Geschichten:Das Schweigen im Walde III: Aschekrieg - Teil 1

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Tributforderungen

Reichsstadt Hirschfurt, Mitte Praios 1030 BF

Den Hut tief ins Gesicht gezogen betrat Wulf das Grafenpalais zu Hirschfurt, den nominellen Regierungssitz der Grafschaft Waldstein. Auch wenn die Gräfin sich normalerweise nicht hier aufzuhalten pflegte, so war es doch das eigentliche Herz der Grafschaft, von welchem die Herrschaft über das Land ausgeübt wurde – doch leider nicht von der Gräfin selbst, sondern vom Grafschaftsrat. Und selbiger war dem Baron schon seit langem ein Dorn im Auge; nicht nur der jetzige Amtsinhaber Leomar von Zweifelfels, sondern bereits dessen Vorgänger Lubomir von Storchenhain.

Gemessenen Schrittes suchte sich Wulf seinen Weg durch die Gänge, in denen ob der späten Stunde kaum noch jemand unterwegs war, bis er schließlich vor einer eisenbeschlagenen Eichentür zu stehen kam. Hinter dieser lag die Amtsstube des gräflichen Vogtes, welchselbigem die Verwaltung der gräflichen Güter insbesondere hier in Hirschfurt oblag. Wulf klopfte an die Tür und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten.

„Ich kann mich nicht entsinnen, einen Audienztermin zu haben“, erklang die Stimme des Vogtes, der seinen Blick dabei nicht von den Papieren ließ, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen.

„Als Baron werde ich sicherli...“

„Auch als Baron werde ich Euch ohne einen Audienztermin nicht empfangen. Geht also und vereinbart Entsprechendes mit Meister Jendor, meinem Schreiber!“

Deutlich hörbar schloß Wulf die Tür – von innen. Der Vogt nahm lediglich das Geräusch war, schüttelte ob der Dreistigkeit des ungebetenen Besuchers den Kopf und las weiter. Ohnehin war die Amtsstube nur von wenigen Kerzen erleuchtet, die lediglich ein dämmriges Licht warfen. Als er wider erwarten die Schritte vernahm, die sich ihm näherten, hieb er mit der Faust auf den Tisch und noch blickte mit wütenden Zügen auf.

„Wenn Ihr für einen Baron keine Zeit habt, dann werdet Ihr Euch eben mit Eurem Familienoberhaupt befassen müssen. Und eben dort habt Ihr nun eine Audienz, ob es Euch nun paßt oder nicht!“ Wulf war inzwischen vor dem Schreibtisch angelangt, lehnte sich vor und stütze sich mit den Händen auf der Tischplatte ab. „Doch vielleicht wollt Ihr mir ja zunächst einen Stuhl und etwas zu trinken anbieten, bevor wir fortfahren?“

„Wulf!“ entgegnete der Vogt, und sein Tonfall ließ offen, ob es sich dabei um eine Frage oder eine Feststellung handelte. Die Überraschung hingegen klang deutlich mit; schließlich gingen sich beide in der Regel so gut es eben ging aus dem Weg.

„Ja, mein lieber Vetter, das habt Ihr wohl richtig erkannt.“ Nachdem die traviagebotene Höflichkeit noch immer ausblieb ließ sich Wulf schließlich in einen der beiden Besucherstühle fallen, die vor dem Schreibtisch standen und legte seinen Hut rechterhand auf dem zweiten Stuhl ab.

„Und was führt Eure Hochgeboren zu dieser späten Stunde zu mir, der ich mich mit wichtigen Amtsgeschäften zu befassen habe?“ fragte Coswin von Streitzig j.H., ein entfernter Vetter des Barons, unwirsch. Er hatte wahrlich besseres zu tun, als sich mit seinem mißliebigen Familienoberhaupt über irgendwelche Dinge auseinanderzusetzen. Es galt noch einige Dinge durchzusehen, die ihm für seine weitere Karriere in der Reichsverwaltung dienlich schienen, und da kam der werte Herr Baron von Uslenried alles andere als gelegen. Schließlich war ihm der Grafschaftsrat heute schon genug auf die Nerven gegangen.

„Vielleicht solltet Ihr Euren Tonfall etwas mäßigen, mein lieber Coswin, ansonsten werde ich mir noch einmal überlegen, Euch in diverse Familienangelegenheiten einzuweihen, die durchaus auch Euch und Euer Amt betreffen. Schließlich wollt Ihr den Rest Eures Daseins sicherlich nicht in dieser schummrigen Stube als Lakai unseres allseits geliebten Spitzohrs zubringen – wenngleich es für einen Vogt sicherlich unangenehmeres geben kann als eine abwesende Lehnsherrin.“ Wulf lehnte sich zurück und wartete die Reaktion seines Gegenübers ab, wohl wissend, einen wunden Punkt getroffen zu haben.

Coswin erhob sich, ging zu einer Kommode und entnahm dieser zwei silberne Pokale und eine irdene Flasche. Wulf führte irgendetwas im Schilde, und es war sicherlich erst einmal besser, zuzuhören und dann zu entscheiden, wie er selbst einen Vorteil daraus ziehen konnte. Also stellte er die Pokale auf den Schreibtisch und füllte sie mit Wein, bevor er sich wieder setzte, ohne Wulf einen zu reichen. Schließlich konnte er gut darauf verzichten, seinem Familienoberhaupt im bildlichen Sinne in den Allerwertesten zu kriechen.

