Geschichten:Ende einer Ära - Hartsteener Beileidsbekundungen

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dramatis personae:

Burg Oberhartsteen, Mitte Rahja 1033 BF

"... und man teile dem zwergischen Baumeister unsere ausdrückliche Verärgerung mit!"

Inmitten zahlreicher Depeschen saß der Burgherr von Oberhartsteen an seinem Schreibtisch und diktierte seinem zweiten Schreiber Reto von Faldrasstein ein gepfeffertes Schreiben. Man hatte, ohne ihn zu informieren und ohne Rücksprache zu suchen, einfach die alten Fundamente der eingestürzten Rabenbrücke in einer Nacht- und Nebelaktion herausgerissen.

"Das sieht diesem Zwerg aus Wandleth ähnlich", schüttelte Luidor verärgert den Kopf. "Es ist völlig klar, was er erreichen will. Wenn es nach ihm ginge, würde die Rabenbrücke in zweihundertfünzig Jahren nicht wieder aufgebaut werden." An seinen verschreckt wirkendenden Schreiber gewandt, äußerte er wie nebenher: "Er ist entlassen."

Ein Page hatte eine Karaffe Wein und einen reichverzierten Pokal aus edelstem Zwercher Silber hereingebracht. Das Licht der Mittagssonne spiegelte sich in dem gelblichen Trank, an den Luidor nachdenklich nippte. 'Will uns alle gegeneinander ausspielen. Hah! Nicht mir mir!'

Ein dezentes Klopfen an der schweren Eichentür riß das Oberhaupt der Familie Hartsteen aus seinen Gedanken. Sein Privatsecretarius Greifhold von Ennetbrück stand mit einer weiteren Person auf der Türschwelle. Steif und ernst blickte Alrik von Hartsteen seinen Bruder Luidor an, der mit einem Lächeln aufstand und auf ihn zuging.

"Mein lieber Bruder! Welch freudiger Anblick!"

Eine mehr formliche Umarmung folgte. Der frühere Rittmeister der Garether Akademie nickte nur kurz.

"Luidor, ich denke, dieses Schreiben sollte Deine Aufmerksamkeit bekommen."

Aus einer Tasche zog Baron Alrik eine kurze Depesche hervor. Das Siegel, den Ochsenkopf, erkannte Luidor von Hartsteen schon aus der Ferne.

"Ah. Ist sie?"

"Ja. Vor wenigen Tagen im trauten Kreis der Familie."

"Also im kleinen Rahmen. Ich werde eine Beileidsbekundung aufsetzen und wäre froh darüber, wenn sie von Dir persönlich als Zeichen der Verbundenheit überbracht wird."

"Das lässt sich wohl einrichten."

Die beiden ungleichen Brüder, Politiker der eine, Krieger der andere, standen sich einen kurzen Augenblick gegenüber. Stille floss zwischen sie und verharrte dort einen Herzschlag.

"Aber bitte, nimm Platz", deutete der ältere der beiden auf einen geplosterten Stuhl. "Wir sehen und nicht so häufig und ich bin froh, mit Dir einen Moment zu sprechen."

Still im Hintergrund schloss Greifhold die schwere Tür.

"Worüber möchtest Du gerne sprechen, Bruder?"

"Über die Zukunft. Giseldas Tod ist traurig, so absehbar er auch gewesen ist. Die Geschicke der großen Schlunder Familie werden jetzt nicht mehr aus Madershöh, sondern von den Eferdstränen her bestimmt. Ich habe Gerüchte vom Hof gehört, dass der Zwerg aus Wandleth sich für den jungen Wolfaran einsetzen würde, und offenbar meinte man, nachdem man ihn gewogen hatte, dass er für zu leicht befunden wurde. Leider haben sich meine Kontakte zur Staatskanzlei bedauerlicherweise vor Kurzen leicht verschlechtert, so dass ich über die weiteren Wünsche der Krone nicht im Bilde bin."

"Und? Was habe ich damit zu tun?" Alriks Miene war bar jeglicher Regung.

"Versichere den Ochsen, dass wir natürlich der festen Überzeugung sind, dass die Königliche Vogtei bisher bei ihnen stets in besten Händen gewesen ist. Teile ihnen aber auch mit, dass der sture Waffennarr im Wiesenschlösschen mit seinen jüngsten Aktionen sich offenbar nur wenig Freunde gemacht hat. Gareth merkt es schon, wenn die Preise für Waren aus Perricum und dem Perlenmeer drastisch steigen. Und solange der kleine Graf denkt, im Schlund von der Sahne naschen zu können, die sonst Kaisermärker Pfeffersäcke in ihre heiße Al'Anfanische Chocolade gießen, wird man seine Vorschläge sehr genau prüfen."

"Du meinst, wegen der Verzögerungen an der Rabenbrücke? Was hat das mit den Ochsen zu tun?"

"Denk daran, was der Staatsrat in der letzten Zeit für... fragwürdige Entscheidung die Lehensverwaltung getroffen hat. Mich würde es nicht wundern, wenn es mit Madershöh eine ähnliche Wendung nehmen würde."

"Willst Du einen eigenen Kandidaten ins rennen schicken? Wieso sollte Rohaja die treuen Ochsen denn übergehen?"

Luidor seufzte leise. Er erinnerte sich daran, warum er einst, als sie noch Knappen waren, aufgehört hatten, über Politik zu debattieren. Warum er aufgehört hatte.

"Alrik, mach den Ochsen deutlich, dass wir völlig hinter Leobrechts Familie stehen, ihnen in der Zeit der Trauer den Rücken stärken und uns der gemeinsamen dynastischen Verflechtungen der Vergangenheit, die stark waren und stets gute Früchte getragen haben, erinnern. Ich denke, Leobrecht wird verstehen, was Du ihm sagen möchtest."

Sie waren aufgestanden und an der Tür angelangt, die der verschwiegene Secretarius geöffnet hatte. Die beiden Brüder gaben sich die Hand und blickten sich tief in die Augen. Luidor war der erste, der seinen Blick löste.