Geschichten:Ein Morgen voller Erkenntnisse im Lichte Praios

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Mit verkrampften Fingern notierte die Novizin was der Tempelvorsteher Korbor von Wasserburg ihr diktierte. Sie schwitzte vor Anstrengung. Nie mäßigte er das Tempo. Wieder einmal wurde er von diesem Dumpfschädel geplagt und ausgerechnet sie musste ihm aushelfen. Er ging im Schatten der Schreibstube im Haus des Schelarchar auf und ab, derweil sie im gleißenden Lichte saß. Das machte ihn immer so leicht reizbar. Jeder andere im Haus Schelachars versuchte ihn zu diesen Zeiten zu meiden. Wieso bloss regte er sich so auf, wenn er das hatte? Sie machte sich über sowas wenig Gedanken. Gebrechen verschiedenster Art hatten doch viele Leute, jeder zog sich mal die Strafe der Götter zu. Doch er ließ nicht zu, dass man ihm mit Kräutern Linderung verschaffte. Auf ihm ruhe eben der gestrenge Blick Praios‘ und nicht Peraines. Er hatte ihr doch tatsächlich verboten mit anderen darüber zu sprechen, wie häufig ihn inzwischen diese Schmerzen plagten. Er meinte, dass es wie ein Summen sei, dass alles überlagerte. Nun gut, schweigen konnte sie. Eine der leichteren Übungen, um ihren Gehorsam zu testen wie sie fand. Es gab andere, die ihr deutlich schwerer fielen. Ihr wurde unwohl beim Gedanken daran.

Mist, jetzt war sie in Gedanken schon wieder abgeschweift- das Wort sah seltsam aus, es wurde anders geschrieben, egal, das würde sie später wegkratzen müssen. Zerknirscht biss sie sich auf die Unterlippe, und mühte sich wieder seinen Worten zu folgen.

„Die Baronin berichtete uns selbst von dem Hochgericht. Dabei erwähnte sie explizit, dass der Baron Haselhains -Selo von Pfiffenstock- auf 12 Götterläufe verbannt worden sei.“ Seine Stimme signalisierte, dass ein Absatz folgen würde.

„Mach an dieser Stelle einen Querverweis- Besuch in der Nachbarbaronie vereinbaren, um zu überprüfen wie es mit der Gesinnung bei der Baronsgemahlin bestellt ist, und ob die Kinder Unterweisung in der Praiostagsschule benötigen.“

Erst zögerlich, aber dann nickend, tat sie wie ihr geheißen worden war. Ob er sich nicht daran erinnerte, dass er dort kaum freudig begrüßt werden würde? Sie war sich nicht sicher. Kritisch warf sie einen Blick in seine Richtung. Er wirkte konzentriert, nicht mehr und nicht weniger. Vermutlich wieder eines dieser Dinge, von denen er immer sagte, dass sie diese noch nicht verstand! Aber dieses nagende Gefühl blieb, vermutlich auch deshalb, weil das Schreiben sie nicht fesselte. Ob seine Leidenschaft alles aufzuschreiben neuerdings daher rührte, dass er sich schon so viel in seinem Leben gemerkt hatte, dass er sich nicht noch mehr fehlerfrei merken konnte? War der Geist eines Menschen wie ein Eimer, der irgendwann voll war? Mehrfach schon hatte sie der Eindruck beschlichen, dass er längst nicht mehr alle Choräle auswendig sang, sondern ablas.

„Hör auf zu träumen!“ Herrschte sie der Tempelvorsteher an. Bei Praios, jetzt hatte sie glatt den folgenden Satzanfang nicht verstanden. Mit hängenden Schultern und schuldvoll gesenktem Blick sprach Sie ihn zitternd an.
„Bitte verzeiht mir Hochwürden, ich grüble bisweilen noch zu viel über die korrekte Schreibung. Da oben ist mir fürchte ich ein Fehler…“ Doch sie konnte den Satz nicht beenden. Korbor war schon zu ihr heran getreten, und hatte ihr unwirsch mit der Hinterhand eins übers Haupt gegeben.

„Bei Praios, wieso nur prüfst du mich mit diesem Gör?“ Mit Tränen im Gesicht biss die Gescholtene sich wieder auf die Unterlippe und nahm erneut den Griffel fest in die Rechte.

„Zweiter Querverweis- Besuch der frei gesprochenen Adligen Tsaiane von Mistelstein. Vorschlagen einer angemessenen Bußqueste.“

Der Mund der Novizin stand vor Verblüffung offen, und sie war ehrlich erstaunt. Die Mistelsteinerin war wegen ihrer scharfen Zunge und ihrem untugendhaften Temperament stadtbekannt. Zuletzt hatte sie als Hofmalerin des Fuchsrudels die Familienehre der Mistelsteiner Ritter befleckt. Entweder verlor er allmählich den Verstand, oder er erlegte sich selbst die schwierigsten Besuche auf, weil er selbst etwas zu büßen hatte. Erkenntnis flammte in ihr auf. Eine famoser Gedanke, endlich hatte sie die einzig richtige Lösung gefunden. Sie wusste zwar nicht wofür, doch das würde ihr auch noch aufgehen. Sie war froh, dass ihr Weg ins Noviziat des Herrn Praios sie hierher geführt hatte. Es gab so viel zu lernen. Sie lächelte wieder beschwingt, froh an der Seite dieses Tempelvorstehers zu sein, der auch offenkundig sich selbst der strengste Priester war.

Hell leuchtete ihr blondes Haar im Schein der Sonne und der Priester wendete sich wieder von ihr ab, und ging wieder hinüber in den wohltuenden Schatten.