Wulf übersah diesen Fauxpas bereitwillig und griff selbst nach dem Becher, hob ihn zuprostend und kostete. „Ein guter Tropfen, will ich meinen. Almadaner oder Eslamsgrunder?“

„Eslamsgrunder Weißherbst, zehn – nein, elf Jahre alt“, entgegnete der Vogt ungerührt, innerlich darauf wartend, daß der Baron endlich mit dem Grund seines Hierseins herausrücken würde. Als jener jedoch schwieg und genußvoll noch ein, zwei weitere Züge aus dem Becher nahm, ergriff er doch das Wort. „Nun denn, werter Vetter, was führt Euch zu mir?“

„Nun, in der Tat, es gibt da einige Dinge zu bereden, und diese sind nicht für jedermanns Ohren bestimmt. Wie ich hörte, weilt der Grafschaftsrat heute Abend als Gast auf Gut Eynweiher beim alten Ugdalf und wird sicherlich erst im Verlauf des morgigen Tages zurückkehren?“

Coswin nickte. Was in der Zwölfen Namen mochte das nun schon wieder bedeuten?

„Und sein Gefolge – so man selbiges so nennen kann – ist mit ihm gereist?“ fragte Wulf weiter.

Wieder nickte der Vogt. „Ja, und alle anderen sind zu dieser Stunde daheim bei ihren Familien, von der gräflichen Garde und dem Majordomus einmal abgesehen.“

„Dann sind wir also unter uns und können uns ungestört und ohne dritte Ohren unterhalten. Nach dem Vorfall im letzen Efferd dürften die heimlichen Lauscher ja ohnehin wissen, was ihnen blüht; es beliebt schließlich kaum jemandem, mit den eigenen Ohren als Schmuck um den Hals hängend am Pranger zu stehen, wie es diesem armen Wicht im vergangenen Jahr ergangen ist, nachdem er den Grafschaftsrat belauscht hatte. Zu schade, daß man Euren Laufburschen erwischt hat, sonst wüßten wir vielleicht schon etwas mehr, was der gute Zweifelsfels zu verbergen hat. Aber wir können schon froh sein, daß er seine Zunge behalten hat und Euch zumindest das wenige erzählen konnte, was er zuvor gehört hatte.“

Coswin schluckte, bemühte sich aber, keine Miene zu verziehen. „Verräter gehören bestraft, das wißt Ihr ebenso gut wie ich.“

„Sicher, aber wie ich hörte, habt Ihr dem Grafschaftsrat selbige Strafe angetragen, obwohl es Euer Informant war, der da aufgeflogen ist. Das Ihr letztlich noch keine Rache zu fürchten habt, liegt einzig und allein daran, daß Euer Informant nicht weiß, daß das Strafmaß Eurem Hirn entsprungen ist, denn ansonsten hätte er Euch sicherlich verpfiffen.“ Wulf ließ seine Worte sacken und nahm einen weiteren Schluck Wein, während er mit Genugtuung zur Kenntnis nahm, wie Coswins Hände anfingen zu zittern.

„Es kann natürlich auch einfach daran liegen, daß Euer Informant gar nicht, weiß, daß ihr der wirkliche Auftraggeber wart, weil er immer nur mit Eurem Mittelsmann Elgor zu tun hatte. Euer Glück, das der Wunsch nach Rache so brennend war, daß der gute Elgor den kalten Stahl Eures Informanten durch die Kehle gezogen bekam, bevor er ihm sagen konnte, daß Ihr der Geldgeber seid. Und so sitzt der ohrenlose Pechalrik nun in irgendwelchen dunklen Kaschemmen, ohne zu wissen, daß er anstelle des schuldigen Auftraggebers nur dessen Mittelsmann in Borons Hallen befördert hat und sich nun vor der Hand der Obrigkeit verbergen muß – fernab seines heimatlichen Hirschfurt.“

Coswin schwieg und trank mit zitternden Händen eine Schluck aus seinem Weinpokal, an dem er sich zu allem Übel auch noch verschluckte und zu husten begann.

„Oh, lieber Vetter, Ihr dürft mich getrost korrigieren, wenn ich mit meinen Annahmen daneben liegen sollte. Andererseits war es ein äußerst geschickter Schachzug von Euch, dem Verhör des Verräters beizuwohnen und seine Aussagen umgehend als ausgemachten Unfug zu deklarieren, so daß unser feiner Grafschaftsrat nun denkt, daß ihr dem Verräter keinen Glauben schenkt, derweil ihr selbst auf diesem Wege genau das in Erfahrung gebracht habt, worauf es Euch ankommt. So unterschiedlich wir auch sein mögen – Euer Verhalten an sich läßt doch das Erbe der Streitzigs erkennen, wie ich zugeben muß.“ Wulf nickte anerkennend.

Der Vogt hingegen faßte sich langsam wieder. „Nun, unter uns Vettern hat es wohl wenig Sinn, Eure Worte zu leugnen, wenngleich ich mich frage, wie Ihr dies herausbekommen habt.“

„Sagen wir einfach, auch ich habe meine Informanten“, entgegnete Wulf mit einem Lächeln auf den Lippen. „Was ich hingegen noch nicht weiß, was Ihr auf diese Weise in Erfahrung bringen wolltet und konntet – wenngleich ich einen Verdacht habe, der darauf schließen läßt, daß wir ähnliche Ziele verfolgen. Was also habt Ihr gegen den Grafschaftsrat in der Hand?“

Coswin stutzte. „Ich – in der Hand? Gegen des Grafschaftsrat?“ Der Vogt gab sich unwissend.

