt: Kämpen des Raben, Noioniten, Marbiden und sogar Etilianer.
Die Klosteranlage selber besteht aus dem allgegenwärtigen Bruchstein, der zum Teil bei den Ausschachtungen des Tempels gewonnen wurde, hat man doch, entgegen allen anderen Tempelanlagen des Boron, das Heiligtum selbst nicht unterirdisch erbaut, sondern eine Höhle in der Wand des Berges selbst ausgebaut. So führen vom Hauptportal kommend fünfmal zwölf breite Stufen in den Berg selbst hinein, bis man inmitten einer riesigen Kammer endlich im Hauptraum des Tempels angelangt ist. Nach jeder zwölften Stufe folgt ein Absatz, an dessen Stirnseite ein Wandfresko einen Alverniaren oder einen Heiligen der Boronkirche zeigt.
Der Hauptraum schließlich, in dessen Mitte die Stufen endlich enden, ist fünfeckig und zeigt auf jeder Wandseite, ausgehend vom gen Punin gewandten Hauptrelief mit einer wunderschönen, aus mattsilbern schimmerndem Halbedelstein gefertigten Figur eines Mannes mit Rabenkopf, in der Hand einen faustgroßen schwarzen Karneol, die in den mattschwarzen Stein des Gebirges eingelassen ist, je eine Reliefplatte mit den vier Aspekten des Dunklen Herren: Golgari, das gebrochene Rad in den Klauen, die Flügel zum Flug ausgebreitet, Bishdariel, in seiner zwiefachen Gestalt als prächtiger Rabe und als zerfledderter Leichnam, die Flügel aufstrebend erhoben in Quarz geschnitten, um die Unwirklichkeit des Götterboten zu unterstreichen, Marbo im Symbol des weißen Raben und, Golgari gegenüber, schwarze und weiße Lotusranken, in deren steinerne Blüten winzige Kammern eingelassen sind, aus denen Räucherwerk zur übermannshohen Decke emporsteigt.
Zwar sind die Arbeiten am Tempel noch lange nicht fertig, die natürlichen Gegebenheiten aber haben in nicht geringem Maße dazu beigetragen, dass die Bauarbeiten in unglaublichem Tempo vorangehen können, und die Tatsache, dass die Baumeisterin im Verein mit der Greifin Meister des Finsterkammer Zwergenvolkes für dieses Projekt gewinnen konnte, lässt einen zügigen Bauverlauf erahnen, ein Faktum, welches durchaus zu begrüßen ist, zeigt uns nicht zuletzt das Voranschreiten des Baus des Zwölfgöttertempels zu Puleth, dass es auch anders geht. Egal wie die neuen Hausherren ihr Kloster auch nennen werden, es ist anzunehmen, dass sich im Volksmund die alte Bezeichnung durchsetzen wird, Kürenstein.
Vor dem Hauptgebäude, im Schatten des Berges und ein wenig hinter den anderen Bauwerken zurücktretend, errichtet man noch einen hohen Turm, der wohl den Geweihten der Noiona als Zuflucht und Hospital dienen soll und gleichzeitig – aus dem Autor durchaus einsichtigen Gründen – einen möglichst großen Abstand zu dem kleinen Kloster wahrt, in dem sich die übrige Geweihtenschaft aufhalten wird.
Hier, am Fuße des Nebelstein, inmitten der Baustelle der neuen Klosteranlage und an einem Ort, der mehr als eine Schlacht um das liebliche Greifenfurt gesehen hat, endet der Schattenpass und führt, nach vielen Meilen Wegs im Halbdunkel, endlich an den Praiosschein zurück.
So endet denn auch unsere kleine Serie über die Pässe und Wege über und durch den Finsterkamm. Natürlich sind noch nicht alle Wege erkundet und so mancher Pfad führt unbemerkt von den meisten Menschen über oder durch das Gebirge, das unser Land überschattet. Doch wenn Du, Reisender, dereinst mit viel Gepäck oder mit Pferd den Finsterkamm queren willst, so wirst du keinen anderen Weg finden, es sei denn du lässt alles zurück bis auf deinen Glauben und dein Schwert. Dann magst Du auch in diesen dunklen Tagen unbehelligt das Gebirge überschreiten, und mögen die Götter sein zwischen Dir und dem Leid, auf allen Pfaden die Du gehen magst.
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