Geschichten:Ein kleines Problem

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Mit sichtlichem Unwohlsein betrat Edelbrecht von Gaulsfurt, der markgräfliche Herold, das Arbeitszimmer des Herrn der Provinz in der Reichsstadt.
"Danke, dass euer Erlaucht mich so kurzfristig empfangen. Es handelt sich um eine äußerst dringliche und vor allem delikate Angelegenheit, die meines Erachtens keinen Aufschub duldet."
"Dann schlage ich vor, dass ihr gleich zum Punkt kommt", entgegnete Markgraf Rondrigan Paligan etwas unwirsch und blickte dabei von einem Stapel Pergamente auf, die er im Begriff war zu siegeln. "Schlechte Nachrichten - und um solche handelt es sich ja wohl, wenn ich eure Miene richtig deute - werden nicht besser, indem man sie hinauszögert."
"Jawohl, euer Erlaucht," antworte Edelbrecht mit leicht belegter Stimme. "Erlaucht erinnern sich gewiss noch an die Belehnung des Ugdalf von Löwenhaupt-Hauberach mit der Baronie Vellberg am 2. Rondra. Nun, wie sich erst jetzt herausstellte, gibt es da jetzt ein, wie soll ich sagen, Problem."
"Natürlich erinnere ich mich an diesen etwas übereifrigen Mann mit dem Vaterkomplex. Was hat er denn in der kurzen Zeit als Baron angestellt, dass Ihr deswegen vor mich tretet?"
"Er nichts, aber sein Vater".
Für einen winzigen Augenblick zuckte Rondrigan zusammen. Wusste Edelbrecht etwa, dass - nein, unmöglich. "Ich höre. Und nochmal: Meine Zeit ist knapp bemessen."
"Natürlich, Erlaucht. Wie euch vermutlich ebenfalls bekannt ist, wurde durch die, äh, unerfreulichen Ereignisse hier zur Jahreswende auch das Archiv der markgräflichen Kanzlei verwüstet. Bei dessen Neuordnung wurde wohl auch das eine oder andere Dokument versehentlich falsch abgelegt. Und eines davon wurde gestern gefunden. Dabei handelt es sich um das Testament des Wallbrord von Löwenhaupt-Berg, bis zu seinem Tode Baron zu Vellberg und Vater des jetzigen Barons. In seinem letzten Willen hat er den Baronsreif nicht seinem Sohn Ugdalf sondern seiner jüngsten Tochter Elissa von Aelderklamm vermacht."
"Ach was? Na da bin ich doch sehr gespannt, was die 'Neuordnung' des Archivs sonst noch so an Stilblüten hervorbringen wird. Vielleicht hätten wir es einfach beim vorherigen Chaos belassen sollen, mein lieber Edelbrecht, oder?" Diese mit zuckersüßer Stimme vorgetragenen Sätze ließen den Angesprochen geradezu frösteln. Ein ordinärer Wutausbruch wäre ihm weit lieber gewesen. Noch bevor er etwas entgegnen konnte, fuhr Rondrigan fort.
"Also gut. Was wissen wir über diese Elissa? Und warum trägt sie nicht den Namen ihres Vaters?"
"Nun, weil sie von illegitimer Herkunft ist, wenngleich Herr Wallbrord sie als sein Kind anerkannt hatte. Derzeit dient sie nicht ohne Meriten als Hauptfrau im Bombardenregiment."
"Und wo ist jetzt das Problem? Wallbrord hat zwei eheliche Kinder, soweit ich weiß. Die kann er nicht einfach zugunsten eines Bankerts enterben. So etwas würde ich nur dann, wenn überhaupt, zulassen, wenn der Mann keine anderen Kinder und nähere Verwandte mehr hätte. Darauf hättet ihr übrigens auch selbst kommen können, HEROLD."
"Ähm ja, das ist soweit richtig, Erlaucht, aber das Testament wurde bezeugt und als rechtens anerkannt von Eurer verstorbenen Großmutter Rimiona in ihrer Eigenschaft als Regentin der Provinz. Seht selbst." Mit diesen Worten übergab er das Testament seinem Herrn.
"Sie hat - was?" Rondrigan überflog verblüfft das Dokument und tatsächlich: Es trug Siegel und Unterschrift seiner Großmutter. Was sie sich dabei wohl gedacht haben mochte?
"Es gibt nun für euer Erlaucht zwei Möglichkeiten: Entweder Ihr erkennt es als rechtens an und setzt es entsprechend um-"
"Unmöglich."
"Oder Ihr erklärt das Testament, und damit auch dessen Bestätigung durch eure verblichene Großmutter, für ungültig."
"Noch unmöglicher."
Nach einer kurzen Pause erhob sich der Markgraf und blickte Edelbrecht tief in die Augen. "Vielleicht gibt es noch eine dritte Möglichkeit. Wer weiß außer euch noch von diesem Testament, Edelbrecht?"
"Der Kopist, der es fand und die Schreiberin, die es mir brachte. Die Frau erzählte auf der Suche nach mir wohl noch einigen ihrer Kollegen von dem Fund, bevor sie ihn mir übergab. Aber ich verstehe nicht-"
"Das ist auch nicht erforderlich, mein Bester."
Währenddessen ging der Herr der perricumer Lande im Geiste seine Optionen durch. Das Testament verschwinden zu lassen, wäre zwar die einfachste Lösung jedoch ob der vielen Mitwisser zu riskant. Eher früher als später würde einer von ihnen plaudern und die Angelegenheit sich dann schnell außerhalb des Palastes hin zu Wallbrords Kindern verbreiten. Undenkbar. Selbst im Tode machte der Kerl noch Ärger! Seine Großmutter vor aller Augen zu desavouieren, indem er ihre Entscheidung für nichtig erklärte, schied ebenfalls aus. Blieb also nur die dritte Option.
"Edelbrecht! Schaff´ mir diesen Ugdalf schnellstmöglich her. Und einen Tag später seine Halbschwester. Und nun lass mich allein. Ach Edelbrecht: Die Sache ist für euch damit noch nicht erledigt." schloss Rondrigan mit seidenweicher Stimme, während er sich wieder den Dokumenten auf seinem Arbeitstisch zuwandte.