„Dann werde ich Eurem Gedächtnis einmal ein wenig auf die Sprünge helfen. Es begab sich vor einiger Zeit, daß ein alter Herr mit Namen Lubomir von Storchenhain, seines Zeichens Grafschaftsrat, siech danieder lag, und dies eine ganze lange Weile. Selbiges hatte zur Folge, daß ein junger Edler, welcher durch glückliche Fügung des Schicksals und einige geschickte Einflußnahmen zum Vogt des gräflichen Spitzohrs aufgestiegen war, letztlich in der Verwaltung der Grafschaft mehr zu sagen hatte, als ihm von Amts wegen eigentlich zustand. Der Alte, zuweilen auch nicht mehr ganz bei Sinnen, duldetete dies, und von der Gräfin wollen wir hier einmal gar nicht sprechen, schließlich weiß sie noch viel weniger, wie der Wind in Gareth weht. Ihr hattet, so will ich es einmal nennen, gewisse Privilegien, die Ihr geschickt zu Eurem eigenen Vorteil genutzt habt; ich denke da nur an ein gewisses Edlengut an der Grenze zu Linara, welches zu nicht geringem Teil aus der gräflichen Kasse errichtet worden ist.“

Schweigend hörte Coswin zu, derweil er finster dreinblickend mit den Fingern leise auf der Tischplatte trommelte.

„Dummerweise kam dann der Tod des werten Lubomir dazwischen, der diversen Personen gehörig einen Strich durch die Rechnung machte“, fuhr Wulf fort und wollte anschließend einen Schluck aus dem Becher nehmen, als er feststellte, daß dieser bereits leer war. „Ist wohl noch etwas von diesem vorzüglichen Tropfen in Eurer Flasche, lieber Vetter?“ fragte er und blickte sinnierend in den leeren Pokal.

„Sicherlich“, brummte der Angesprochene, „bedient Euch nur.“

Wulf griff nach der Flasche, deutete an, auch Coswins Becher füllen zu wollen, was dieser jedoch mit einer wirschen Handbewegung abwinkte, und schenkte sich nach. „Dummerweise kam es jedoch dazu, daß jemand anderer an Eurer Stelle zum neuen Grafschaftsrat bestallt wurde, obgleich Ihr Euch bereits als Erbe des alten Lubomir auf dessen Posten sicher wähntet. Es war ja auch eine Ungehörigkeit, diesen Niemand mit einer solch verantwortungsvollen Aufgabe zu betrauen, und ich muß sagen: man hätte in seiner Position einiges mehr zu bewegen vermocht, als er es tatsächlich tut. Stattdessen unternimmt er nichts, was ihn ins öffentliche Licht rückt und verhielt sich gar während der vergangen Wirren und dem beinahen Niedergang des Reiches völlig ruhig. Und was schließen wir daraus?“

„Jemand anders zieht im Hintergrund die Fäden“, zischte Coswin.

„Wulf nickte. „Ich sehe, wir verstehen uns. Und mit Verlaub, ich bin es nicht.“

„Es ist ein Mirhamionettenspiel, das hier vor sich geht“, entgegnete Coswin und nahm einen Schluck Wein.

„Nun seid nicht so schweigsam. Es wäre wohl nun der Zeitpunkt gekommen, an dem auch Ihr etwas deutlicher werden könntet. Ich bin schließlich nicht hier, um lediglich ein wenig zu plaudern, sondern um die Dinge etwas zu meinen Gunsten zu beeinflussen, was durchaus auch in Eurem Interesse liegen sollte.“

Coswin zog die Augenbrauen hoch. Was sollte das nun wieder? „Wie darf ich das denn verstehen?“ fragte er stattdessen.

Wulf grinste in sich hinein. Es wurde Zeit, den Köder auszuwerfen und den Fisch an Land zu ziehen; inzwischen war er sich sicher, das Coswin nicht ablehnen würde. „Nehmen wir einmal an, Waldstein bräuchte in Kürze einen neuen Grafschaftsrat. Wen könntet Ihr der Gräfin empfehlen?“

Coswin schwieg.

„Hm, dann will ich Euch erklären, welche Eigenschaften ein Grafschaftsrat haben müßte. Zum einen ist es ratsam, wenn sich jener in den Landen, die er zu verwalten hat, auskennt. Daraus folgt, es kann nur jemand aus Waldstein sein. Des weiteren ist es für ein altes Haus wie unseres nicht hinnehmbar, daß wieder ein Emporkömmling jenen Posten besetzt. Also muß es sich um alten garetischen Adel handeln. Bedenkt man weiterhin, daß andere Grafschaften von den großen Familien des Reiches mit entsprechend weitreichendem Arm regiert werden, Waldstein aber von einer hauslosen Elfe, so folgt daraus, das der Grafschaftsrat einem großen Hause entstammen muß. Und welche Häuser haben wir deren in Waldstein schon...“

„Streitzig“, entgegnete der Vogt. „Und die Hirschfurtens, aber der Leihenbutt kümmert sich einen feuchten Kehricht um sein Lehen. Alle anderen sind klein und unbedeutend in der Politik des Reiches.“

„So ist es. Und da die Hirschfurtens sich ihre Hintern in Reichsforst plattsitzen, können wir sie wohl ausschließen. Über Leihenbutt reden wir später. Daraus folgt?“

„Es sollte ein Streitzig werden.“ Coswin war unschlüssig, wo dieses Gespräch enden würde. Sollte der Baron am Ende selbst Grafschaftsrat werden wollen?

„Korrekt. Ich selber scheide aus; schließlich bräuchte ich ansonsten einen Vogt im Stammland der Familie und die Grafschaft noch dazu einen neuen Obristen, also lassen wir dies lieber, wie es ist.“ Wulf trank einen weiteren Schluck. Dann blickte er Coswin geradezu ins Gesicht und fuhr fort: „Hattet Ihr nicht nach Storchenhains Tod ohnehin Grafschaftsrat werden wollen? Als ich dieses vorhin unterstellte, habt ihr weder geleugnet noch bestätigt. Also, was ist mit Euch?“

Der Vogt straffte sich. „Wenn ich Grafschaftsrat werden wollte, müßte, wie Ihr treffend bemerkt habt, der jetzige von dannen weichen. Natürlich wäre ich nicht abgeneigt, ganz im Gegenteil. Fraglich ist nur: Wie sollte man Zweifelfels loswerden?“

„Ich dachte, daran arbeitet ihr bereits. Denn hier schließt sich der Kreis zum Ohrlosen Alrik. Und ich denke, ich gehe recht in der Annahme, daß ihr noch einiges mehr gegen seine Exzellenz in der Hand habt.“

Wulf sah seinen Vetter nicken. „Es gibt da einige Ungereimtheiten“, sagte jener schließlich. „Die Frage ist, was habe ich davon, mein Wissen mit Euch zu teilen?“

Nun war es der Baron, der einen Moment lang schwieg. „Ich schlage Euch ein Geschäft vor, das in unserem beiderseitigen Interesse ist. Ihr liefert mir das Material an die Hand, mit welchem wir den Grafschaftsrat über die Raller schicken können, meinetwegen im wahrsten Sinne des Wortes. Wir – und damit meine ich uns beide – werden gemeinsam mit einigen meiner Vertrauten ausreichend Belastendes vorweisen, um seine Exzellenz des Amtes zu entheben. In Anbetracht der ewig abwesenden Elfe werdet Ihr als nächster in der Lehnsfolge für die Gräfin entscheiden müssen, wer künftig die Verwaltung der Grafschaft übernimmt, und ich werde mir in meiner Eigenschaft als Obrist der Grafschaft die Freiheit herausnehmen, Euch vorzuschlagen. Natürlich darf es nicht den Anschein erwecken, als sei dies ein abgekartetes Spiel, weswegen wir diese Entscheidung von zwölf Edlen der Grafschaft beglaubigen lassen werden. Sechs Edle im Rang eines Barons und sechs im Rang eines Junkers werden genügen. Sicherheitshalber werde ich das ganze vom Schroeckh gegenzeichnen lassen – den soll ihre Majestät unlängst zum neuen Staatsrat des Königreiches ernannt haben. Wissen die Götter, wie sie nun unbedingt auf den gekommen ist...“

„Schroeck ist Staatsrat?“ Coswin war sichtlich überrascht, und Wulf konnte es ihm nicht verdenken. Als er vor wenigen Tagen die Kunde erhalten hatte, war es ihm ähnlich gegangen. Bestätigend nickte er.

„Nun, dem Schroeckh dürfte es gleich sein, wer hier Grafschaftsrat ist, und wenn der Adel einmütig ist, wird er sich kaum verwehren können. Schließlich erklärt er nur für Recht, was in Vertretung der Gräfin vom Waldsteiner Adel beschlossen wurde, und Allechandriel wird es ohnehin gleich sein, welcher Mensch für sie die Amtsgeschäfte erledigt, solange sie sich nicht damit befassen muß. Doch wen wollt ihr zur Beglaubigung heranziehen?“

„Nun, das laßt meine Sorge sein. Die Schwanenbruch kann sich hier in ihren Landen keinen Ärger erlauben und wird mitziehen müssen, Hilbert von Hartsteen wird ohnehin zustimmen, der Leihenbutt hat keine eh keine Wahl, und mit mir selbst sind es schon vier. Also werde ich noch den Falkenwind überzeugen und die gräfliche Vogtin von Silz, die muß schließlich auch tun, was ihrer Herrin dienlich ist und hegt keinerlei eigene Ambitionen auf diesen Posten. Und sechs Junker zu aufzutreiben wird nicht allzu schwer werden, derer haben wir hier schließlich genug. Teichgrund und Erpelsberg können gleich aus meinen Landen mitzeichnen, und der Rest wird sich schon finden.“

Coswin überlegte. Irgendeinen Haken mußte die Sache doch haben. Sicher, aus rein reichspolitischer Sicht war es für Wulf wünschenswert, die Position des eigenen Hauses gestärkt zu wissen. Doch warum sollte ausgerechnet er, der sich mit dem Baron üblicherweise alles andere als gut verstand, nun diesen Posten erhalten? „Und was habt ihr davon, wenn ich Grafschaftsrat bin? Letztlich stünde ich Euch dann mindestens gleichwertig gegenüber!“

Wulf lachte. „Gut erkannt, mein Lieber, wenngleich Ihr dabei eines überseht: In der Politik des Reiches bestimmen oft nicht die Einzelnen, sondern die Macht der alten Häuser. Und diese liegt in den Händen der Familienoberhäupter. Ich denke, ich muß nicht erwähnen, wer dem jüngeren Haus Streitzig vorsteht.“

Der Anflug von Freude, der sich zuvor noch über das Gesicht des Vogtes gelegt hatte, fiel mit einem Schlage von ihm ab; es war fast, als müsse er nach Luft schnappen. Wulf nahm Coswins Reaktion mit Genugtuung zur Kenntnis. „Versteht mich nicht falsch: Ihr sollt schon Euren Anteil haben. Alles, was Waldstein innerhalb seiner Grenzen betrifft, überlasse ich Eurer Entscheidung. Als Ausnahmen sei die Steuer genannt, bei der ich eine vorherige Rücksprache verlange, bevor ihr Namens der Gräfin eine Entscheidung trefft – und aus den Belangen Uslenrieds werdet Ihr Euch selbstverständlich heraushalten. Militärische Angelegenheiten liegen ja ohnehin in meiner Hand, woran sich von Reichsrechts wegen ohnehin nichts ändern wird, ganz gleich, wer Grafschaftsrat würde. Was jedoch die Angelegenheiten Waldsteins innerhalb der Reichspolitik betrifft“, hier legte er eine künstlerische Pause ein, „diese werde ich entscheiden, und Ihr werdet sie ausführen. Ihr werdet mich also von allem, was Euch aus Gareth oder anderswo erreicht in Kenntnis setzen und nichts ohne meine Zustimmung unternehmen, wobei ich für Vorschläge durchaus offen bin.“

Coswin fing sich langsam wieder. Letzten Endes hatte er ohnehin keine Wahl; an Wulf kam er nicht vorbei, wenn er auf der Karriereleiter weiter nach oben kommen wollte. Das Angebot war in jedem Fall besser, als nur untätig auf bessere Zeiten zu hoffen. Seinen Einfluß als Familienoberhaupt würde der Baron auch dann durchzusetzen versuchen, wenn er ohne seine Hilfe zum Grafschaftsrat aufsteigen würde. So hingegen wußte er bereits, woran er war, und konnte gut damit leben, bis die Zeit etwas anderes zeigen würde. Der Umstand, daß sie als zerstritten galten, mochte die wahren Verhältnisse für Unwissende hilfreich verschleiern; Coswin war sicher, daß sein Vetter dies ebenso sah. „Nun gut, es sei“, sagte er schließlich.

Wulf lächelte zufrieden, hob seinen Weinpokal und prostete Coswin zu. „Dann laßt einmal hören, was ihr wißt.“

„Es beschleicht mich seit langem der Verdacht, daß bei der Ernennung des Zweifelfelsers zum Grafschaftsrat nicht alles mit rechten Dingen zuging. Ich kann es zwar nicht beweisen, aber es steht gar zu befürchten, das selbst das Ableben Storchenhains nicht auf allzu natürlichem Wege erfolgte. Zwar war der Alte recht siech und gebrechlich, dennoch hatte es den Anschein, als ob es noch eine Weile dauern würde, bis er den Löffel abgibt. Das hat nicht nur ein Medicus behauptet, also will ich dies einmal glauben. Wir ihr schon recht bemerkt habt, hält sich seine Exzellenz vornehm zurück, wann immer es etwas zu entscheiden gäbe. Faktisch ist es also so, daß niemand eine wirkliche Macht ausübt und nur das nötigste unternommen wird, was sich in der Regel auf eine Aufwartung bei Edlen in den anliegenden Ländereien und das Eintreiben der Steuer beschränkt. Hauptmann Mausolf Luringer, welcher die gräflichen Garde hier in Hirschfurt befiehlt, hat mit seinen Kämpen einen lauen Lenz. Die Garde versieht ihre hiesigen Aufgaben – den Palas bewachen, dem Grafschaftsrat Geleit zu geben und so fort, aber eben nicht mehr. Es wären sicherlich ein paar Mann vorhanden gewesen, die der Mobilmachung Waldsteins als gräfliche Truppe hätten folgen können – wenn Zweifelfels selbiges veranlaßt hätte. Die Schwächung der Waldsteiner Truppen, insbesondere der Ritterschaften, muß also jemandem dienlich gewesen sein, der sich des Grafschaftsrates bedient und die gräflichen Truppen als eigene Notreserve betrachten mag. Die Gräfin, soviel ist sicher ist es nicht, und ihre Silzer Vogtin ebenso wenig. Dem Hartsteen traue ich so etwas nicht zu, der Schwanenbruch auch nicht, und der Pfalzgraf von Serrinmoor ist so kaisertreu, daß er jeden Mann opfern würde, mit dem er sein geliebtes Tobrien rächen könnte. Uns kann ich wohl ebenfalls ausschließen, doch beim Rest bin ich mir nicht so sicher.“

„Falkenwind hat zuwenig Mumm in den Knochen, um so etwas auch nur auszudenken geschweige denn in die Tat umzusetzen. Da drängt sich also der Verdacht auf, wo am ehesten etwas faul ist.“ Auffordernd blickte Wulf den Vogt an, fortzufahren.

„Das Sorgenkind drückt sich, wie Ihr so trefflich ausgedrückt habt, den Hintern platt. Allerdings weniger auf dem heimatlichen Thron als vielmehr im Gestechsattel auf dem Rücken seines Rosses, welches wahrscheinlich in seinem Dasein bislang nur Turnierplätze, aber noch nie ein Schlachtfeld zu sehen bekommen hat. Tatsächlich treibt sich der werte Herr Hirschfurten von Leihenbutt allem Anschein nach mehr als Schoßhündchen des Reichsforster Grafen herum denn als Wachhund im eigenen Hof. Und wen hat er da stattdessen sitzen? Eine liebfeldische Comtessa, welche er erst ehelichte und selbige Verbindung nun, wie mir zu hören kam, hat auflösen lassen. Und nichts desto trotz sitzt selbige in Leihenbutt, während ihr fürderer Gatte um die Gunst von Danos’ Tochter buhlt.“ Coswin lehnte ich zurück und ließ seine Worte wirken.

„Ich weiß auch nicht, was Nimmgalf reitet“, entgegnete Wulf. „Zuletzt sah ich ihn zur Kaiserkrönung Rohajas, was auch schon eine Weile her ist. Allerdings redet er nicht gerne über die Dinge, die im eigenen Land passieren.“

„Und da, mein werter Vetter, liegt der Hase im Pfeffer. In Leihenbutt stimmt etwas nicht, und das schon eine geraume Weise. Man munkelt hinter vorgehaltener Hand von dunklen Machenschaften, man behauptet, die Comtessa sei eine Hexe, umgebe sich mit Dämonenanbetern und was weiß ich nicht noch alles. Tatsache ist jedoch, daß sie offenbar tatsächlich eine Person in ihren Diensten stehen hat, die sich mit der Kunst der Schwarzen Magie befaßt. Wie Ihr Euch sicher denken könnt, ist der - wie nanntet ihr ihn? Ohrloser Alrik? – mitnichten mein einziger Nachrichtenzuträger. Ich habe derer eine gute Handvoll, den verblichenen Elgor nicht mitgerechnet. Selbiger Magus scheint offensichtlich eine Art persönlicher Vertrauter der Comtessa zu sein, und was viel schlimmer ist – er war schon einige Male hier im Grafenpalas. Natürlich nicht offiziell – die Götter bewahren – sondern heimlich. Einer der Leibdiener des Grafschaftsrates trägt mir so manches zu, doch weiß ich von daher nur, daß es zu solchen heimlichen Treffen kommt, jedoch nichts über den Inhalt.“

„Dunkle Machenschaften...“, murmelte Wulf. „Das erinnert mich an den Brand im Traviatempel von Leihenbutt vor einigen Jahren; Nimmgalf kam damals knapp mit dem Leben davon. Seine Exzellenz Praiodan von Luring mochte damals nicht recht an einen Zufall glauben, und angesichts der heutigen Lage bin ich geneigt, seine Meinung zu teilen.“

„Einen Zusammenhang sollte man nicht ausschließen, ganz richtig. Und nun kommt der arme Alrik ins Spiel. Ihn habe ich lediglich deshalb als Knecht in Dienst genommen, um hier im Haus ein paar Augen und Ohren zu haben; Elgor hat ihn mir dafür empfohlen. Viel hat es mir nicht genutzt, allerdings habe ich dadurch erfahren, daß es in bezug auf die Kopfsteuer aus Leihenbutt einige Unregelmäßigkeiten gibt. Die Steuer ward zwar ordnungsgemäß im Steuerbuch eingetragen, aber abgeliefert wurde sie offenkundig nicht. Dennoch wurde sie nach Gareth weitergegeben, aus der gräflichen Kasse. Ich habe die Schatzkammer einige Tage vor dem Eintreffen der kaiserlichen Steuereintreiber selbst in Augenschein genommen; die Säckel aus Leihenbutt fehlten und kamen auch in den Tagen darauf nicht.“

„Hm, da ist was faul im Lande Waldstein. Die Comtessa ist doch nebenbei noch zur Kämmerin bestallt worden, kümmert sich um selbige Angelegenheiten aber auch nicht in dem Maße, wie es angemessen wäre, will mir scheinen. Um die Kriegskasse habe ich mich selber kümmern müssen, bevor wir seinerzeit nach Puleth gezogen sind. Wie um alles in der Welt versieht sie dann überhaupt ihr Amt? Oder drängt sie in ihrer ach so charmanten Art dem Grafschaftsrat alles auf, was mit Arbeit zusammenhängt und hat ihre Finger nur da im Spiel, wo sie etwas manipulieren kann?“ Nachdenklich blickte Wulf in seinen Weinpokal. Die Comtessa war ihm schon immer suspekt gewesen, und das Nimmgalf sich letztenendes gar nicht mehr an ihrer Seite aufhielt und förmlich aus Leihenbutt geflohen schien, gab der ganzen Sache einen üblen Beigeschmack.

„Tatsache ist zumindest, daß sie sich hier so gut wie nie blicken läßt, immerhin hätte sie zumindest die Steuer prüfen müssen. Und es hätte sich empfohlen, bei der Weitergabe an die kaiserlichen Steuereintreiber anwesend zu sein.“

„Und was wißt Ihr noch?“

„Ich habe doch erwähnt, daß ich einen Informanten unter den Leibdienern habe des Grafschaftsrates habe. Ohren-Alrik hat zumindest bestätigen können, daß es solche heimlichen Treffen gibt, womit ich diese Information bereits aus zwei Händen habe. Interessant dürfte vor diesem Hintergrund vielleicht auch sein, daß seine Exzellenz zuweilen Geldsorgen zu haben scheint, denn wie ich ferner erfahren habe, ist er zuweilen einem Spiel nicht abgeneigt – und ganz im Ernst, er ist ein lausiger Boltanspieler. Ich hatte in der Anfangszeit das zweifelhafte Vergnügen, mich einige Mal zu diesem Zwecke bei ihm einzufinden, als ein Freund bei ihm in der Amtsstube zu Besuch und kein weiterer Mitspieler aufzutreiben war.“ Coswin schüttelte sich. „Selbst mein Sohn spielt besser Boltan als seine Exzellenz, obwohl er erst Zehn Winter zählt!“

„Interessant. Und wer ist der besagte Freund, um den es hier geht?“ hakte Wulf nach.

Alfing von Derrelsbach, ein Junker aus dem südlichen Serrinmoor. Auch so eine Spielernatur, allerdings mit einem glücklicheren Händchen gesegnet als der Grafschaftsrat.“ Coswin schmunzelte. „Zuweilen scheint mir der Junker im übrigen ein wenig seinem Glück nachzuhelfen, aber dies nur am Rande. So lange es Zweifelsfels trifft, soll es mir nur Recht sein. Auf jeden Fall hat es sich schon mehrfach zugetragen, daß seine Exzellenz derart viele Schulden beim Derrelsbach hatte und dabei so wenig Rücklage hatte, daß er das Salär zweier Monate brauchte, um den Junker auszuzahlen. Mein Informant hat beide belauschen können, als es wohl handfesten Streit gegeben hat um die Frist, in der seine Exzellenz die Schulden zu begleichen habe“.

„Und bei diesem Lauschen hat der Alrik sich erwischen lassen?“ fragte Wulf nach.

„Neinnein, das war erst später. Ein weiteres Mal hat seine Exzellenz einen wohl recht großen Geldbeutel erhalten, und zwar – und da wird es interessant – durch eben einen unbekannten in schwarze Gewänder gekleideten Mann, der das Haus weder betreten noch verlassen hat. Und da es meines Wissens keine geheimen Gänge in den Palas gibt, so bleibt nur ein Schluß übrig: Da war Magie im Spiel! Entweder hat er sich einfach hineingezaubert oder sich eine andere Gestalt gegeben, als Bediensteter oder Bittsteller.“

„In der Maske eines anderen sicherlich nicht“, entgegnete Wulf. „Schließlich hätte euer Spion ihn dann wohl kaum in seiner wahren Gestalt zu Gesicht bekommen. Vielleicht kam er verwandelt als Tier herein oder hat sich unsichtbar gemacht, auch das soll Zauberei schließlich bewirken können. Aber dann hätte er auch gleich unsichtbar bleiben können. Er wird sich wohl magisch fortbewegt haben.“

„Mag auch sein“, erwiderte Coswin. „Aber wie dem auch sei: Erwischt hat es den Ohrenalrik schließlich, als unser feiner Grafschaftsrat offenbar ein Pergament an den Unbekannten übergab, und zwar ein von ihm persönlich gezeichnetes und mit dem gräflichen Siegel versehenes Blatt, welches ansonsten unbeschrieben war. Es trug sich zu, das der Magus wohl sehr ungehalten war und mehrere dieser Bögen verlangte, was zu einem lautstarken Disput führte. Dabei wurde der Ohrenalrik von einem Soldaten der gräflichen Garde entdeckt, der wohl durch den Lärm angelockt worden war. Der Mann stieß den Alrik gegen die Tür und zerrte den Verräter dann sogleich vor den Grafschaftsrat. Als ich wenige Augenblicke später dort eintraf – es hatte inzwischen Alarmrufe gegeben – war natürlich von dem Magus keine Spur mehr, selbst der Gardist hatte ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Wahrscheinlich hat er schnell das Weite gesucht oder war sowieso gerade dabei, zu verschwinden.“

„Und was hat der Grafschaftsrat schließlich zu seiner Verteidigung hervorgebracht?“ fragte Wulf.

„Er habe sich das Knie an seinem Schreibtisch gestoßen, hat er behauptet. Und dann hat er sich den Spitzel gleich vorgenommen, was er denn hier zu suchen habe. Völlig verängstigt hat der Alrik dann gleich erst einmal alles von sich gegeben, was er erlauscht hat, war dabei aber doch geistesgegenwärtig genug, die früheren Male nicht zu erwähnen. Und wie Ihr schon bemerkt hattet: Ich habe mich redlich bemüht, seine Exzellenz davon zu überzeugen, daß der Spion wirr geredet hat. Da auch der Gardist des angeblichen Besuchers im schwarzen Gewand nicht ansichtig geworden war, war Zweifelsfels offenbar beruhigt genug, um die Sache ad acta zu legen. Im übrigen war mir daran gelegen, den Alrik noch ein wenig am Leben zu lassen, vielleicht hätte er sich noch einmal als nützlich erweisen und genaueres verraten können. Dummerweise mußte er dann ja Elgor um die Ecke bringen, was Zweifelsfels ursprünglich mit Alrik selbst vorgehabt hatte.“

Beide tranken einen weiteren Schluck.

„Dies bedeutet also, der Grafschaftsrat spielt der Comtessa gezeichnete und gesiegelte Blanko-Papiere in die Hände, die sie nach Gutdünken für ihre Zwecke mißbrauchen kann. Damit wäre sie in der Lage, Belehnungsurkunden und dergleichen anzufertigen. Das wäre prekär.“ Er überlegte einen Moment. „Wieviele dieser Dokumente mag es geben?“

„Nicht allzuviele. Schließlich würde es doch arg auffallen, wenn auf einmal recht viele Verfügungen ergehen würden, nachdem zunächst alles recht ruhig war. Dies dürfte auch seiner Exzellenz bewußt sein; kein Wunder, daß er damit recht knauserig war. Und ich halte ihn für immerhin so klug, daß er dies auch der Comtessa und ihren Handlanger hat deutlich machen können.“ Er machte eine kurze Pause. „Natürlich habe ich noch einen weiteren Lauscher. Seid dem Vorfall mit Alrik ist haben die eigentümlichen Besuche nachgelassen; zumindest hier in der Kanzlei. Mag sein, daß man sich nun anderswo trifft. Unlängst hingegen gab es eben genau wegen der Pergamente wieder Schwierigkeiten für seine Exzellenz, denn es war dem Schwarzen war wieder nicht genug, und Zweifelsfels war doch sehr bestürzt, weil er offenkundig nicht zählen kann.“

„Nicht zählen?“ fragte Wulf.

„Ja, denn es fehlten drei Bögen, obwohl Zweifelfels sie angefertig hatte – was er dem Magus natürlich nicht auf die Nase gebunden hat, sondern sich stattdessen vergeßlich gab. Das ist nun gut vier Wochen her, denke ich; und es hat den Eindruck, als fühle sich Zweifelsfels darob nicht ganz Wohl in seiner Haut.“ Coswin lächelte schadenfreudig.

„Und woher wißt Ihr dann, da es drei Pergamente waren?“

„Weil ich einen günstigen Augenblick zu nutzen wußte. Wenige Tage zuvor hatte Zweifelfels reichlich mit Darmfraisch zu kämpfen und verbrachte daher mehr Zeit auf dem Abort als in seiner Schreibstube. Nun wollte ich wegen einer Angelegenheit zu ihm, als er jedoch gerade wieder hinfort war. Und durch einen glücklichen Zufall habe ich dann die vorbereiteten Pergamente in einem verborgenen Fach entdeckt und einige an mich genommen. Da ich selbst hingegen zählen kann, weiß ich, daß es derer drei waren.“ Coswin konnte sich das Grinsen nicht verkneifen.

„Dann verbergt sie nur gut; ich denke, damit sollte sich etwas anfangen lassen. Ich habe eine Idee, die uns zum Erfolg gereichen könnte.“ Wulf leerte seinen Becher. „Haben wir eine Abmachung?“ Der Baron sah seinen Vetter auffordernd an.

Coswin nickte.

„Dann schlagt ein!“ Sie reichten sich die Hände. „In vier Wochen bin ich wieder bei Euch. Sorgt dafür, daß seine Exzellenz außer Haus weilt. Und wenn Ihr etwas neues erfahrt, schickt mir einen Boten!“


Nachdem Wulf die Amtstube verlassen hatte, schenkte sich Coswin noch einmal nach. Die Dinge begannen einen interessanten Verlauf zu nehmen. Daß er bei seinen Bestrebungen, den Grafschaftsrat zu entmachten und selbst seinen Posten einzunehmen nun auch noch die Unterstützung des mißliebigen Familienoberhauptes bekam, konnte ihm nur dienlich sein. Wie sich alles gestalten würde, wenn die Verhältnisse erst einmal neu geordnet waren, würde er dann noch sehen und weitere Schritte planen können. Dem Ziel seines Machtstrebens war er an diesem Abend unverhofft einen großen Schritt näher gekommen.


Die Tür der Amtsstube des Vogtes fiel hinter ihm ins Schloß. Wulf trat einige Schritte in den Gang hinaus, dann verharrte er. Eine schwarz gekleidetete Gestalt löste sich aus den Schatten, und Wulf mußte lächeln; schwarzgewandete Personen bestimmten am heutigen Abend offenbar die neue Mode, doch diese hier arbeitete in seine Hände.

„Und?“ fragte er, als seine Leibwächterin heran war.

„Nichts, alles ruhig. Einer der Gardisten machte regelmäßig seine Runde durchs Haus, hat mich aber natürlich nicht entdecken können. Ungeachtet dessen habe ich den Wasserkrug in der Wachstube mit einem leichten Schlafgift versehen, so daß wir uns unbehelligt aus dem Staub machen können; momentan schlummert die Garde dort vor sich hin“, endete Jessa al Tern ihre Bericht.

Wulf nickte zufrieden. Im Gegensatz zum Grafschaftsrat hatte er etwas mehr Vorsicht walten lassen, schließlich durfte unberechtigte Ohren nichts von seinen Plänen erfahren. Auch auf den Straßen war es recht leer; niemand beachtete sie, mit Ausnahme eines jungen Herumtreibers, der an einer Hausecke lehnte und seinen Blick lässig über den Platz streifen ließ. Jessa und Wulf setzten ihre Weg fort und machten sich auf den Weg zum Gasthaus Schmiedestube, in welchem sie sich einquartiert hatten. Der Streuner hingegen verließ seinen Posten und folgte ihnen auf leisen Sohlen.


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Texte der Hauptreihe:
15. Pra 1030 BF zur abendlichen Perainestunde
Tributforderungen


Kapitel 1

Autor: CD